Reisen
Im Rentnerlokal, sozialistisches Echo, bei den Geflügel-Berufen. Es ist Samstag gegen Abend, in Schwüngen streben Gruppen rein, die Musikbox brachial laut, eben hat schon mal eine Alte vibrierend mitgesungen und die Technik übertönt. Das Essen immer noch gut und billig, die alte Kellnerin immer noch so zuvorkommend, sie kann auch anders, und falls ich nachts hier vorbeikomm, werde ich Wodka trinken und vielleicht anner Schlägerei knapp vorbeischrammen. Hier saßen wir im Sommer ein paarmal zu fünft, und die Bassdrum donnerte so wie jetzt.
Die Bassdrum der Bluesband abends ist scharf und hell, die Gitarre laut sägend, der Bass federt agil durch die schönen altbekannten BoogieWoogie-Stücke, er bringt mit dem leisen freundlichen Sänger die Wärme in die Musik. Aber über allem herrscht die Gitarre, prägt den Rhythmus, kommentiert jede Einzelheit, schwingt sich alle zwei Strophen zum Solo hoch, nein, das Singen und überhaupt in Strophen einteilen ist eigentlich für die Gitarre gemacht, Pause zwischen den Solomonologen. Dabei ist der Gitarrist kein Selbstdarsteller, freundlicher schmaler junger Mann, er bezieht das vielleicht gar nicht auf sich. Erfüllt eine Form, wie der Stehgeiger vor 100 Jahren eine erfüllte oder der Soloposaunist in anderen Gegenden. Das neu bürgerliche, ein bisschen mit sich selbst beschäftigte Publikum im kühlen, nicht billigen Keller erwartet es genau so, beklatscht die Soli, freut sich an den Eskapaden und Ausschmückungen, wie es sich an Verzierungen eines Pianisten bei einem Klavierkonzert auch freuen würde. Manchmal geht der Gitarrist unisono mit den einfachen Akkordtönen des Bassisten mit, der sein Bruder ist. Dann kriegt die Musik plötzlich einen Schub, der sie sonstwohin bringen könnte. Ein Zucken geht durchs Publikum, Tanz, Aufstand. Das nächste Solo entschärft dann wieder.
Das wilde meditative Moment habe ihm ein bisschen gefehlt, meinte Herbert nach dem Konzert. Auch das hätte dieses Publikum vielleicht ganz woanders hin gebracht.
Gemeinschaftsmusik auf die allergröbste Weise ist im billig-guten Rentnerlokal längst Trumpf, als ich da noch vorbeischaue spätnachts. Da hätte jetzt keine Verzierung mehr eine Chance. Auch keine Meditation. Es sei denn, jemand schaffte es, alle auf einen Schlag einschlummern zu lassen. Ganz friedlich. Wer das in dem Holzhackerlärm hinkriegen könnte, wäre echt ein Meister seiner Musik.
quer - 7. Mär, 16:43
Lublin hat knapp 400.000 Einwohner, 100.000 davon sind Studenten. Als wir vorletzten Sommer hier waren, haben die Semesterferien den Eindruck einer Jugendstadt nicht so aufkommen lassen, da waren einfach nur ein paar junge Leute mehr unterwegs als sonst.
Jetzt quillt das Univiertel von ihnen über, auch die tief mittelalterliche Innenstadt quillt. Und wie in Warschau scheinen in Lublin doppelt soviel Mädchen wie Jungs zu studieren (vielleicht zieht das die Aktion-Sühnezeichler und deutschen Ersatzdienstleistenden her?).
Trotz ihrer Überzahl haben die jungen Akademiker noch keine 'scene' kreiert, gibt es bisher kein Zentralorgan, das für sie entscheidet, was angesagt ist, kein arrogant formuliertes vitales Selbstbewusstsein. So hat es mir jedenfalls in einer übervollen Kellerkneipe Toby, ein junger Mensch aus Hamburg erzählt (und den angenehmen Gegensatz zu Hamburg beschrieben), der nach seinem Ersatzdienstpraktikum hier einen Jahressprachkurs angehängt hat und 'halber Pole' sein möchte, was ich in dem Moment gut verstehe. Nein, insgesamt habe die Unistadt immer noch den Ruf der fleißigen Provinz, man sage: Polen feiert, Lublin schläft.
Lublin ist also in vielem auch eine Gegenstadt zu Görlitz, wo man auf einen jungen Menschen zehn Rentner trifft. Und so sympatisch mir Görlitz immer war, Lublin soll Gegenstadt bleiben, denn wie Görlitz bewirbt es sich um die Ehre (und das Geld) der europäischen Kulturhauptstadt, die Görlitz bekanntlich gegen Essen verlor, wie es Lublin 2016 auch passieren kann, gegen Wroczlaw zum Beispiel, was ungerecht wäre, denn Breslau hat schon so viel - aber so ist die Welt andererseits.
Dies letzte schon aus einem Gespräch mit Herbert Ulrich, der seit 1977 hier lebt, als DDR-Hippie nach Ostpolen kam, fester Bestandteil des kulturellen Hinundher wurde, Übersetzer, Vermittler, jemand, der Menschen leicht und unversehens zusammenbringt.
