Reisen

Freitag, 2. Juli 2010

Cluj letztes Mal

Cluj, gesprochen Klusch, Klausenburg oder Kolozsvar, eine jahrhundertelang halb sächsische, halb ungarische Stadt, später Sitz der nationalen ungarischen Bewegung, erst um 1960 bekam es eine mehrheitlich rumänische Bevölkerung. Die Ungarn hatten zu Hilfe der Nazis vorher ca 16000 Juden in Lager verfrachtet (und selbst vernichtet?), waren nach Einmarsch der Roten Armee dann selber geflohen, und erst die Industrialisierung der Uni - und Verwaltungsstadt hatte landflüchtige Rumänen reichlich nachziehen lassen. 1974 bekam die Stadt noch den Zusatz 'Napoca' verliehen, nach der römischen Siedlung, die hier bestanden hat.

Die sehr nette junge Beraterin im Tourist-Infoshop, die sich so freute, als ich, der natürlich mit Englisch angefangen hatte, plötzlich 'zwei' sagte ("ach, man hat zwei Fahrten auf einem Ticket?" - "zwei?, ach, dann sprechen Sie deutsch?!" ), schrieb mir ein paar rumänische Floskeln auf, wir lachten viel und schauten uns in die Augen, bei irgendeinem Wort sagte ich übermütig: "klingt wie ungarisch", sie stockte, dachte wahrscheinlich: der meint das nicht so, und sagte sehr entschieden: "Nein."

Cluj liegt genauso weit weg von Bukarest und Budapest wie von Belgrad. Würde ich morgen nicht nach Dortmund zurück - und 'hoch'fliegen, könnte ich mir einen Bus nach Serbien suchen, das würde zu dieser Reise gut passen. Cluj ist Unistadt, Handelsplatz, nachts in den alten Gemäuern haben Clubs auf mit neuester Elektromusik, tags spielen Gypsymusikanten, ich trudelte abends in eine riesige, matt beleuchtete Bingohalle, aß billig Leber mit Krautsalat, wurde von der bisschen bedudelten Kellnerin fast mit der Vorsuppe überschüttet, "komm wieder, morgen", sagte sie zum Abschied.
Überhaupt sprechen viele deutsch. Als ich mit einem frischen Unterhemd im Kaufhaus an der Kasse stand, meinte die Verkäuferin, ohne vorher mit mir gesprochen zu haben: "Zu groß, ist zu groß", und gab mir ein kleineres.
Sachsen kommen zurück, manche waren nie weg, zwischen der Zeit, wo sich die Mädchen Nylonstrümpfe auf die Beine malten und bestenfalls nach Moskau kamen oder Ostberlin, und den Jahresstipendien in Stockholm, Melbourne oder Mexiko-City jetzt ist ein Riesengraben. Dreißig Jahre, wie wenig Zeit...

Cluj ist wohlhabend. Kanada wirbt hier wie in Moldavien mit Emigration, aber hier ist Europa nicht nur mit Fahnen an Häusern präsent. Eine Busfahrt kostet sieben mal soviel wie in Chisinau, und es wird als billig empfunden. "In Budapest kommt der Preisschock", sagt Jonas und meint den Flughafen bei Zwischenstopps - hier vielleicht ist schon ein bisschen Budapester Vorgarten. Hochsommer jetzt, ich sitze am Springbrunnen mitten in der Stadt, eine Uniabschlussclique feiert sich und fotografiert sich in allen Konstellationen, zwei missgelaunte jüngere Frauen betteln, neben mir auf der Bank probiert ein alter Mann sein neues Handy aus. Mittagshitze, hinter mir der Palast der Banffis, ungar. Adel, einer von vielen Palästen, die sie zurückfordern gerade.

Einer der Banffis hat in den 30ern einen dreibändigen historischen Schinken geschrieben, der um 1920 spielt und sich wunderbar liest, jedenfalls auf Englisch, schreit nach Übersetzung auch ins Deutsche, und nach Film, ich habe ihn gerade in Cunt angefangen zu lesen. Jetzt kommen neue Doktoranden, mit Käppi und Robe, fallen fast in den Springbrunnen.

Zu dem Ball, den Ulrike, Jonas und Benze in genau einem Monat hier bei Cluj, Kolozcvar auf einem Schloss organisieren werden, hat Prinz Charles soeben zugesagt. Ich denke an die schöne Kutschfahrt, die wir vorgestern noch gewagt haben, haarscharf vor einem Gewitter in die verlassene Staatsplantage voll mit Apfelbäumen, zahlreiche Hektar. Ein einsamer alter Mann bewacht das Ganze, 700 Menschen haben hier gearbeitet, es war jetzt wunderbar still dort, 'was für Leben muss hier gewesen sein'', dachte ich.
Keiner erntet mehr.
Herrlich heiß, und zum ersten Mal seit Odessa nicht schwül dabei. Mein letzter Tag, ich mache mich auf den Weg.

Es grollt dann doch von fern. Friedhofspaziergang, Villen mit Chauffeuren, dazwischen aber auch windschiefe Häuschen mit ganz viel Kinderspielzeug davor. Windspiele und Straßenköter beschnüffeln sich. Dann der Botanische Garten, hier direkt an die Universitatule angeschlossen, wirkt eng und verwissenschaftlicht, weitet sich aber und wird zum Irrgarten. Japanischer Teich, Wildwasser, tiefer Wald, Kunstfelsen und geheimnisvolle Statuen. Da kann Chisinau nicht mithalten. (Auf der Ausfallstraße vorhin ein großer komfortabler Bus nach Chisinau, er wird ca.14 Stunden fahren, jetzt ist es 18 Uhr, gegen 6 ist er an der Grenze. Ich seh den Anfang der nächsten Reise vor mir.)
Dann doch ein kleines Gewitter, ich war grad im Aussichtscafé, sie packten dort hastig zusammen, jetzt Stadtnacht. Sehr ähnlich wie in Lviv, was zum angenehmen Eintauchen. Ich breche ab, um von dem Abend noch was zu haben. Verschreiben kann ich die Abende immer noch.

Dienstag, 29. Juni 2010

Cunt / Fortsetzung

Ungarn, westlicher Nachbar, rückt in den Blick bei meinem langen Aufenthalt hier. Die Adelsschicht Ungarns hat knapp 1000 Jahre lang Transsylvanien 'besessen', regiert, mal direkt, mal in Schutz und Windschatten der Habsburger Dynastie. Außerdem leben und arbeiten hier Ungarn, und es gibt noch die Szekler, besonders alt ausgewiesen, quasi besonders ungarische Ungarn. Erst nach dem 1. Weltkrieg kam Transsylvanien zu Rumänien, dem kurz vorher gegründeten Staat.

"Der Bevölkerung, überwiegend Rumänen, war das wohl nur Recht", drückt ein ungarnfreundlicher Autor die Tatsache dieser nationalen Heimführung aus, wie nett. Ungarn, heißt es hier, sind furchtbar nationalistisch. Sie bewahren ihre Folklore eisern. Außerdem sind Ungarn Machos. Aber Ungarn sind auch die Gehobenen, Kulturmenschen. Ihr Reichtum ist alt, während der der städtischen Rumänen in den letzten zwanzig Jahren entstand, also protzen sie mehr damit.

Die Rumänen, jedenfalls in Transsylvanien, so mein Eindruck, waren lange die Arbeiter, Tagelöhnermasse, anzuleitendes Volk. Ähnlich wie die Ukrainer ein Land weiter nördlich, auch sie geschickt ruhig gestellt von der Habsburger Administration, die Rolle der Ungarn nahmen dort die Polen ein. Beide Male interessant, wie Nazideutschland sich als
Verbündeter der Unterschicht aufspielen konnte, bis es die Maske fallenließ - Hitler/Stalin - Pakt, Slawenvernichtung.

