Mittwoch, 3. März 2010

Warschau zwei

Die Musiker packen schon ein, als ich komme, es war ein kurzer Jazzabend, der Club gut gefüllt mit Geschäftsmännern. Während zum Frühstück hier auffallend viele Frauen saßen, Polinnen, wie zu hören war, bei polnischen Geschäftsreisenden hat das Hotel einen guten Ruf. Mir gefällt es ja auch, mit den kleinen Zimmern mit Minibalkon auf den großen Kreisverkehr raus, Bahnhof und Kulturpalast im Rücken, mittendrin, aber ohne das künstlich Alte.
Zu mehr als hier runter auf ein Bier konnte ich mich nicht mehr aufraffen, quasi in Hausschuhen, so muss es sein, gegenüber die Disko legt erst jetzt langsam los, da würde ich mich auch so reintrauen, aber in 1 Stunde werde ich schon schlafen.
Bin zum Essen über den Fluss gefahren nach Praga, nachdem ich gelesen hatte, dort wäre es vor zehn Jahren für Touristen unbekömmlich gewesen, jetzt enwickle der Bezirk sich stylish und artsy. Es gab in der einen Straße, die ich auf und ab ging, zehn Lokale und zwei Konditoreien, manche wie von Hausfrauen nebenbei, andere hauptberuflich gestaltet, sogar eine Villa mit Fackeln draußen, wie die in Padua, wo wir letzten Sommer so gut und teuer gegessen haben, in den Garten hätte ich mich gesetzt, rein hab ich mich nicht getraut.
Es gibt hier viele Elegante, Frauen besonders, schmale mit kniehohen Stiefeln, die extrem hochhackig sind und das Laufen auf Holperpflaster zu einer Art gymnastischem Robben machen, Männer in Leder mit stark verspiegelten Brillen. Aber auch die stille Eleganz gibt es, die wahre, die nichts mehr beweisen muss. Und gute, sehr teure Autos, aber wenig Luxusjeeps, keine Stretchlimousine habe ich gesehn. Alte Damen in hochwertigen Fellen mit ausgeklügelten Kappen und Mützen drauf. Natürlich auch viele, die unauffällig daherkommen in einem Anorak wie ich. Ich passe hier her (mehr als nach Padua). Dass sich in Polen (wie in Bayern übrigens) Dicke öffentlich nicht verstecken müssen, rechne ich dem Land hoch an. Es hat wohl doch nichts mit Katholizismus zu tun, denn die schmalen südländischen Machos glauben doch auch an den Papst und Maria.
Nachmittags im Café kam es mir so vor, als wäre das eine angenehme Stadt zum Studieren. Keiner spielte sich irgendwie auf, vom arbeitsamen Seminartischgrüppchen über das verliebte Paar über giggelnde Freunde bis zur versunken Schreibenden, manchmal auch Telefonierenden - alle angenehm, das mag Zufall sein, könnte für eine Spanne Zeit vielleicht überall gelten, aber genau für diese Spanne Zeit bin ich unterwegs und für den Zufall, also gilt das, Punkt. In Warschau studiert es sich angenehm, jede Wette. Morgen kommen die Verkehrsmittel dran, ich hab eine Rundumkarte.
Tür geht auf, eine Schwemme von späten Besuchern, ob's hier Rotwein gibt?