Er hat mich im 'Haus des Lehrers' im Univiertel eingemietet, holt mich am Bahnhof ab, schon sitzen wir in einer Taxe, die ein graumelierter Mitfünfziger bezahlt, der, wie Herbert mich leise informiert, fürs Kulturamt arbeitet, Herbert hört ihm zu, sagt dann "Phillip Glass, Lori Anderson, Lou Reed", jedesmal tippt, während ich staunend zuhöre, der Kulturmanager sich an die Brust, "die werden hier im Sommer zusammen auftreten", der Kulturmanager strahlt, den Etat habe er grad in Warschau bewilligt bekommen. Der Taxifahrer fragt etwas dazwischen, alle lachen, nur ich weiß nicht, worum es geht. "Ob er das Geld etwa da habe, dann könne man ja einen kleinen Umweg in den Wald machen..." Manchmal wäre es doch schön, mehr zu verstehen, denke ich.
Die Musiker, bei denen wir vorletzten Sommer wohnten, sind auf Tournee, zu der Bluessession, die dann nicht stattfand und zu der Herbert mich verabredet hatte, kamen sie nicht - dafür sind andere da, man ist sich hier, erzählt auch Toby, ein bisschen aus den Augen, aus dem Sinn.
Die Stadt, wie ich sie tagsüber durchstreife, erinnert gleichzeitig sehr und gar nicht an die aus dem Sommer, das andre Wetter macht viel aus, dann kommt auch Sehnsucht auf nach dem Zusammensein damals, und gestern spät abends, nach zwei Ausstellungseröffnungen, small talks mit Präsidenten und einem schönen Abend mit Herbert allein zum Essen in einem Altstadt-Ratskeller, während ein Pianist mit Sonnenbrille (ich glaube, pseudo-blind) einem Flügel alte Schlagerweisen entrang, zum ersten Mal eine Art wohliges Verlorengehen im Gestern. In einer alten Zeit, als hier eines der jüdischen Zentren war. Als sich hier und weiter östlich Überlieferungen begegnet sind und vermischt haben, die in dieser Mixtur unsern Alltag bis heute prägen. Obwohl hier davon fast nichts mehr übrig ist nach dem Durchmarsch von zwei Kolossaldiktaturen. Die aus den Überlieferungen, die sie zerstören wollten, andererseits auch entstanden sind.
Und der Pianist spielt weiter, egal, was passiert. Und die Kellnerin lächelt, ob's noch was sein soll. Ein letztes noch.
Das Haus des Lehrers bietet Samstag - Sonntag Frühstück nur zwischen 7 und 8 Uhr. Ich fange an, mich dran zu gewöhnen.
quer - 6. Mär, 14:11
Der einzige Raucher (und Biertrinker) im Abteil ist nicht gut angesehen. Die Tür wird aufgelassen, eine Dame geht telefonierend und Luft fächelnd auf den Gang, aber wir sitzen im Raucherabteil. Ein Mann reißt bei der zweiten Zigarette das Gangfenster auf, jetzt öffnet der Raucher ein zweites, und eine umständliche Alte, die als letzte kam, nimmt das alles zum Entsetzen der andern zum Anlass für einen Gesprächsversuch. Man kann sich in den Abteilen nicht aus dem Weg gehen wie im Großraumwagen, ich erinnere mich gut an den Zwang zum Miteinander,die Reisegruppenlust, die bestimmte Leute ausstrahlten und heute vermissen. Die Biertrinker schon tagsüber, die das alles so aufregend finden, dass sie zur eigenen Sicherheit gern jeden mit reinreissen würden in ihre vage Ahnung, dass schnell mal was passieren kann unterwegs, und dann ist man nicht mal zuhause.
Wieviel Leute haben sich bei uns das Rauchen abgewöhnt, als die Bahn es verbot? Ich kenne zwei. Auch hier ist Nüchternheit modern, beschäftigte Unauffälligkeit, versierter Imgang mit Laptop und Handy. Der technologische Graben zwischen Niemci und Polen ist zu, jedenfalls, was die Großstadt betrifft. Man kriegt hier und sieht alles, was es bei uns gibt.
Ünrigens hat KFC Warschau erobert. Rossmann ist mehr präsent als in Berlin, und die IngDiba-Bank. Alt und wild sind in der Stadt die Straßenbahnen, oft voll, sie kriegen gut Tempo drauf und nehmen wenig Rücksicht auf den Rest der Strecke. Für 16 sl fährt man drei Tage flat, auch mit der leise gleitenden U-Bahn. Am ruppigsten sind die Busse, schwer, ihre Streckenführung zu finden, Pläne gibt es nicht (vielleicht, wie alles, im Netz).