Ich sitze auf der Veranda des Restaurants, alle schlafen, Pferde, Grillen und irgendwo der dicke Nachtwächter, das Wetter ist anscheinend umgeschlagen, 10 Grad wärmer plötzlich, alles lebt auf unterm Sommernachtshimmel, was hab ich mich in den 5 Regentunnelnächten danach gesehnt!
Die protzigen Großstadtrumänen kommen hier ins Lokal und die adligen Ungarn auch. Es liegt an Jonas' hervorragender Küche, die Empfehlungen in Gourmetmagazinen und auf angesagten Netzseiten gebracht hat. Einmal soll die inoffizielle Kronprinzessin der ungarischen Königsfamilie dabei gewesen sein, ein kleines Kind, vor dem auf der modrigen Dorfstraße dann ein paar ungarischstämmige Dorfbewohner plötzlich auf die Knie fielen und ihm die Hand küssten. Dem Kind soll das gar nicht ungewohnt gewesen sein.

Vorgestern war der Forstverwalter einer ungarischen Adelsfamilie mit Besitz im Rumänien zu Besuch, ein anregender deutscher junger Mann, genannt Benze, mit seiner rumänischen Freundin, die als Architektin hofft, bald in Berlin zu arbeiten. Es wurden sofort Witze über Rumänen und Ungarn gemacht. Ein Paar aus Bukarest, das am Nebentisch saß, kriegte das meiste mit, mir war das unangenehm, als einzigem, glaub ich. Ich gebe zu, vom Bukarester gedacht zu haben, er sei so ein protziger Neureicher mit seinem Off-Roader, dem Rennrad, dem kleineren Allrad zuhause, von dem er erzählte, für Geländetouren mit Freunden, mit seinem "unfortunately Yes" auf meine Frage, ob das grad eine Zigeunersiedlung gewesen sei am Ende eines Dorfes, an dem wir vorbeifuhren - aber dann las ich seine Eintragung ins Gästebuch auf Englisch, so zart und schwungvoll ("what can you write into a guestbook, if you were treated as a friend?"), und meine Voreingenommenheit zerstob.

Besagter Benze hält es für einen volkswirtschaftlichen Vorteil, dass Wald Privatbesitz bleibt bzw. wieder wurde, und hat als Gegenbild den korrupten rumänischen Staat vor Augen. Dass Korruption hier die Ausgangslage ist, sagt jeder. Wobei es vielleicht einfacher ist, bei einer Bürokratie Fehler zu finden als bei einer womöglich menschlich zugeneigten oder charismatischen Besitzer-'Familie'. Ich selbst halte eigentlich das Erbrecht für die größte Korruption, denn es gibt Menschen Macht, die dafür nichts leisten mussten als geboren zu werden. Mit der Meinung steh ich allein, wie ich weiß.
Der ungarische Adel in Rumänien wurde übrigens nach 89 voll entschädigt oder wenn gewünscht wieder ins Besitzverhältnis gesetzt. Trotzdem nage ein bitterer Zorn über die schleichende Vernichtung des Ungartums an seinen quicklebendigen Exponenten, sagen leicht genervt Ulrike, Jonas und Benze.

Vielleicht prägen aber die Zigeuner dieses Land mehr als angenommen. Beim Rumfahren mit dem Mietauto kommt es mir so vor. Bizarre Gestalten, jung, alt, hell, dunkel, man lagert vor den Häusern, hängt an den Brücken rum. Viele Rumänen wären gar nicht registriert, erzählt jemand, viele Zigeuner geben sich als Sachsen oder Ungarn aus.
Statistiken relativieren sich, Schwarzarbeit liegt so nah. Die rasende, durch Schlaglöcher kontrollierte Kette der Autos wird demütig langsam, wenn ein entgegenkommendes Fahrzeug blinkt. Dann ist Polizeikontrolle zu erwarten. Ist die vorbei, wird gleich wieder gerast. Es geht nicht so dumpf bretternd zu wie in Moldavien, aber man kann nie entspannen, schon wegen der Schlaglöcher nicht, die hier nach glatter Fahrt über Kilometer als plötzliche Vertiefung, echtes Loch, auftauchen, einen anspringen. Reifen kollern ab, ich hab's gesehn.

Fahrt nach Hermannstadt, Sibiu. War 2007 europ. Kulturhauptstadt, dementsprechend hinweisfroh und mehrsprachig beschildert ist alles irgendwie Alte. Tourismus blüht selbst in dem widerlichen Nieselregen, in dem ich ankomme und mir einpräge, wo das Auto steht. Detail bei der Stadtpfarrkirche: die Orgel von 1915 stammt von der Firma Sauer aus Frankfurt/Oder, mit der auch Hanns Henny Jahnn ein paar Jahre später zusammearbeitete, und war eine ihrer ersten elektropneumatischen Werke.
Besonders hübsch: Die Piata Mica, der 'Kleine Ring', Marktplatz der Handwerker. Voll Cafés jetzt, freundlich und preiswert. Ich streife das offensichtlich deutsch geprägte Musiklokal Hermania, ein Saal mit Kamin, Instrumenten, einer 'Willkomens-Tafel', Kellnern in Tracht und penetrant deutschem Schlager über die Boxen, 'Das Fass ist leer' usw.
Dann ins Völkerkundemuseum 'Franz Binder', der im 19. Jahrhundert hier als Apotheker lebte und eine Weile österreichischer Konsul in Khartoum war. Fing an, Kult - und Kunstgegenstände vom Nil zu sammeln, gründete eine ethnologische Gesellschaft in Hermannstadt, Grundlage des Museums, das später mit anderen Einrichtungen tauschte und seit 1993 auch Geschänke afrikanischer und asiatischer Staatschefs an Ceauscescu mit ausstellt. Ein Sammelsurium. Mich führt sehr nett ein älterer Herr mit rudimentären, stark dialektgefärbten Deutschkenntnissen (ich verstehe halb, dass er sich die auf einer 'sächsischen' Schule in der Kindheit erworben hat, selbst aber Rumäne ist), der mich von Raum zu Raum mit leisen Rufen lockt wie: "Schau! Alt, särr alt, fürr Frau, zu Schmuck. Hals. Särr eng! Von Ceauscescu." Mit einem sanften ironischen Lächeln immer. Die Ausstellung mündet in der Präsentation einer echten ägyptischen Mumie aus ptolomäischer Zeit samt Beschreibung der Tochter des Konsuls, der sie 1905 einem anderen Ausgräber in Luxor wegschnappte bzw. in letzter Minute gegen eine, "die stank", zurücktauschte. Dieser Brief und die lächelnden Bemerkungen meines Führers kontrastieren aufs Angenehmste mit den großen Themen, unter die das Museum seine Sammlung stellt: "Reglosigkeit. Die Haltung dem Tod gegenüber." Oder: "Die possessive Geste. Aquisition und Aggression."
Ähnliche Überschriften gab es auch im Museum zu Chisinau - eine Generation postmoderner, strukturalistisch geformter Ethnologen ist in den Chefsesseln gelandet, weltweit wahrscheinlich.
Rückfahrt an der Wehrkirche von Birthälm vorbei, ab hier ist wieder Sommer, Menschen stellen Bücher nach draußen mit Geschichten und Filmen zum Thema Siebenbürger Sachaen, und reden in einem halsbrecherischen Uraltsüddeutsch miteinander, dass es eine Freude ist, Mäuschen zu spielen und zu lauschen (das schnell angeknippste Handy nimmt leider zu dumpf auf in der Jacke). Der Kirchgang selbst wird ein bisschen verleidet durch zwei laute Bildungsschichtler reichsdeutscher Provinienz, die hier alles kennen, besser wissen als die Einheimischen und vor allem, hätten sie nur die Zeit dafür, alles auch besser in Schuss hielten. Aber sie müssen ja Schulen leiten in Niedersachsen und Schwaben - wer, wenn nicht sie?

