Reisen

Freitag, 26. Februar 2010

Diätclub

Sie kommen morgens immer kurz nach mir, gegen Neun, aber anders als ich gehn sie nicht ans Buffet und ordern sich Rührei mit Speck, Käse, Schnittlauch oder Pilzen. Der Kellner bringt ihnen Brot und Gemüse, Saft und Tee, sein Lächeln gemischt aus fürsorglich und schadenfroh. Sie kommen auch nicht aus dem Bett wie ich um Neun, mit Stöcken kommen sie, luftgeglühte Gesichtshaut, vom Wandern seit weiß-ich- wie-lang. Ich weiß es eben nicht. Acht Frauen, von sehr unförmig bis eigentlich schon schlank. Lustig, einander lustig machend essen sie. Dann wird wohl eine Pause sein. Um Elf sind sie im Bad, und eine Trainerin trimmt sie fast wortlos eine Stunde. Die Heldinnen. Am Nachmittag das Gleiche noch einmal. Ich sehe meistens zu von meiner Liege oder schwimme am Rand etwas hin und her. Sicher denkt die eine oder andere: Der hätte es aber gerade nötig, der. Wenn ich das denke, will ich immer rüber winken, hab ich einmal auch gemacht, war wohl der falsche Moment, hat keine interessiert.
Die Trainerin ist halb so groß wie die Diätclub-Frauen, halb so alt, und in anderer Lebenslage oder Hierarchie wäre sie deshalb wohl ganz unten. Jetzt regiert sie ihre Gruppe ohne Worte, nur mit Schnalzen, Klatschen, Gesten. Die wildesten Verrenkungen führt sie vor und verlangt die Umsetzung im Wasser. Über ihren Frauen an Beckenrand steht oder hockt sie, springt plötzlich in eine Stellung, in die man mich schmerzvoll und langwierig verknoten müsste. Und die da unten im flachen Wasser ja auch. Und verlangt trotzdem die sofortige Nachahmung. Kontrolliert das Gelingen, Grade des Fortschritts. Lächelt eigentlich ununterbrochen, so aufmunternd und wegwischend, nimmt die Füße hintern Kopf, bleibt trotzdem gerade stehn und lächelt: Los! Das ist doch gar nichts!
Die Diätclub-Frauen wissen, wofür sie hier sind, dass sie dafür bezahlt haben. Das macht sie leicht und froh, auch wenn die meisten von ihnen schwer sind. Man merkt es kaum, kommen sie im Gang entgegen, sie lachen mich an, ich lache schüchtern zurück und fange an, sie um die Aufgabe zu beneiden, der sie sich unterziehen, ob sie nun abnehmen werden dadurch oder nicht. Ich wünsche ihnen, dass ja.

...

12 km Strand in jeder Richtung, menschenleer, da hoffe ich wieder klarzukommen. So Hanns Dieter Hüsch, frei zitiert. Hier ist es Schneestrand, funkelnde, genauso schneeweiße Gischt, lachende Augen der Sonnenanbeter, wenn sie vor Hitze aufschauen. So plötzlich so heiter die Gegend. Alle wussten es schon, als ich dazukam. Wir müssen stapfen, um voran zu kommen, Vorsicht, nah bei den Wellen ist man plötzlich über ihnen. Ein paar Möven kapern sich eine Eisscholle zum Draufschaukeln. Ich warte, dass Skifahrer hier vorbeiziehn.

Mittwoch, 24. Februar 2010

Nach Kolberg ...

... das ich nach der Schrift früher Kohlobretz aussprach, bis ich merkte, das es Kowobtscheck heißt. Das erste Mal hier war es heiß, wir staunten über den Fährbetrieb nach Bornholm, denn zwischen Dänemark und Polen lag für uns vor 11 Jahren mehr als ein Meer. Das zweite Mal hier, drei Jahre später, zeigte mir Max an einem Riesenrad im Vergnügungspark eine Plakette 'Tüv Bayern 1964', und wir fuhren dann nicht mehr damit.

Jetzt Kaffeehaus-Jazz im Bus. Dann George Michael und ein Chanson, eine Art Radio Figaro beschallt die Fahrt, da hat die Euro-Integration wohl nicht ganz gegriffen, denn auch wenn die Programmqualität ein Zufall war: das professionelle Schweigen des Fahrers zu 20 gleichzeitig tuckernden iPods wird erst noch kommen.

In Kolberg Urlaubsstimmung, dem Wetter getrotzt. Flaniermeile vor dem Sanatorium Uzdrowiskowe, in das ich hätte auch gehen können, es klang mir so medizinisch - ich hätte dann wildes Rentnerstadtleben um mich gehabt. Und wo ich gestern allein war, am vereisten Strand, wandern hier hundert und erholen sich fest entschlossen.

Die schweren grauen Wellen treiben immerzu unter das Strandeis, höhlen es von unten aus, aber der Wind ist viel friedlicher als 'da draußen, wo ich herkomme', als wollte er Rücksicht nehmen auf alte Paare, die hier flanieren und einträchtig deutsch reden. Pommernland. Oder die Händler, die sich mit Ramsch einen abfrieren. Ein vielleicht 11jähriger windet sich als Schlangenmensch zu einer polnischen Version von We Are The World. Eine Gleichaltrige spielt als Berufskind stoisch Gummistrippenschlagball vor einem Denkmal, bis zwei alte Tanten auf deutsch sich gluckig interessieren, sie hockt sich freundlich vor sie, bis klar wird, dass die nur schwatzen, nichts kaufen. Der Blick, den sie aufstehend um sich wirft, vertreibt mich gleich mit. Werde nicht erfahren, was für eine Sitte das ist: Vermählung von Meer und Armee, der mit dem Denkmal gehuldigt wird - es klingt so albern wie das Monument aussieht.
Jetzt am Hafen zu warmem Apfelkuchen dies Tippen mit einem Finger. Das Lied, das grad spielt: In the Army Now.