Ich sollte übrigens betrogen werden, zweimal. Erst in einem Café, wo ich den fehlenden 100er-Schein Wechselgeld so erstaunt-entspannt einforderte, dass eine zweite Tresenfrau gleich grinsend zustimmte: Ja, der kriegt noch Geld. Und dann beim Geldwechseln, wo ein besonders guter Kurs angezeigt war, aber klein das "sell", also Verkauf von Euro, während der Ankauf phantastisch mies (und winzig erst im Laden) verzeichnet war. Ich stand mit der kleinen Summe Słoty für 200 € fassungslos da, sah dann erst die Zahlen und rief: "No, I won't do that." Die absolut gelangweilte Tusse am Schalter fragte, ob ich nicht lesen könnte. Ich wiederholte meinen Satz, sie starrte mich an, woraufhin ich ihr den Abrechnungszettel auf den Schoß warf, eine Pause entstand, dann schob sie mir die 200 Euro wieder zu. Ich hätte jetzt abhauen können mit meinem und dem viel zu wenigen polnischen Geld zusammen. Ich glaube, in dem Monent hat sie das auch gedacht. Aber als der brave blöde Tourist, als den sie mich eingeschätzt hatte, gab ich ihren Anteil zurück. Hätte andererseits nicht gewusst, was tun, wäre sie stur geblieben. Hilft die Polizei einem überhaupt bei sowas?
Wäre es nicht passiert, ich hätte es nicht geglaubt.
Jetzt eilt der Zug Lublin zu, Rasen wäre geprahlt, es geht voran. Und die redselige Alte und sogar der moderne Mitfahrer, der vorhin das Fenster aufriss, alle haben mindestens einmal geraucht, schuldbewusst Luft reingelassen, den Gang bevölkert, jetzt qualmt der Waggon. Aber wir sind pünktlich da.
quer - 5. Mär, 08:55
Als ich hinfuhr, schien die Sonne. Ins Uprising Museum. Uprising = Aufstand.
Es geht hier um den Warschauer Aufstand zwischen August und Oktober 1944. Es geht nicht (oder nur nebenbei) um den Aufstand im Warschauer Ghetto 1939.
Das Motto zur Revolte steht überm Eingang, es stammt von einem Delegaten, Jan Stankowski:
"Wir wollten frei sein und diese Freiheit niemandem verdanken."
Delegat, Ghetto, Revolte, Heimat-Armee (Home-Army), Exilregierung: Mir fehlen Wissen und Hintergrund für die Vorgänge, die Erklärungen sind in Englisch, wenn ich also eine Kurzfassung meines Besuchs versuche, werden Irrtümer und Unverstandenes selbstverständlich sein.
Das Uprising Museum ist in einem alten renovierten und hochgerüsteten Busbahnhof untergebracht, das Dokumentationsvorhaben komplex, technisch auf hohem Standard, man muss Zeit mitbringen und seine Sinne bereithaben. Man muss sich auch abschotten können, denn andauernd werden Schulklassen durch die Räume und Verliese geführt und die Pädagogen sind laut (die Jugendlichen eher still).
Im großen Empfangsraum schlägt zudem ununterbrochen ein ruhiges, aber lautes Herz, für die toten Kämpfer und Überlebenden, wie es heißt, und dazu sind verschiedene Klangteppiche aus Originaltönen ausgelegt, einer davon ein furchtbarer Bombeneinschlag, sodass man vielleicht gebeugt vor einem Kästchen steht, in dem ein Video läuft, auf dem eine alte Frau von ihrer Tätigkeit als Kurierin erzählt, ein Foto neben dem Kästchen zeigt sie in jungen Jahren zusammen mit gleichaltrigen Kämpfern, die aber genauso eine Pfadfindertruppe sein könnten, und man hört gleichlautend zum Originalton den Herzschlag, dann die Detonation, und wenn es danach etwas still ist, skandiert ein Lehrer einen offenbar schrecklichen historischen Fakt, zum Auswendiglernen. "Wir sind direkt mit unsrer Jugendwandergruppe in den Untergrund gekommen, uns blieb keine Wahl", sagt leise die Frau auf dem Video (laut englischen Untertiteln), und ich wünsche mir in dem Moment alles andere weg.
Das gehört vielleicht auch zum Konzept dieses Meistermuseums, man wird direkt reingezogen. Elfjährige probieren die Gewehre, die ihre gleichaltrigen Uropas damals bedienen mussten und kriechen eine halbe Stunde durch das Kanalsystem, in dem die lebten.
Wie eine Vulkaneruption, sagt Jan Nowak-Jezioranski, der als Kurier zwischen Warschau und London arbeitete, war der Aufstand nach vier Jahren Erniedrigung, "sei ein Schwamm, vergiss alles, was du weißt und denkst, beobachte und übermittle einfach jede nur mögliche Information". So hatte man ihn instruiert. Er musste den Warschauer Mitstreitern dann überbringen, dass es politisch klüger wäre, stillzuhalten und ein Aufstand die Politik des Westens keinen mm ändern würde.
Man schlendert weiter, stellt Fragen, die sich irgendwann beantworten bzw. zu größeren Fragegruppen anwachsen. Der Museumsbesuch ist wie das Erkunden dieser Stadt selbst, dieser Zeit auch.
Alltagsleben in Warschau nach der Besetzung durch Deutschland:
"Städt. Verkehrsbetriebe Warschau: Vorzeigender Kowski, Jan ist berechtigt, einen Triebwagen der Strassenbahn in Warschau zu führen. Nur gültig mit dem Personalausweis Nr. 6390."