Während Deutschland gegen England anspielt, durchquere ich das Nest Scharosch an der Kokel, einst deutsch, jetzt Zigeunerdorf. In der Abendsonne liegt, fläzt alles vor den Häusern, ausgespuckt wird, cool gewinkt, vor dem Auto mit Hüftschwung einherstolziert. Bisschen später Straßenstände mit Kupferkesseln, kleinen Handkaffeemaschinen, Besteck. Wildbärtige Gesellen, aufgeregt winkende Frauen. Irgendwas hält mich ab, zu halten, der Verkehr, Sorge um das Mietauto, meine Unfähigkeit, Nein zu sagen?

Hier ein paar Ausschnitte aus dem Buch von Franz Remmel über die rumänischen Roma:
"Die Zigeuner nehmen an, sie hätten ein Vorrecht auf Ostern. Der Sage nach haben ihre Vorfahren die Nägel geschmiedet, mit denen Christus ans Kreuz geschlagen wurde. Um aber die Pein des Herrn zu lindern, haben sie einen der Nägel gestohlen. Weil nur noch drei Nägel übrig waren, legten die Häscher Christus die Füße übereinander und
schlugen beide mit einem Nagel an."
"Gegen den neugewählten Bürgermeister demonstrieren die Roma in Târsa/Kreis Alba. Als Gegenleistung für die Unterstützung seiner Kandidatur hatte er jedem Roma-Wäeine einen Sack Kondome versprochen. Die Stimmenmehrheit hatte der Kandidat erzielt, aber die Kondome kamen nicht."
"Mehrere rumänische Eltern schwächerer Schüler haben sich als Roma erklärt, sich in Romaorganisationen eingeschrieben und eine Bescheinigung über ihre vorgetäuschte neue ethnische Zugehörigkeit erbracht. Grund dafür war die bevorzugte Möglichkeit für Romakinder, sich auch mit kleineren Durchschnittsnoten als gefordert in namhafte Lyzeen einzuschreiben. Für Romakinder sind in Bukarest 1400 Plätze im Schuljahr 2004/05 reserviert. Vermutlich werden aber nur 800 besetzt."

Freitag, 25. Juni 2010

Zwischenbericht Cunt

Nachts sternklarer Himmel, aber die Bewölkung bleibt. Der Rhythmus auch, der angefangen hat, als ich hier mein Zimmer bezog: man hat den Tag für sich; umrahmt von einem prima Frühstück mit warmen Brötchen, Obstsalat und scharfer Salami (um nur eine kleine Auswahl zu nennen) und einer krönenden Abendmahlzeit (Jonas ist ein hervorragender Koch geworden) kann man herumspazieren, lesen, schreiben, reiten, Bogen schießen. Man kann nicht weg, es sei denn, man wird mitgenommen. Es gibt kein Handynetz hier, das wlan ist langsam und verschwindet manchmal ganz. Ich muss mich zur Ruhe ermahnen. Schreib, sag ich mir. Lies. Wandere.

Ulrike und Jonas beschwören die 60-70 Gäste, die sonst hier sind, sonst eigentlich immer hier sind, dann muss es im Gastraum und auf der Veranda eng sein, jetzt wirken sie überaus großzügig auf mich, allein mit einem rumänischen Paar und einem deutschen, die aber weitab in einem der ca. zehn Gästehäuser im Dorf wohnen. Mit ihnen wurde vorgestern Fußball geguckt, die junge Frau wurde plötzlich ohnmächtig, ihr Mann sagte, das passiere schon mal, Ulrike als ausgebildete Krankenschwester sprach von einem epileptischen Anfall, der Mann meinte: "Eigentlich nicht", und Jonas sagte leise entsetzt: "Sie ist mir neulich noch im Auto entgegengekommen. Am Steuer." Ich merkte mal wieder meine Hilflosigkeit bei solchen Gelegenheiten. Nach ein paar Minuten war die Ohnmacht vorbei, das Thema wurde von allen vermieden.

Leider sind die beiden deutschen Bukarester mit ihrem Kind am zweiten Tag abgereist, mit ihnen konnte man über die Zeit weg zwischen den großen Mahlzeiten kleine Plauderviertelstunden einlegen, je nachdem unverbindlich oder nachhaltig, sich über das Sozialsystem hier informieren, die Zerrissenheit der SPD streiten, den Umbruch im Urheberrecht referieren.

Das soziale Gefälle am Ort, im Gästehaus und in den Erzählungen von Ulrike und Jonas ist gewaltig. Hier tauchen amerikanische Militärattachees samt Damen auf und Vermögensverwalter der Habsburger und werden von einer Mibesitzerin empfangen, die aus dem linientreuesten DDR-Elternhaus stammt und in der linkesten PDS-Ecke aktiv war, hier leben gestörte und zurückzuführende Jugendliche aus Deutschland, arbeiten rumänische, sächsische und ungarische Küchen- und Hauswartskräfte nicht unbedingt im Frieden miteinander - zu früh, es besser zu verstehen.

Gestern traf ich auf einer Leiter stehend, umringt von ein paar Dorfbuben, den dichtenden Malermeister Theobald Fuchs, den ich zuletzt vor ca. 15 Jahren in Steinberghaff an der Ostsee gesehen hatte, plötzlich damals aus Deutschland verschwunden, im Clan eines Hasadeurs zum Pädagogen ausgebildet, nach einer Odyssee in verschiedensten Kinderhäusern von Jonas' Vater, der in Cunt Hilfe brauchte, hierher gebeten - "jetzt fahre ich nach Deutschland nur noch, wenn ich muss." Eine andere Art Heimkehrer, der gerade Besuch von Tochter und Exfrau hat. Alt geworden, unverändert, wenn man eine Weile redet.

Von ihm erfuhr ich auch, dass ein paar Fakten aus meinem vorigen Abschnitt falsch sind. Noch unter Ceauscescu, seit ca. 1980, wurden die Siebenbürger Sachsen von der Kohl-Regierung hier rausgekauft, und zwar mit Gewinn für den rumänischen Staat, der ca. 3000 DM pro freigegebenem Kopf bekam. Man achtete sehr darauf, dass Gutausgebildete zunächst in Rumänien ihre Fertigkeiten einsetzten, aber wenn ein Antragsteller nicht mehr gebraucht wurde, bewilligte man seine Bitte und gab ihm oder ihr dann drei Tage Zeit bis zur Abreise. Dementsprechend wurden unqualifizierte Siebenbürger Sachsen zur Ausreise gedrängt, um dem Staat die Kopfprämie zu ermöglichen.
Also revidiere ich mein Urteil über die Gierigkeit dieses Volksschlags, wage aber ein anderes: Der Deal mit Menschen und Geschichte hier war kein Ruhmesblatt der Regierung Kohl. Eher: An etwas drehen, um Geschichte zu 'machen'.