Nachtrag: Kowobtscheck ist ein Hafen, zwei Altstadtreste, viele Parks, um die Hochhäuser rumstehn, die eine Stadtgröße vortäuschen, die nach 15 Minuten Fußweg in jede Richtung zuende geht. Bei der Einfahrt hab ich eine große Kirche gesehn, die war dann wie weg.
Am Bahnhof isst man gut und billig.

Nachtrag 2: die Kirche ist riesig und war beim Rausfahren angestrahlt. Will nochmal hin.

Dienstag, 23. Februar 2010

Ausflug nach Dzwyrzino

Badeorte im Süden zur Nachsaison sind oft traurig und wie vernachlässigt. Man schlendert wehmütig dort entlang, wo es einmal heiß und bunt war und fand sich damals lebendiger. Badeorte an Polens Ostseeküste haben auch zur schönsten Sommerzeit nichts richtig Malerisches und wenig Verführerisches an sich, es sei denn, man wäre 15 und jede Aussicht auf Nacktes, Alk oder Fetenremmidemmi wäre willkommen.
Ein polnischer Ostseebadeort im kalten Winter ist also die athmosphärische Härte selbst. Eine nackte Kleiderpuppe, von der man sich auch behängt nichts verspricht. Ein abgeblätterter Metallzaun, der in den Boden abgesunken eine aufgegebene Baustelle absperrt. Ein ins Wasser führender Kai, der in ein Abflussrohr, das rostet, übergeht. Das alles gibt es in Dzwyrzino. Das einmal Dwirin hieß. Wo bis vor 15 Jahren Baustopp war wegen militärischem Sperrgebiet. Der Ort ist so hässlich, dass er mir das Herz weit gemacht hat. Und wie so oft in der schlimmsten ästhetischen Öde: Die dort Lebenden großzügig, freundlich, gelassen. Ein wenig verloren zwischen ihren abblätternden Schildern und Wegweisern, die von einem anderen Leben erzählen, das wiederkommen soll: von ryby, lodi und Foto Filmy.
Dann aber abgebogen zum Strand: Der Wind viermal stärker, die Buhnen eingefroren und überhäuft von bizarren Eisfiguren, das Wasser grau, ruhig tobend, eine gewellte Fläche, die sich gar nicht groß anstrengen müsste in ihrer Kälte und Kraft, um sich zu holen, was da hinter dem kleinen Wällchen so lebt. Diese Ostsee hier hat den gleichen Namen wie das Seenland um Flensburg herum? Muss ich glauben.

...

Ich geh gleich schwimmen. Schätze, ich werde der einzige sein. 3 Whirlpools und 3 Bahnen mit 25 Metern Länge werden bereitliegen, 25 Badeliegen bereitstehen mit Blick auf den verschneiten Grillplatz und die Dünen dahinter. Seit gestern Nacht weiß ich, das dann das Meer kommt. Es ist immer wieder schwer, sich den Einbru...ch von Katastrophen in solch abgesicherte Anlagen, Sicherheitsrat - und Energiemonster vorzustellen, und wenn der ganze Aufwand für vielleicht 25 Gäste betrieben wird, fühlt man sich stark und wie eingeflogen. Und wenn es hier voll ist im Sommer (und den Parkplätzen nach muss es höllisch voll sein), wird man an ganz andere Dinge denken. Aber gestern Nacht am verschneiten Strand dachte ich begeistert: Das kann nicht gut gehn.

Montag, 22. Februar 2010

Reisebericht 1

Der Zug knarrt zwischen den Waggons, so, wie ich mir die Reise vorstelle: laut, gemuetlich, kaputt. Auch die Sprache ist schon die andere: Zisch zisch zisch sagen die Frauen, die aufgeregt Platz suchen fuer ihre Gruppe.
Sobald die Stadt vorbei ist, kommt das Winterland wieder, ein bisschen schmuddeliger der Schnee, so wie mein Anorak, der ja auch 4 Monate Wintergebrauch Tag fuer Tag an sich hat. "Das ist gut, das macht unauffaellig", sagte Kristjane gestern noch. Und so kreuzen wir unauffaellig aneinander vorbei, Winterland und ich.
Parsteiner See, auf dessen weiches Eis wir uns noch vor 5 Tagen wagten, kommt mit Sonne - und vorbei. Ob der Schnee an der Garage schon geschmolzen ist?
Jetzt geht's langsamer voran, Kraehen fliegen mit. Ein Kind macht in der fremden Sprache sehr laut: Mama - tuut -
"wie wir die Leute freisetzen, das ist jetzt angesagt", ruft eine klare Frauenstimme in ein Telefon. So ein Satz, der frueher mal ganz anders gemeint sein konnte .
Hinter Feldern mit Hasen drauf dann die Grenze.

In Stettin natuerlich den Kantor mit dem schlechtesten Kurs erwischt - lern dich dran freuen? Kuemmer dich nicht drum.
Ausfahrt aus dem Bahnhof (den ich extrem groesser, ueberdacht und menschenvoll in Erinnerung habe, diesmal nix als eine popelige Freiluftbaustelle): "Why did you leave Heaven for all these ugly things?"
Dann aber die vereiste, in Stuecken gehaeckselte Oder, Eiswasser fuer einen Riesen-Drink.

Zuckeltrapp. Rudel Rehe direkt an den Bahngleisen, ob sie hier mehr kriegen als vor den spaetgotischen Domen alle paar Kilometer am Kuestensaum? Schneewehen, in die man aussteigt, wenn man hier aussteigt.

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