Vor der Besetzung hatten ca. 2000 Deutsche in der Stadt gelebt. Jetzt wurde eine eigene Straßenbahnlinie 0 nur für sie eingeführt, es waren 1942 schon 20.000 Glücksritter. Es gibt ein Foto, wo deutsche Soldaten aus der 0 steigen, einer mit dem breiten Staunen im Gesicht, als habe er gerade ein Schnäppchen geschlagen.
Wie im Aufstand des 19. Jahrhunderts wird das Tragen von Juwelen in Warschau ein Widerstandszeichen. Dies ist nach vier Jahren Besatzung auch der verzweifelte Aufstand des Bürgertums, sich nicht völlig demütigen zu lassen, z.b. mit Anzeigen wie:
"Spare bei der deutschen Post Osten" (sich nicht so elend machen zu lassen wie die Juden, Zwischenfrage? Oder war der Aufstand im Ghetto einer der Proleten?) Auf jeden Fall kein polnischer Aufstand.
Im Mittelpunkt der Aktivitäten steht die 'Heimat-Armee', Schild eines polnischen Untergrundstaats zwischen 1939 und 44. Schon im Sommer 39 hatte Molotov, Stalins Außenminister, Polen für nicht existent erklärt, man hoffte sich das mit Hitler aufteilen zu können.
Auf einer Seite des großen Empfangsraums werden jetzt die Rekrutierungen und Aktivitäten der Heimatarmee dargestellt ( das geht in den nächsten Räumen weiter bis hin zu spannenden Anekdoten der Piloten und der Untergrundradiomacher), an der anderen Wand werden Privatmenschen vorgestellt, die in den Widerstand gerieten (alle gerieten rein), Priester, Handwerker, Schüler, besondere Geschöpfe wie die Philosophiestudentin Edith Stein, die sich dann Teresa Benedikta vom Kreuze nannte und bis zu ihrem Tod in Auschwitz ganz dicht bei jüdischen Freunden aus Warschau blieb.
In Nov 42 tut sich die Heimatarmee mit der Roten Armee zusammen, es gibt die Operation Burza (Sturm) in Ostpolen. Militärisch erfolgreich, wird diese polnische Armee gleich anschliessend von der Roten entwaffnet, die Anführer verhaftet - ("noch ist Polen nicht verloren" läutet gerade eine Glocke) - umstandslos sind die Aufständischen der neue Feind der nächsten Grossmacht.
Dieses Museum ist auch eine Darstellung der Verarschung Polens durch eigentlich alle Nachbarländer. Aus diesem Blickwinkel ist die Geschichte hier zusammengestellt (anders als in Kolberg, wo die Sowiets als Befreier gezeigt werden, dagegen wird das russisch-polnische Bündnis von Chelm 1944 hier in Warschau als Verräterveranstaltung bezeichnet: Die polnischen Kommunisten haben den eigenen Widerstand verächtlich gemacht für Stalins Großmachtpolitik. Diese zwei Sichtweisen stehen in Polen wohl bis heute nebeneinander). Aber auch die westlichen Alliierten haben sich nicht gerührt, um die große Balance der Nachkriegszeit nicht zu gefährden. Die Deutschen wurden als barbarische Besatzer nach Kriegsende eher noch belohnt, und die Aufständischen von Warschau wären sicher gern ein Teil der amerikanisch-englischen Zone geworden, die Exilregierung saß ja schon in London.
Mir bleiben Fragen, die nach dem Verhältnis zum Ghettoaufstand ist erstmal die größte. Zum Ende das Interview mit einem Deutsch-Belgier, der mit 17 in die Wehrmacht und gleich nach Warschau in den Aufstand kam. Erzählt u.a. von der SS- Brigade Dirlewanger, die sich ausschliesslich aus Kriminellen und amnestierten politischen Gefangenen zusammensetzte, die alkoholisiert aufs Irreste tätig waren. Sie hatten nichts zu verlieren. 500 Kinder töteten sie einmal nach Schulschluss einfach so, nach dem Befehl Dirlewangers: "Nehmt die Kolben, spart Munition". Ebenso die Idee der mit Menschen garnierten Panzer (als Kontrast das Zimmer des leise sprechenden Mannes aus Belgien, voll Plüsch, Deckchen, festen Vorhängen, Gegenwelt bis heute, während er entsetzt davon spricht, wie er bei vielen kleinen Gelegenheiten brennendes Menschenfleisch riecht).
Die Szene, wie er als junger Katholik zaghaft zu einem Kellergottesdienst dazutritt, und der Priester gibt ihm selbstverständlich die Kommunion. Tage später sieht er den gefangenen Priester, SS-Leute urinieren auf sein Kreuz. Er schafft es mit Freunden, den Mann loszukriegen.
Eine bestimmte Sorte Atheismus, der sich wertlos selbst gefällt, ist widerlich. Dazu passt: Himmler beim Besuch in Warschau auf einem Foto sieht sehr modern, zierlich-intellektuell geschoren, fast brechtisch aus, ganz der hochgezüchtete Stadtmensch, der an nichts glaubt außer die Macht und sich seine Bestien hält. Widerlicher als die selbst, die sich nicht zusehen.