Vorgestern fuhr ich mit nach Schäßburg, mittelalterliche siebenbürgische Pracht, ein Regentag wie in Rothenburg ob der Tauber, in Capes gehüllt wie in meiner Kindheit die Besucher, viele Deutsche natürlich, man macht sich lächerlich, wenn man in miserablen rumänischen Brocken bestellt und wird auf deutsch korrigiert.
Schäßburg, Sigishwara, zieht sich am Berg hoch, unten der moderne Ort, auf halber Höhe Markt und Klosterkirche, Hauptkirche der Sachsen, die hier noch leben. Eine Liedertafel ist aufgehängt: "Beichtlied, Eingangslied, Einigungsspruch, Bittruf, Lobpreis, Hauptlied, Glaubenslied, Predigtlied, Schlusslied".
Die Wehranlage von Schäßburg umschließt das mittelalterliche Gebiet mit "Stundturm, Gerberturm, Zinngießerturm, Seilerturm, Fleischerturm, Castaldo Bastei, Kürschnerturm, Schneiderturm, Schusterturm, Schlosserturm, Kurtinen", so steht's auf einer Infotafel der EU, alles erhalten.

Die Bergkirche ganz oben, zusammen mit der deutschen Schule, ist die älteste. Vor der Schule mahnt ein Schild auf deutsch uns Touristen, nicht die Toiletten der Lehrer und Schüler zu benutzen. In der Kirche interessant die sog. 'Henndorfer Truhen', kommodengroße Vorratstruhen aus einer Wehrkirche, jahrhundertelang für Notzeiten immer frisch aufgefüllt mit Nüssen, Honigwaben, Kernen von getrocknetem Obst, Zuckertüten usw. Man kann an dort verlorenen Münzen nachweisen, dass sie noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Gebrauch waren. Dann wurden die Truhen zurückgelassen beim Exodus der Ortsbevölkerung in den 80ern. Umgestaltung durch Natur anschließend, Wespen, Spinnen, Schadinsekte wurden tätig.
Von der ungarischen Möbelanalytikerin und Ethnografin Klara Csillery alarmiert, wurde 2003 ein Rettungsprojekt gestartet, Schüler des Fachbereichs Konservierung und Restaurierung der Fachhochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst in Hildesheim analysierten die Truhen samt Inhalt einmal lebensmittelchemisch, in Richtung der
ablaufenden Veränderungsprozesse, einmal kunsthistorisch-chemisch, nämlich in Richtung Farb - und Musterrekonstruktion der Truhen. Die Ergebnisse stehen in Museum und Kirche.
Mir schlägt das Herz bei solchen tollen verwertungsfreien Forschungen!

Ich lese über die Zigeuner. Ihre Hexenheiraten, publicitypfiffigen Frühehen, Könige, Gegenkönige. Als zwei Roma-Abgeordnete 2004 den König Florin Cioabã der Schieberei und des Menschenhandels bezichtigen und ihre Erwartung äußern, er werde demnächst zurücktreten, antwortet der im Interview: "Erwarten kann man viel. Auch ich erwarte, die beiden demnächst als Exponat in einem Schaukasten des Naturkundemuseums zu bewundern." (Quelle: Franz Remmel, Die rumänischen Roma in Daten und Fakten, Editura Banatul Montan, Resita 2007)

Mittwoch, 23. Juni 2010

Cunt - Reußdorf

Ulrike und Jonas Schäfer führen ein Kinderhaus, mehrere Gästehäuser und ein Restaurant in Cunt, einem Dorf zwischen Targu Mures und Sigishwara. Ich kenne Jonas (wie wir im Auto rekonstruieren) seit 1990, als jungen Toning. erst, später als sehr erfolgreichen Musikmanager. Vor sieben Jahren fiel der Entschluss, hier zu leben und aus dem Kinderhaus, das sein Vater hier führte, eine Art Dorfprojekt zu machen.

Wir sind mitten in Transsylvanien, mitten in Siebenbürgen. Alles, was sich hier abspielt, passiert mehrsprachig. Hier lebten seit 850 Jahren die Siebenbürger Sachsen, hier geblieben zunächst als Gesinde eines Kreuzzugs, der irgendwann in sich zusammenfiel, aus der Pfalz gekommen, dem Saarland, Verwandte nachgeholt, unter österreichisch-ungarischer Herrschaft freie Bauern, die sich ihre Sprache bis heute bewahrt haben. Man hört die Farbe, die seltsame Wortstellung manchmal, aber versteht gut. Im Prinzip die Sprache bewahrt, muss man leider sagen, denn ab 1990 haben die Siebenbürger Sachsen ihr angestammtes Land als deutsche Staatsbürger fast alle verlassen und sind zurück ins 'Vaterland' - Heimat kann man es ja nicht nennen.
"Sie geben es nicht zu, aber nach der zweiten Flasche Wein heulen sie alle, wenn sie auf Besuch hier sind, sie sind alle unglücklich", sagt Jonas. Ihre Dörfer haben Zigeuner übernommen, manche eher sorgsam, andere so, dass eine Sippe ein Haus verwohnt, dann das nächste nimmt. In einem Dorf, wo die Zigeuner nicht hinsollten, erschoss der Bürgermeister einen Eindringling zur sichtbaren Warnung. Dann gibt es hier noch die Ungarn, mit ungarischen Dörfern, die Rumänen natürlich - und früher z.B. auch Armenier, zwei Dörfer weiter steht die grôßte armenische Kirche außerhalb des Stammlands.

Dass es heiß herging in der Gegend, wird gleich am Nachmittag klar, als ein schwedisches Ehepaar mit ihrem Wirt, einem aus Franken wiedergekehrten Sachsen zu Besuch vorbeischaut. Sein Vater ist aus dem Clan-Trott herausgetreten und hat seinerzeit eine Rumänin geheiratet. Beide Familien grenzten die Kinder aus; wenn er seinem deutschen Großvater begegnete, bekam der Mann, der uns gegenübersitzt, üblicherweise eine Ohrfeige.
Ein bisschen fassungslos sitzen die Schweden und ich dabei und versuchen, uns in diese Mischung aus tiefer Gefühlskälte und Habgierigkeit hineinzudenken. Denn der gleiche Schlag, der solche Engstirnigkeit entwickelte, verließ sein Land für den bundesdeutschen Pass und "Fanta und Cola", wie der zurückgekehrte (Halb)Sachse sagt. Der sich übrigens zwar Cesuscescu nicht zurückwünscht, aber die Ordnung, die damals jedem zugemessen wurde, lobt - dass alles seinen Platz hatte.

"Kein europäisches Land bot so weitgehenden Schutz für Minderheiten wie Rumänien unter Ceausescu", sagt später Steffi, die für die Friedrich-Ebert- Stiftung in Bukarest arbeitet. Wir sitzen beim Wein auf der Veranda des Restaurants, reden über alte und neue Zeiten, das rotte Parteiensystwm hier und dort, sehen dem wieder einsetzenden Regen zu und genießen die große Gastfreundschaft.
Ich werde hier noch bleiben.

Fahrt von Suceava mit Rückblick

Ruhig, leicht schwankend schiebt sich der Bus auf einer Hochfläche vorwärts, leiser und bequemer als das Gefährt aus der Republik Moldau vor drei Tagen, mit aufdringlicher Morgensendung aus Deckenboxen, wie Radio 1. Zwei Männer interviewen irgendwelche Anrufer, machen sie anscheinend unglaublich witzig runter und lachen demonstrativ. Wie schön wäre jetzt eine melodiöse Musik und Schweigen. Diese Schwätzer wären am Ende dankbar, wenn man sie von ihrem Leiden erlöste.

In den Regen schiebt sich der Bus, der gestern Nacht anfing mit einem mächtigen Gewitter, dem dritten, das die Schwüle jetzt wohl vertrieben hat. Die Pferdefuhrwerke fahren schneller in der kühlen Luft, die kleinen Holzhäuser, mit ihren verzierten Veranden sehr ähnlich denen hinter der ukrainischen Grenze, auf denen Schnee lag, als ich im März an ihnen vorbei fuhr, lassen die Schornsteine rauchen, als ginge es schon wieder dem Winter entgegen hier in der Bukowina.