Viel mehr viel mehr, aber hier ist jetzt Schluss. Als ich Stunden später aus dem Museum kam, schneite es. Das passte gut.
quer - 4. Mär, 13:44
Die Musiker packen schon ein, als ich komme, es war ein kurzer Jazzabend, der Club gut gefüllt mit Geschäftsmännern. Während zum Frühstück hier auffallend viele Frauen saßen, Polinnen, wie zu hören war, bei polnischen Geschäftsreisenden hat das Hotel einen guten Ruf. Mir gefällt es ja auch, mit den kleinen Zimmern mit Minibalkon auf den großen Kreisverkehr raus, Bahnhof und Kulturpalast im Rücken, mittendrin, aber ohne das künstlich Alte.
Zu mehr als hier runter auf ein Bier konnte ich mich nicht mehr aufraffen, quasi in Hausschuhen, so muss es sein, gegenüber die Disko legt erst jetzt langsam los, da würde ich mich auch so reintrauen, aber in 1 Stunde werde ich schon schlafen.
Bin zum Essen über den Fluss gefahren nach Praga, nachdem ich gelesen hatte, dort wäre es vor zehn Jahren für Touristen unbekömmlich gewesen, jetzt enwickle der Bezirk sich stylish und artsy. Es gab in der einen Straße, die ich auf und ab ging, zehn Lokale und zwei Konditoreien, manche wie von Hausfrauen nebenbei, andere hauptberuflich gestaltet, sogar eine Villa mit Fackeln draußen, wie die in Padua, wo wir letzten Sommer so gut und teuer gegessen haben, in den Garten hätte ich mich gesetzt, rein hab ich mich nicht getraut.
Es gibt hier viele Elegante, Frauen besonders, schmale mit kniehohen Stiefeln, die extrem hochhackig sind und das Laufen auf Holperpflaster zu einer Art gymnastischem Robben machen, Männer in Leder mit stark verspiegelten Brillen. Aber auch die stille Eleganz gibt es, die wahre, die nichts mehr beweisen muss. Und gute, sehr teure Autos, aber wenig Luxusjeeps, keine Stretchlimousine habe ich gesehn. Alte Damen in hochwertigen Fellen mit ausgeklügelten Kappen und Mützen drauf. Natürlich auch viele, die unauffällig daherkommen in einem Anorak wie ich. Ich passe hier her (mehr als nach Padua). Dass sich in Polen (wie in Bayern übrigens) Dicke öffentlich nicht verstecken müssen, rechne ich dem Land hoch an. Es hat wohl doch nichts mit Katholizismus zu tun, denn die schmalen südländischen Machos glauben doch auch an den Papst und Maria.
Nachmittags im Café kam es mir so vor, als wäre das eine angenehme Stadt zum Studieren. Keiner spielte sich irgendwie auf, vom arbeitsamen Seminartischgrüppchen über das verliebte Paar über giggelnde Freunde bis zur versunken Schreibenden, manchmal auch Telefonierenden - alle angenehm, das mag Zufall sein, könnte für eine Spanne Zeit vielleicht überall gelten, aber genau für diese Spanne Zeit bin ich unterwegs und für den Zufall, also gilt das, Punkt. In Warschau studiert es sich angenehm, jede Wette. Morgen kommen die Verkehrsmittel dran, ich hab eine Rundumkarte.
Tür geht auf, eine Schwemme von späten Besuchern, ob's hier Rotwein gibt?
quer - 3. Mär, 12:01
Im eisigen Wind auf dem Turm des Kulturpalasts. Den sah ich gestern zuerst, als ich aus dem Tunnel des Hauptbahnhofs kam, es war fast dunkel: ein paar üblich moderne Hochhäuser und mittendrin, sehr für sich, als hätten sich die Kollegen alle nicht so recht an ihn rangewagt, der Zuckerbäckerriese aus der Stalinzeit.
Ein Monstrum von Hochhaus, es heißt, Stalin hätte eine Delegation auf heimliche Reise nach New York geschickt, um dort Stil und Statik des Empire State Building zu studieren, ehe sie sich an den Bau wagten, der dann wohl, wenn Warschau gut gehen würde, auch in Moskau hätte probiert werden sollen.
Vorher starb der Auftraggeber, und mit dem nach ihm benannten Magistralenstil (der aber wirklich auch in New York, im faschistischen Rom und etwas verkümmert in den Verwaltungsbauten am Berliner Fehrbelliner Platz zu finden ist), war es zuende. In Polen war der Riesenturm samt auf antik machenden Flachbauten für Theater, Konferenzen, Feiern nie gemocht worden: die Sowiets hatten der Bombardierung der Stadt vom andern Weichselufer aus seelenruhig zugesehen, jetzt bebauten sie eine leere Fläche als Stempel ihrer Vorherrschaft. Pläne, den palaci kulturij abzureißen, sind heute glücklicherweise vom Tisch. Vielleicht findet eine nächste Generation ihn sogar wieder schick: Wo gibt's sowas sonst?
Warschau von oben ähnelt eher Frankfurt als Berlin. Richtige Wolkenkratzer, Wirtschaftsklötze, Hoteltürme, dazwischen ein Gemisch aus schäbigem Sozialbau, Glasfassaden und bürgerlicher Repräsentation. Wobei alles Alte nach dem Krieg neu gebaut werden musste - unfassbar, mit welcher Gründlichkeit hier unsere deutschen Vorfahren zerstört haben, in zwei Wellen offenbar, 1939 und 44/45, es steht an fast jedem Gebäude.
Dass ich wusste, dass die mittelalterliche Altstadt originaltreu rekonstruiert wurde, hat mir die Freude am Durchstreifen genommen. Dazu kam, dass an diesem kalten Tag eigentlich nur auf Touristen wartende Händler, Kneipiers, Bettler sich dort zu tun machten. Es gibt auch Büros, Galerien, Clubs in der Altstadt, aber niemand sonst war zu sehen, mir kam es vor wie zugige Kulisse. Sicher spürt man gerade durch den Nachbau die Zerstörung noch schmerzhafter.
Wieviel lebhafter, städtischer und nur ein paar Ecken weiter das Universitäts- und Verwaltungsviertel. Klassizistische Bauten (auch sie rekonstruiert), überall schwungvoller Alltag, das Pfeifen der alten überfüllten Straßenbahnen, Cafés für jede mögliche Pause, Blumen- und Losverkäufer, im Strom der Studies in die Parkanlagen, in denen die Fakultätsgebäude untergebracht sind wie in Dahlem, aber eben mittendrin im Zentrum.
In Warschau scheinen geschätzt 70 Prozent Frauen zu studieren. Eine kam grad strahlend aus dem bewachten Gebäude des Dekans, da war wohl etwas sehr gut gelaufen. Dann auf Suche nach einem gepriesenen 'Aufbaumuseum' über Warschaus Geschichte, es hat leider gerade am Dienstag zu, gegenüber ist ein Tauchmuseum, wo ich frage, das deshalb, weil das wohl viele tun, gerade dienstags immer auf hat, aber sie verstehen, dass ich trotzdem nicht bleibe, ich setze mich einfach in einen Bus, der dann wie zufällig am weit entfernten Hotel vorbeikommt.
Vielleicht seh ich jemand ähnlich, manchmal lachen mich Menschen sehr freundlich an, zweimal fragte mich jemand was, ich konnte ja nicht klar antworten. Ich glaube, mir gefällt die Stadt.
quer - 2. Mär, 21:59
Dreckwetter, Schneematschtreiben, Resteverwertung des westeuropäischen Orkans. Der Zug startet mit Heizungsproblemen, vom vordersten Waggon gewechselt, wird es im zweiten auch bald kalt. Halte mich mit Mahlers Rückertliedern wach, was ich vor 30 Jahren schön fand, ist jetzt konisch, was damals unwichtig war, begeistert. Auch das erste der Kindertotenlieder, in allem Düsteren noch viel durchlässiger als das Wetter hier draußen, nur das Lokomotivheulen gerade auf dem Bahnhof Slavko war wie reinkomponiert.
Es hat dann also doch einen Abschied gegeben.
Ostseeküste bei Gdynia, Gdansk so unglaublich hässslich vom Zug aus, so hässssslich. Und es wird nicht besser. Nur das Abteil immer voller, 1 volle Stunde Stopp an einer Baustelle, dann wieder Schritttempo, dreckiger Niesel auf Schneereste, schwarze Schneereste, Betonhäuschen, Müllhaufen, davor angekettete Hunde.
TTRH über Fruits, gerade läuft eine amerikanische Big Band-Fassung von 'Ausgerechnet Bananen' (bzw. vielleicht die Originalvorlage für diesen Schlager), danach Harry Belafonte: Bananaboat.
Wenn doch nur die Heizung hier ein bisschen der karibischen Stimmung in meinen Ohren gerecht würde.
Wieviel Verspätung werden wir haben? Meine Vorfreude auf Warschau ist gesunken auf Null.
Strange Fruit ist ein in Töne gesetztes Gedicht, geschrieben von einem radikalen schwarzen Lehrer aus der Bronx, der nebenbei die Kinder von Ethel und Julius Rosenberg adoptierte, als die Eltern hingerichtet wurden. Seinen Namen hat uns der Moderator so hingenuschelt, dass ich ihn später mal nachlesen muß. Jedenfalls singts Billie Holiday, sie musste die Plattenfirma dafür wechseln.
Was für ein grauer Tag in einem grauen Vorläufig-Land, so siehts hier aus, alles mal eben so hingereicht, abgestellt.
Wundere mich, warum es von Dylans Sendungen nicht schon längst Skripte gibt, sie kritzeln doch sonst jede Kleinigkeit im Netz mit. Ich höre jetzt schon die dritte, der Zug steht wieder.
Jetzt machen sie das Licht an, richten sich auf eine lange Nacht ein, scheints.