Bahnhof Neamt, der Hotelportier gestern meinte, hier müsste ich auch noch hin, wenn mich die alten Klöster interessieren, hier vom Bus aus wirkt die Stadt nicht verlockend. Aber anfangs finde ich ja fast jede Stadt hässlich.

Später Bergdörfer, tiefer Nadelwald, eine hinkende Schönheit steigt aus. Die Mitfahrenden bekreuzigen sich nicht. Hat ihnen die Kollaboration der orthodoxen Kirche mit Ceaucescu den Glauben verdorben?
Reißende Wildbäche, lehmfarbenes Wasser, vereint und verbreitert sich. Hunderte Plastikflaschen, die hier überall, wo Wasser ist, achtlos weggeworfen werden, taumeln herum.
Nebelwolken in den Hängen, Unwetternachwehen. Jetzt ist der Wildbach ein See geworden, im See eine bizarre Insel, die ich versuche zu fotografieren. Habe Routine mit meinen drei kleinen Geräten bekommen.
Der Busfahrer telefoniert die ganze Zeit. Vielleicht bringt ihm das die Ruhe, mit der er fährt.
Ein alter Dörfler steigt auf freier Strecke aus, rennt dann verzweifelt dem Bus hinterher: Er hat sein Handy vergessen. Glück im Gesicht, als der Fahrer es ihm rausreicht.
In einem kleinen Dorf wird es plötzlich voll, der Bus übernimmt die Rolle des lokalen Zubringers, es wird über Preise verhandelt. Koffer werden eingeladen, Aber leise, leise das alles.
Telefonierender Polizist reicht dem Fahrer sein Gerät, irgendwas ist im Busch. Sieht im Moment nicht so aus, als würd es noch aufklaren.
Zigeunerfamilie im kleinen Leiterwagen, ein Maultier zieht, der Familienälteste marschiert nebenher, bergauf.
Enge Passstraße, fast am Nebel. Finstere Gesellen an einer Weggabelung.
Ich döse weg. Erinnerung fährt rückwärts.

Gestern früh hat es kein Wasser im Hotel gegeben, der Portier sagte "Vielleicht erst abends", ich bin spät dran und rase rüber ins Restaurant, am Bufett steht eine Schlange Wartender, einer Frau fällt ein Brot aus der Hand, sie schnappt nach Luft auf eine Art und mit einem Geräusch, dass mich ohne nachzudenken fragen lässt: "War das mit dem Wasser auch schon heute früh so?" Sie sagt: "Keine Ahnung", dann schaut sie mich an: "Woher wissen Sie eigentlich, dass ich deutsch spreche?" Ich: "Keine Ahnung. Intuition."
Wir frühstücken zusammen. Cornelia ist Fotojournalistin und hier auf Suche nach Spuren ihrer Großeltern. In einem nahgelegenen Dorf wird sie mit Bewohnern des Hauses reden, das damals von ihren Vorfahren bewohnt wurde. Dolmetscherin wird Aurora, die Leiterin des örtlichen Kunstmuseums, sein, denn Cornelias Großvater war Maler, ein paar Bilder von ihm hängen hier. Ich darf mitfahren. Wegen Aurora wird die Konversationssprache französisch sein, nicht wenig anstrengend für mich. Aurora erzählt im Auto von ihrem Mann, der auch Maler ist und Ende der Neunziger eine Folge von Bildern schuf, die den Missbrauch orthodoxer Priester an jungen Frauen angriff; die Ausstellung diskreditierte und brachte ihn an den Rand des Nervenzusammenbruchs; nur ein Minister hielt zu ihm.
Eine halb neugierige, halb abwehrende Großfamilie sitzt dann um uns rum, Verwandtschaftsverhältnisse werden rekonstruiert, es schwingt immer die Angst mit, die fremde Deutsche könne vielleicht Besitzansprüche stellen, deshalb wechseln sich Hôflichkeit und
Vorsicht ab, das Gespräch wird nie herzlich. Seltsam (und bezeichnend): Uns wird nichts angeboten, nicht mal Wasser. Aber der neunzigjährige, wie ein Greisenkind eingewachsene Urgroßvater der Familie will uns den Garten zeigen. Erzählt, wie er fast wahnsinnig wurde, als die Ceauscescu-Administration die Abholzung der vielen Nussbäume auf dem Gelände befahl, weil Bauholz gebraucht wurde.
Hier findet keiner für Ceauscescu ein gutes Wort. Cornelia gewinnt Sympatien, als sie vom Besuch in den 80ern bei einer bekannten vom Regime verfolgten Schriftstellerin erzählt, nach dem sie und ihre Kollegin von der Securitate sofort abgefangen und zur ungarischen Grenze verfrachtet wurden.
Zu dritt anschließend zum Kloster Dragomirna, herrlich abgelegen an einem See, von Nonnen geführt, die sich über Mangel an Nachschub in diesen unsicheren Zeiten nicht beklagen müssen. Wir kraxeln, autorisiert von der Museumsleiterin, die auch hier im historisch-artifiziellen Klosterbereich Weisungsrecht hat, über die Zinnen, genießen den Garten, kühlen Stein, Ausblicke und die Stille.
Die dann weniger auf weiter folgender Fahrt zu einem anderen viel bekannteren Kloster (Name vergessen), auf dessen Außenmauern mit seltner blauer Farbe biblische Geschichten gemalt sind. In der Stunde unterwegs spricht Aurora immerzu - übersetzen und gleich antworten auf französisch fällt, auch weil es immer schwüler wird, immer schwerer.
Geschäftsrummel am blauen Kloster, nicht die Einkehr, die wir gerade erlebt haben, auch das Blau so seltsam nicht wie erwartet, also schnell zurück. Über Suceava schwarzer Himmel, Sturm. Erst später, beim Essen zu zweit bei einem Italiener, bricht der Sturzbach runter, so heftig, dass Wasser durch die Klimaanlage tropft. Die Kellner ziehen Regencapes über und wischen, während Cornelia und ich uns aus unseren Berufen und Familien erzählen, Meinungen austauschen und uns am Ende für den schönen Abend bedanken.

Aufgewacht, draußen Sonne, die Klimaanlage im Bus hochgedreht auf 15 Grad (was bedeutet, es ist heiß und der Fahrer ist müde), gerade eine Ortschaft namens 'Säcksisch Regen'. Vôllig andere Bauart hier. Nach Targu Mures noch 33 km. Bunter hier, Weingegend. Im Radio Oldies, 'Blue Hotel' und ' It's Now or Never' Und Michael Jackson natürlich, sein Todestag heute.
Es geht alles gut, der Fahrer reicht mir den Rollkoffer, kurzes Umschauen auf dem Autogar Targo Mures. Da hinten im weißen Hemd, mit Kinnbart und fast noch so schlank wie vor sieben Jahren, steht Jonas. Jetzt sieht er mich auch.

Montag, 21. Juni 2010

Suceava

Frühstück im rosenbestandenen Hotelgarten. Hier wuchert alles rein, mein Zimmer im ersten Stock geht auf den Garten eines Nachbarhauses raus, junge Katzen krallen sich am Wellblech hoch, trauen sich dann aber nicht über die Schwelle.

Alles wuchert, auch der Endlosschleifengesang von zwei Popen in der Kirche gegenüber, die Gläubigen kommen und gehen, es ist wie ein Dauerangebot, ziemliche Leistung, von 7 Uhr morgens bis 11 ununterbrochen zu singen.
Als Protestant würde ich eine Predigt erwarten, Hinführung, Auseinandersetzung, ein Ich-Du - Verhältnis, wenn schon nicht zwischen Gott und mir, dann wenigstens zu seinem Vermittler. Obwohl: Wenn man eh schon alles weiß (oder es gar nichts zu wissen gibt), dann kräftigt einen das Ritual allein wahrscheinlich mehr. Wie den alten marxistischen Kämpfer das Absingen der Hymnen kräftigt und die Diskussionen nur verunsichern ('Verloren haben wir doch sowieso', sagt Degenhardt. 'Sünder sind wir allzumal').
Mich kräftigt die milde Luft, dazu ein gutes Omelett. Markt- und Busbahnhofspaziergang, dann einen Hügel hoch zur Biserica Sf. Gheorghe, einer Kapelle aus dem 14. Jahrhundert, wird gerade restauriert, drinnen tief gedunkelte Wandgemälde, darunter eine Szenenfolge 'Vertreibung aus dem Paradies', auf der A&E erstaunlich jung und nackt dargestellt sind, fast renaissanceartig, unartig also, mit der Strenge der Orthodoxie bringe ich es nicht zusammen, aber vielleicht handelt es sich ja um eine griechisch-katholische Kirche, die der römischen ( und damit den Renaissanceeinflüssen) nähersteht und übrigens in den Jahren des Ceauscescu-Regimes am ehesten Widerstand geleistet haben soll (was die Protestanten machten, weiss ich nicht, die Orthodoxen waren von der Securitate durchsetzt). Ich traue mich nicht zu fragen, setze voraus, dass hier jeder erwartet, dass man sowas weiß, eh man reingeht.
Im Gotteshaus nimmt ein etwas hochnäsig wirkender Priester von mehreren Paaren Bestellungen auf, schreibt Kolonnen in ein Heft, vielleicht die Ausgestaltung von Aufgeboten, draußen redet ein anderer Pope samt Partnerin angeregt mit einem jungen Paar. Kann es sich, wenn das wirklich seine Partnerin ist, denn um die katholisch orientierte Kirche handeln? Ich bleibe in der Nähe stehen, um jetzt vielleicht doch noch zu fragen. Werde dann ungeduldig und gehe weiter. So sehr interessiert es mich auch wieder nicht.
Im Garten spielen Kinder, auch eine Zigeunerfamilie ist da, die mich so aufdringlich anbettelt, dass ich abhaue.

Danach Spaziergang den Hügel bergab, und hinter wohlgetünchten kleinen Häuschen mit leuchtend gepflegten Gärten um eine Ecke ein Hüttenlager, Dreckhaufen an einem Abhang, Kindergewusel, Pferde, Hunde, ich traue mich schon von selbst nicht näher ran, bestärkend umkreist mich plötzlich ein Halbwüchsiger mit Rennrad so aufdringlich, dass ich die Hand aus der Westentasche mit dem Handy drin nicht mehr rauslasse, die Umhängetasche fester ziehe und umdrehe. Von weiter weg wage ich dann ein Foto.
Später, ich achte jetzt mehr drauf, sitzt eine Gruppe Zigeuner am Rand eines Parks, hockend essen sie, die Rumänen machen einen Bogen, auch bei Mc Donalds sind welche und auf dem Friedhof (wenn ich jetzt nicht schon jeden Menschen, der dunkelbraun gebrannt ist, dafür halte), immer unter sich, abgewandt.

Ich erinnere mich an das erregte Gesprach in Prag vor zwei Jahren, als wir nebenbei erfuhren, dass etwa 20% der tschechischen Bevölkerung Roma sein sollen. Der österreichische Kulturattachée, wenig konziliant oder für seinen Standpunkt werbend, bestand darauf, diese große Minderheit könne und wolle sich nicht zivilisatorisch einpassen, zerstöre alle dementsprechenden Angebote, und er fände es ein Riesenproblem, das mit Aufklärung, Erziehung usw. nicht lösbar sei. Vielleicht nur mit Lagern oder Ausweisung, aber wohin dann? Autor Michael Köhlmeyer wollte dem nöligen Wiener natürlich gern 'weißen Hochmut', Herrenmenschendenken, also Faschismus nachweisen und stellte das Abenteuerliche, ganz Andere, das Große Nein des Roma-Lebensentwurfs dagegen. "Sie müssen da nicht leben, wo die sind", sagte der Attachée.

In den kleinen Häuschen neben dem Lager hier jedenfalls haben jede Menge Hunde gebellt. Die hier sonst eher friedlich umherlaufen. Und die man, wenn sie scharf sind, immer noch vergiften kann. Und Vermutungen anstellen, welche von den Lagerkindern, die hier immer vorbeikommen, das denn jetzt wohl waren. Und schon ist man in der Hass-Schraube drin. Auch Herr Köhlmeyer, jeder aus der Nachbarschaft.
Es sind aber eben auch nicht die Begüterten und die 'Intelligenz ', denen die Nachbarschaft und damit die Kraft zur Toleranz zugemutet werden.
Ob das Wahlergebnis in Ungarn auch damit zu tun hat? Ob es Nachahmung findet?

Auf dem Friedhof wieder Gesang, ein wichtiger Leichnam, dessen Zug mir später auf der Straße hoch begegnet, wird erwartet. Frommer Sonntag. Ich finde zwei deutsche Gräber:
Ingenieur Albert Fuchs von Brauntal, 1846-1909
Familie Binder/Moldovaida: "Ruhet sanft".
Dann geh ich warme Bretzeln kaufen, Kaffee trinken, während ein Gewitter prasselt und blitzt. Stiller Sonntag.

Sonntag, 20. Juni 2010

Zurück in Schengen

Als letzter Gast im Restaurant vom Hotel Continental, auf einer Terrasse gegenüber einer beleuchteten Uraltkirche, links rast der Samstagnachtverkehr. Es ist anders hier in Suceava, liegt nicht nur an den wunderbar frischen Klamotten, die ich anhabe, sondern vom Gefühl her, die Sprache klingt bolleriger, abgegriffener, mit deutsch hat sie keine Klangähnlichkeit, junge Menschen sind paarweise unterwegs, die alten in Peergroups. Jenseits der Grenze war es umgekehrt.
Die Häuser hier sind weitgehend Nachkriegsblocks der eher hässlichen Bauart, aber nichts Verwildertes dran. Dafür viele Plätze mit guten soliden Bänken drumrum, Tanzlokale, vieles wie sorgsam geordnet, dann wieder dunkle Ecken, in denen ich froh war, voran zu kommen.
Erster Eindruck: Die Stadt hat kein Zentrum. Viele Reisebüros, noch mehr Übersetzerbüros, vielleicht eine Durchreisestadt. Mit einer Uni, die sich universitatule nennt, es kann gut immer eine Silbe dazu. Im März in Czernivci sah ich die Schilder, Suceava, 40 km weg und jenseits der Grenze, in 'unserm' Europa, ich dachte, da muss es wärmer sein. Jetzt ist es bewölkter hier, das Licht fast wie zuhause in Berlin, und Durchreise?- ist mir recht. Hässlich auch, ich will ausruhen, gerade recht kommt das. Sie haben den gleichen Patron wie in Chisinau, St. Stefan de Mare, das reicht schon. Und einen scharfen glänzenden Glockenklang im alten Kirchturm. Und die vier Leute, die ich bisher kennengelernt hab, die waren alle sehr freundlich zu mir. Wie es ja oft so geht in hässlichen Städten.
Ich könnte hier draußen jetzt richtig loslegen, den Grenzübertritt schildern, den heroischen Busfahrer, aber die wollen wohl Schluss machen. Ich bin ja wirklich der Einzige hier. Mit Wein und Wasser. Außerdem müde - bis gerade jedenfalls. Ob ich wohl noch einen Wein kriege?