Ich sitz in diesem Zug und bin so scheiße drauf,
Dein Billigschuh tut meinen Füssen weh,
dein Vorhang fällt, sodass ich gar nichts seh,
ich sitz in diesem Zug und bin so scheiße drauf,
Ich glaub, die Fahrt hört überhaupt nicht auf.
Er schleicht an jede Kreuzung, Schranken gibt es nicht,
(3x wiederholt wie bei W. Guthrie)
warum ich hier bin, weiß ich wirklich nicht.
Erstaunlich die resignierte Geduld aller andern hier im Zug, der jetzt schon wieder zehn Minuten steht, wohl weil es eingleisig wird und der Gegenzug noch nicht da ist. Keine Ansagen, keine Info durch das Begleitpersonal. Verspätungszeit 1 Stunde 10, bei uns wäre jetzt hektisches Gebrüll ausgebrochen. Hier hockt und seufzt jeder vor sich hin. Immer noch Spätwirkungen der Diktatur oder Abgeklärtheit? Ob mir das sympatisch ist, weiß ich nicht, es gibt zu denken. Und die Schaffner laufen arrogant und unansprechbar durch die Gänge, als hätten sie nichts damit zu tun. Vorhin auf die Frage eines jungen Mannes ganz abweisend: Schicksalsordner. Würde mich rasend machen.
Ich will jetzt da sein!
Ich bin da. Der mächtige Kulturpalast war das erste, was ich sah. Es fing vielversprechend an, aber ich bin müde.
quer - 2. Mär, 10:33
Es ist wie an nichts denken, das geht ja gar nicht. Man sieht und hört zu und deutet. Legt in die Stimmlagen, Gesten, Grimassen was rein - was einem einfällt, einem liegt, was einem sich dazu auszudenken überhaupt möglich ist. Trotzdem ist es überaus entspannend. Die beiden Männer in der Sauna gestern, so lebhaft im Hinundher, haben mich längst vergessen, ich zeige mit keiner Regung eine Stellungnahme, muss mich für nichts schämen, nicht neidisch sein oder staunen, ich lasse ihr Gespräch laufen, arglos, zwangsläufig. Ein junges Mädchen legt sich dazu, sie dämpfen die Stimmen. Ich kann nur vermuten, warum, ich vermute, aus Höflichkeit. Erst als ich aufstehe, fällt ihnen ein, dass da noch einer mit war in der Kabine. Sie grüßen mich, und ich freue mich wie ein blinder Passagier, der entdeckt ist und doch weiter mitfahren dürfte.
Natürlich ist es stressig, wenn man in solch einer fremden Sprache dann etwas will. Muss man möglichst vermeiden.
quer - 1. Mär, 12:36
Hatte mich gewundert, was die Unterwassergemälde im Schwimmbad bedeuten, und der ausgestopfte Taucher am Eingang zum Saunabereich war mir erst nach Tagen aufgefallen. Manchmal stiegen Kinder ins Becken, der Bademeister holte dann schwarze Packen mit Rohren und Strippen hervor, ich seh das ohne Brille kaum, interessierte mich auch nicht. Gestern, am Samstag, waren dann all die Packen am Start. Tiefseetauchen ist eine Spezialität im Senator-Hotel, draußen lag auch die ganze Zeit ein schweres Motorgummiboot im Schnee, jetzt konnte ich es einordnen, das lässt sich auf Gleisen zum Strand schieben, die Tauchermannschaft springt auf und: Hinein!
Gestern kamen sie aus dem Ort, fast alles Männer, schwammen erst einmal 100 Meter in pflügendem Schmetterlingsstil, die Tauchgeräte geputzt und in Reihe ausgerichtet am Beckenrand, schnallten sie sich dann umständlich um, ließen sie paarmal lustig pfeifen, Luft ein, Luft aus, dann noch Schwimmflossen angezogen, Chlorschutzbrillen bereit - und ab: Die gleichen Bahnen wie wir anderen Schwimmer, aber mit was einem Aufruhr, 1 Meter 70 Tiefe, da fährt man als Taucher gewaltig ein, Luft ein Luft aus, mit vier Geräten am Leib nach unten, dann wieder hoch, wieder runter, querbeet, winken, denn jemand draußen am Beckenrand filmt - eine freiwillige Feuerwehr, die testet, ob noch alles geht - eine halbe Stunde später hingen sie schon in den Whirlpools, der Bademeister verstaute die Tauchgeräte wieder, bis Kinder kommen. Oder die Hauptsaison beginnt.
quer - 28. Feb, 21:56
Kolobrecz - größer noch, am Fluss landeinwärts, Center und Rathaus und Gassen auf alt, wie das Nicolaiviertel, muss Kahlschlag gewesen sein in der Stadt im Krieg.