Samstag, 19. Juni 2010

Chisinau 3

Letzter Abend, Treiben aus der Philharmonie (die ich nicht mehr besucht habe), der nette Kellner, der wie Falko grinst, kennt mich wieder, "water and wine", sagt er, ich lache, nur mit 'gas' klappt es nie sofort, ich sage "water with gas", er "with no gas?", ich "with!!", und dann steht's fifty-fifty, ich hab mich an das unsprudelnde Wasser aber schon gewöhnt ("can't make the bells unrung", zutreffender Ausdruck).
Auch für hier trifft er zu. Durch weiteren Ausflugstipp entdeckte ich den Bulvar Moskswa, hoch übern Berg führt er, eine 70er-Jahre Hochhäuser-Allee, flotte, schicke, auch einfache Lokale am Boden, oben amorphe Balkone um flatternde Wäsche. Es weht immer ein frischer Wind, so hoch liegt es, im Winter könnte es ungemütlich sein. Hatte den Eindruck, sie krempeln dieses Viertel gerade um. Als Stück Lebensqualität für den städtischen Arbeiter entworfen, scheinen jetzt Juweliere, Computerspezialisten nachzuziehen, es scheint Eigentumswohnungen zu kaufen zu geben, weiter unten in Richtung eines flachen Sees wächst ein bizarres Luxushotel in den Himmel. Noch ist der See verdreckt und kaum besucht, Ausmerksamkeit täte ihm gut. Umweltsorgsam ist hier noch kaum wer - als wäre die Ressource da.
Zwischen See und Bulvar ein großflächiges Memorial für die in Afghanistan Gefallenen aus der Stadt. Wie absurd diese Kette der Toten, die jetzt woanders fortgesetzt wird, für was? Was gibt man eigentlich für Begründungen? Wird man sich nicht irgendwann auf ein dumpfes ' Dulce et decorum est' beschränken? Manche Dinge bleiben so finster wie platt. Hinterher darf sich ein Staatskünstler über den Auftrag für das Gedenken freuen. Ich höre dabei leider immer noch die Stimme der Ethnologin Almut Mey, zehn Jahre älter als ich und weitgereist damals, die 1969 sagte: "Von allen Ländern auf dem Weg nach Tibet ist Afghanistan das weiseste, dabei auch westlichste. Da kannst du dich einfach dazusetzen und lernen..."
Und das heißt: Manche Dinge werden eben auch unwiderruflich zerstört.
Eine Funkennacht, irgendwo Feuerwerk, das Café hat heut länger auf, mit dem O-Bus hin, mit Marschrutki zurück war ich gerade nochmal auf dem Berg für 25 Cent, mir macht keiner was vor, nur die Kreditkarte bröselt, zwei Wochen muss sie noch halten. Vorzeitige Rückfahrt behalte ich mir immer noch vor, man soll gehn, wenn's am schönsten ist, auf dies kleine Land hier trifft's auf jeden Fall zu, der Nachtwind bringt schon den Regen.
Die Türkei umwirbt die Moldavier massiv für den Urlaub, und Kanada wirbt um ihre Arbeitskraft: "Emmigrate" ist die Botschaft. Der Außenminister wirbt unterdessen bei der EU um Visafreiheit für seine Landsleute, viel Erfolg!

Freitag, 18. Juni 2010

Eine Stunde Wiki-Surfen

Jule Neigel verlebte ihre ersten zwei Jahre in Tiraspol, also hier um die Ecke.
Und Igor Alexander Caruso wurde 1914 dort geboren ("Die Trennung der Liebenden").
In diesem Zusammenhang: Caruso (für mich einer der wenigen großen Psychologen) arbeitete 1942 mit 28 am Wiener Kinderhospital 'Spiegelgrund' mit, wo Euthanasie betrieben wurde. Nach seinen Gutachten wurden dort qahrscheinlich mehrere Kinder getötet.
Chisinau war um 1900 ein jüdisches Zentrum, 45% der Bevölkerung war jüdisch. 1903 fand, angestachelt von der einzigen Zeitung des Orts, Bessarabez, ein Progrom statt, bei dem ca. 50 Juden umkamen, mehrere hundert verletzt wurden, zahlreiche Häuser verwüstet, Geschäfte geplündert usw. Anschließend Flucht vieler Juden. Es gab internationales Aufsehen deswegen, sogar eine Depeche von Theodore Roosevelt an Zar Nikolaus II., die unbeantwortet blieb. Im Chininauer hist. Museum habe ich darüber nichts erfahren.
Auch der 'Arbeitskreis für Psychoanalyse' in Wien hat sich erst in den Neunzigern und auf Druck der Öffentlichkeit mit der Gutachtertätigkeit seines Gründers, Mentors und Starmitglieds Igor A. Caruso beschäftigt.

Jetzt wieder raus ins Freie.

Gang und gäbe

Die hohen Stimmen, die manche Männer hier haben. Wird sowas vererbt? Werden Charaktereigenschaften damit verbunden? Gilt es als potent, weibisch oder schick? Niedlich? Vertrauenerweckend? Versteckt wird die Klangfarbe jedenfalls nicht.
Moldawisch ist wohl ein rumänischer Dialekt, es hört sich in der Biegung der Klangfarben manchmal wie deutsch an, besonders, wenn Kinder reden. Auch der Silbenklang ist oft ähnlich, also ziemlich anders als ukrainisch. Obwohl mir der klangliche Übergang fließend vorkam, das glucksende Zischen des Westukrainischen war in Odessa einem viel vokalreicheren Silbenfluss gewichen, der schon fast so klang, wie sie hier reden. Und die russischen Brocken bleiben: da, dawei, paraschut. Wenn ich nach dem Voksal frage, werde ich verstanden, bei Station oder station nicht; hier heißt der Bahnhof Gar. Rumänisch wirkt oft wie eine Leihsprache, gelesen besonders: Fumatul strict interzis. Comicsprache, Esperanto-Konkurrenz.
Ist es wirklich die römische Legionärssprache, haben die west - und öströmischen Legionäre denn ein gleiches Wort gehabt, aus dem sich dann unabhängig voneinander das Gar(e) des Bahnhofs entwickeln konnte?
Ich sitze hier übrigens vor einem Glaspalast-Einkaufszentrum namens Mall-Dovia. Das ist schon jenseits vom Bierpinsel, das schreit nach einem Freundschaftsband mit den TelTowers bei Berlin.