Auch die Basilika wiederaufgebaut, wird genutzt, nicht nur von alten Frauen, auch jungen, die wie in Gesprächsunterbrechung in ein Gebet fallen, erfrischt wieder gehen. Ein Alter wirft sich gleich hinter'm Eingang auf die Knie, das muss weh tun. Wiederaufgebaut noch im Sozialismus, erklärt ein Fremdenführer einer deutschen Gruppe, er wirkt wie mitgebracht und sagt "der Pole" - ich stelle mich nicht dazu. 'Der Pole' hat die Kirche dann auch geweiht, ein Dutzend Bilder und Fotos erzählen es. Andere Fotos und Texte beschreiben die stalinistische Umsiedlungspolitik, eine Stelltafelausstellung, ich stehe lange davor und versteh leider kaum ein Wort.
So geht's mir auch in einem richtig hübschen Café mit richtig hübschen Menschen drin zu schwerer tragender Musik, sie schlürfen farbige Milchcocktails, auf die ich nur zeigen könnte, um sie zu bestellen, das ist mir zu doof. Also einen Espresso. Dann zum Museum of Polish Arms, in der deutschen Variante mit Museum Museum ausgeschildert, als müsse das Wort Waffe vermieden werden.
Kurzfassung:
Mit der Schlacht bei Cedynia 971 geht's los, Brandenburgia contra Slavenvolk, späteres Polen.
Ritterrüstungen, Pfeile, Lanzen, Stilette, rostige Fäustlinge, gebraucht gegen fortwährende Angriffe aus dem Westen, später auch von den Dänen, der Hanse, Schiffsplanken aus dem 17. Jahrh., erste Büchsen, Mantelsäcke, dann kamen die Schweden (es gibt eine Unterbrechung: Ein Handwerker bohrt an der Decke, ich werde gebeten, kurz zu warten, dann geht er laut seufzend, die Museumsfrauen bleiben zurück und eine stille Frage steht im Raum) -
Bomby Granaty zum Schleudern, später zum Explodieren, eine Geschichte der Signale, Hôrner, Lichter, und Sammlung schicker Uniformen, Pistoletten kommen in Mode, aber die strategischen Bewegungen der Armee sehen doch einigermaßen eingeschränkt aus. Kaum Land zum Verteidigen zeitweise da.
Schon sind wir beim 1. Weltkrieg, und danach ist mehr auszustellen, Polska Kawaleria mit ausgestopftem Pferd, Fernrohre, Funker, grüngrau schlicht überwiegt, Motorradboten, Ubior Oficera mit Pelzmantel, Stacheldraht, unversehens KZ-Kleidung. Eine 'Kolberger Zeitung' im Original: "Der Führer ebnet den Polen den Weg - Warschau aber lehnt ab!"
'Bekanntmachungen': Todesstrafe auf das Beköstigen von Juden und
Auferlegung von 10.000 sl. Strafe auf das Dorf Solki wegen Unterstützung russischer Kriegsgefangener.
Dann die Rote Fahne des Batalion Odra.
Allierte Uniformen jeder Art stehen in einem Schrank, die sowietische keineswegs vorneweg, ein Manifest Polskiego Komitetu wyzwolenia Narodowego aus Chelm, 22.7.44, burka-ähnliche Verkleidungen für die Männer in den Unterständen, dann der Sturm von Kiew über Lublin, Warschau, Bydgoszcz zur Oder und rein nach Berlin.
Kriegsarchäologie: am 4. März 45 bei Kolobrzeg abgeschossenes deutsches Flugzeug Focke-Wulf 190 F wird im Herbst 91 aus dem Meer gefischt, Taucher bringen die Devotionalien hoch: Soldbuch, Schießbuch, Zehnmarkscheine, Leistungsbuch, Zirkel, Lineal und Nagelknippser. Die ertrunkenen Feldwebel Horst Stobbe (Pilot) und Gefreiter Johannes Ewers (Mechaniker) werden am 9.1.92 auf dem polnischen Militärfriedhof beigesetzt.
Dann Kampf um Kolberg (deshalb der Kahlschlag draußen, die Pseudoaltstadt) am 18. März 45, ein Panoramabild mit Schlachtenlärm und Meeresgrimmen als Geräuschkulisse erzählt davon. Vor das Bild hat man an einem 'Strand' Fundstücke aus den Tagen damals hingelegt, zerrissene Helme, Reifen, Raketen, Mörser, Stiefelsohlen (man geht barmherzig mit den Gefühlen der Betrachter um).
Während ich noch gucke, ist der Handwerker wieder da und bohrt weiter. Auf einmal Fluch, Aufschrei, Stromausfall, still liegt der Schlachtmüll, das Tonband steht.
Draußen im Hof für die Kinder dann die eigentliche Überraschung: Jede Menge rostige Lastwagen, Kleinflugzeuge, Raketen, Barkas, Motorräder, alles, was ein Abenteuerherz begehrt.
Beim Weitergehen fällt mir auf, wie in Mode hier noch diese Freizeitsoldatenkleidung ist mit Tarnhosen und Netzhemden. An der Mole werden robbende MP-Soldaten im Batteriebetrieb verkauft, Iraque-proofed? Und dass es Grund zum Feiern gab, als Polen wieder ans Meer kam nach dem Krieg, Vermählungsdenkmal, ist jetzt auch klar geworden.
So schärft der Museumsbesuch den Blick auf die Wirklichkeit - anstrengend aber schon...
quer - 27. Feb, 15:07