Während in Odessa nur eine greise Mutter ihren debilen erwachsenen Sohn ins Konzert mitnahm, sind hier richtige kleine Kinder dabei. Es ist nicht feierlich, man kann auch von der Arbeit ins Konzert gehen. Ich hätte sogar Sandalen tragen können. Nicht feierlich, eher aufgeregt, ein wenig genervt.
Dafür fehlt hier vielleicht die Eigenheit, raffinierte Kleider, funkelnder Kopfschmuck, es fehlt bei vielen auch die kennerische Routine im Zuhören. Mehrmals Beifall an falschen Stellen und am Ende ein tobender Jubel, als hätte gerade eine Mannschaft gesiegt. Die junge Dirigentin mit dem Borstenhaarschnitt rast hin und her wie beim Popkonzert.
Dabei bin zwischendrin nicht nur ich manchmal richtig weggesackt, Rossinis Ideen werden durch eine Menge Floskeln zusammengehalten (wie von Riemen), und an zwei Flügeln statt vom Orchester gespielt hört man das Füllmaterial dann noch mehr. Wie man Mörtelmasse am ungestrichenen Bau sieht.
Das heißt gar nicht, dass es schlecht war. Ich finde Enttarnung von Effekthascherei ja gut. Und eine Messe, die sich am Schwung von Opernmassenszenen orientiert, auch. Der Chor war übrigens hervorragend. Die beiden Pianisten verpassten sich manchmal, wahrscheinlich weil sie sonst solistisch unterwegs sind. Der Tenor sah aus wie der ganz junge Helmut Kohl, sein Baritonkollege wie Putin oder zumindest dessen Leibwächter. Altistin und Sopranistin hätten gerade frisch eingekleidet aus der Malldova kommen können. Dass die meisten (Männer, Frauen, beides?) bei schrillen Koloraturstimmen in Wallung geraten und nicht beim weichen Alt - mir geht's umgekehrt.
Später vor der Philharmonie, Reggaebar, völlig anderes Viertel entdeckt, süßer Wein, auf anderer Straßenseite Chormädchen, die bei ihren Parodien von Opernarien immer mehr in Extase geraten. Hier übertönt von Bob Marley, unter dem Stoffdach, auf das es jetzt leicht regnet.

Ich war im Geschichtsmuseum, bin dem Abenteuer mit Transnistrien etwas nachgegangen. Nach Lektüre und ein paar Gesprächen so etwa: Gebiet schon immer umstritten, weil Sprachgrenze zwischen Rumänisch und Russisch bzw. Ukrainisch. Also auch Mentalitätsgrenze slawisch / romanisch, wenn man es sehr groß nimmt. Zarenreich hatte, wenn es gegen die Türken die Gebiete hier besetzt hielt, immer auch Slawisierungsanspruch, nannte z.B. Moldavien in Besarabien um nach einem Adelsgeschlecht, das Russen wohlgesonnen war. Als Moldavien (wie Teile der Südukraine, z.B. Cernivci) nach dem ersten Weltkrieg zu Rumänien kam, legte Stalin eine Art Köder aus, indem er das Transnistriengebiet der Ukraine wegnahm und für autonom, aber unvollständig erklärte. Sobald dann der Hitler-Stalin-Pakt die große Umschichtung der Gegend ermöglichte, ließ er die Transnistrier (mehrheitlich Ukrainer) Vereinigung mit dem 'Restmoldavien' fordern, das bisher gut ohne diese ukrainischen Flussgebiete ausgekommen war. Am Ende des miesen Spiels - Deutsche und Rumänen hatten dazwischen die Gebiete nochmal rückerobert und gemeinsam die starke jüdische Minderheit vernichtet - stand die Deportation von ca. 20.000 Moldawiern nach Sibirien, aus Rache, ethnischem Hass, Angst vor Eigenständigkeit. In der sozialistischen Republik Moldau wurde ab sofort der rumänische Dialekt Moldauisch genannt und kyrillisch geschrieben. Amtssprache war russisch. Eine der längsten Straßen in Chisinaus Altstadt heißt '31.8.1989', warum? "Das war der Beginn unserer Sprache", sagt Stefania vom Hotel.
Als '89 die moldawische Selbständigkeit begann, waren die Nerven der vielen hier lebenden Ukrainer und Russen auf Alarm gestellt. Wie sie es schafften, dass sich die junge Republik nicht mit Rumänien vereint hat, keine Ahnung, vielleicht wollte es keiner wirklich. Aber die russisch orientierten Kombinatchefs im Südosten, in Transnistrien, der am meisten industrialisierten Ecke des Landes , haben durch den Putsch gegen die moldawische Unabhängigkeit einfach ihre Produktionsform gesichert, sie produzieren weiter erfolgreich Stahl, haben die alten Gegenseitigkeitsverträge mit Moskau und nehmen das bisschen Volk als 'sozialistische Geisel'. So klingt es jedenfalls hier. Wäre schon interessant, mal wen von da zu sprechen.
Das historische Museum hält sich detailliert mit der Staatsfindung Moldawiens auf. Die kurze Zeit des Zusammengehens mit Rumänien wird dabei als kultureller Höhepunkt gewertet. Dass in jener Zeit mit den deutschen Faschisten zusammen die Juden vernichtet wurden, davon kein Wort, nur zwei kleine Fotos. Die "faschistischen Verbrechen" erscheinen am Ende des 2. Weltkriegs wie böse Überraschungen. Und gleich setzen ja dann auch schon die Deportationen durch die Sowiets ein, die außerdem jede Menge 'Fremde' hier sesshaft machten.
Warum im hist. Museum so gar nichts über die sowjetische Zeit gezeigt würde, immerhin 40 Jahre, frage ich Stefania vom Hotel. "Nobody will remember that", sagt sie, "it was such a hard time". Die sie höchstens als Kleinkind erlebt haben kann. Das ist also schon Überlieferung.
In Odessa auf dem Trödelmarkt hab ich Stalinbilder gesehn; hier wohl undenkbar. 40 km weg in Tiraspol vielleicht gang und gäbe.

Deportationen, ein Foto: Wissenschaftler Alexei Birlsdeanu und Frau schauen vorn vorsichtig hockend unendlich traurig und misstrauisch in die Kamera, während hinter ihnen Sohn und/oder Tochter mit Partner/in stämmig und optimistisch, aber auch grob wie aus anderem Holz in die Zukunft grinsen, irgendwo in Sibirien, Neubauviertel, Kälte.

Je länger ich hier bin, desto lieber in dem kleinen Hotel. Es gibt bis 11 Frühstück. Es war erst stickig, ist jetzt, weil draußen kühl, warm und gemütlich im kleinen Zimmer. Wlan geht, Wäsche wird fast umsonst gewaschen, die Bar ist immer besetzt. Das Hotel wird geführt von jungen Frauen, wieviele, weiß ich nicht, ich lerne jeden Tag neue kennen. Erst dachte ich, Stefania ist die Chefin, aber sie spricht bloß am besten Englisch und berät kompetent, was Reiseplanung und Ausflüge betrifft. Wer hier eigentlich noch wohnt, weiss ich nicht, jede Nacht ein anderes Mädchen an der Bar und ein, zwei Männer, die am Fernseher Fussball einzustellen versuchen. Wenn man reinwill, muss man klingeln, auch tagsüber, dann kommt eine runter öffnen, warum, weiß ich auch nicht, mir kommt die Gegend nicht gefährlich vor. Gestern nacht hatte der alte Elektriker es geschafft, um die Eingangstür eine wandernde Lichterkette zu installieren, als ich sagte, dass es mir gefällt, haben sich alle gefreut. Es bringt die Namensschrift Bella Donna sehr gut zur Geltung.
Neulich, als ich frühstückte, kam ein Paar, er älter, sie jung, gingen hoch in den 1. Stock. Kurze Zeit darauf lautes Klingeln, eine auch ziemlich junge Dame außer Atem steht vor dem Eingang. Man tut so, als höre man schlecht. Sie könnte sich auch in der Tür geirrt haben. Außerdem muss man gerade das Papier im Faxgerät wechseln, das macht sich ja nicht von selbst. Als die Frau draußen resigniert gegen die Tür tritt und weggeht, springt eine der Empfangssdamen die Stufen runter, schließt auf, schaut ihr vorsichtig hinterher, schließt gleich wieder, Gesichtsausdruck: Ich hab's immerhin versucht. Aber was geht's mich an?
Was ja auch stimmt. Wenn das Ganze überhaupt so war. wie ich's aufgeschrieben hab...

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