Dienstag, 2. März 2010

Warschau

Im eisigen Wind auf dem Turm des Kulturpalasts. Den sah ich gestern zuerst, als ich aus dem Tunnel des Hauptbahnhofs kam, es war fast dunkel: ein paar üblich moderne Hochhäuser und mittendrin, sehr für sich, als hätten sich die Kollegen alle nicht so recht an ihn rangewagt, der Zuckerbäckerriese aus der Stalinzeit.
Ein Monstrum von Hochhaus, es heißt, Stalin hätte eine Delegation auf heimliche Reise nach New York geschickt, um dort Stil und Statik des Empire State Building zu studieren, ehe sie sich an den Bau wagten, der dann wohl, wenn Warschau gut gehen würde, auch in Moskau hätte probiert werden sollen.
Vorher starb der Auftraggeber, und mit dem nach ihm benannten Magistralenstil (der aber wirklich auch in New York, im faschistischen Rom und etwas verkümmert in den Verwaltungsbauten am Berliner Fehrbelliner Platz zu finden ist), war es zuende. In Polen war der Riesenturm samt auf antik machenden Flachbauten für Theater, Konferenzen, Feiern nie gemocht worden: die Sowiets hatten der Bombardierung der Stadt vom andern Weichselufer aus seelenruhig zugesehen, jetzt bebauten sie eine leere Fläche als Stempel ihrer Vorherrschaft. Pläne, den palaci kulturij abzureißen, sind heute glücklicherweise vom Tisch. Vielleicht findet eine nächste Generation ihn sogar wieder schick: Wo gibt's sowas sonst?
Warschau von oben ähnelt eher Frankfurt als Berlin. Richtige Wolkenkratzer, Wirtschaftsklötze, Hoteltürme, dazwischen ein Gemisch aus schäbigem Sozialbau, Glasfassaden und bürgerlicher Repräsentation. Wobei alles Alte nach dem Krieg neu gebaut werden musste - unfassbar, mit welcher Gründlichkeit hier unsere deutschen Vorfahren zerstört haben, in zwei Wellen offenbar, 1939 und 44/45, es steht an fast jedem Gebäude.
Dass ich wusste, dass die mittelalterliche Altstadt originaltreu rekonstruiert wurde, hat mir die Freude am Durchstreifen genommen. Dazu kam, dass an diesem kalten Tag eigentlich nur auf Touristen wartende Händler, Kneipiers, Bettler sich dort zu tun machten. Es gibt auch Büros, Galerien, Clubs in der Altstadt, aber niemand sonst war zu sehen, mir kam es vor wie zugige Kulisse. Sicher spürt man gerade durch den Nachbau die Zerstörung noch schmerzhafter.
Wieviel lebhafter, städtischer und nur ein paar Ecken weiter das Universitäts- und Verwaltungsviertel. Klassizistische Bauten (auch sie rekonstruiert), überall schwungvoller Alltag, das Pfeifen der alten überfüllten Straßenbahnen, Cafés für jede mögliche Pause, Blumen- und Losverkäufer, im Strom der Studies in die Parkanlagen, in denen die Fakultätsgebäude untergebracht sind wie in Dahlem, aber eben mittendrin im Zentrum.
In Warschau scheinen geschätzt 70 Prozent Frauen zu studieren. Eine kam grad strahlend aus dem bewachten Gebäude des Dekans, da war wohl etwas sehr gut gelaufen. Dann auf Suche nach einem gepriesenen 'Aufbaumuseum' über Warschaus Geschichte, es hat leider gerade am Dienstag zu, gegenüber ist ein Tauchmuseum, wo ich frage, das deshalb, weil das wohl viele tun, gerade dienstags immer auf hat, aber sie verstehen, dass ich trotzdem nicht bleibe, ich setze mich einfach in einen Bus, der dann wie zufällig am weit entfernten Hotel vorbeikommt.
Vielleicht seh ich jemand ähnlich, manchmal lachen mich Menschen sehr freundlich an, zweimal fragte mich jemand was, ich konnte ja nicht klar antworten. Ich glaube, mir gefällt die Stadt.

Fahrt nach Warschau

Dreckwetter, Schneematschtreiben, Resteverwertung des westeuropäischen Orkans. Der Zug startet mit Heizungsproblemen, vom vordersten Waggon gewechselt, wird es im zweiten auch bald kalt. Halte mich mit Mahlers Rückertliedern wach, was ich vor 30 Jahren schön fand, ist jetzt konisch, was damals unwichtig war, begeistert. Auch das erste der Kindertotenlieder, in allem Düsteren noch viel durchlässiger als das Wetter hier draußen, nur das Lokomotivheulen gerade auf dem Bahnhof Slavko war wie reinkomponiert.
Es hat dann also doch einen Abschied gegeben.
Ostseeküste bei Gdynia, Gdansk so unglaublich hässslich vom Zug aus, so hässssslich. Und es wird nicht besser. Nur das Abteil immer voller, 1 volle Stunde Stopp an einer Baustelle, dann wieder Schritttempo, dreckiger Niesel auf Schneereste, schwarze Schneereste, Betonhäuschen, Müllhaufen, davor angekettete Hunde.
TTRH über Fruits, gerade läuft eine amerikanische Big Band-Fassung von 'Ausgerechnet Bananen' (bzw. vielleicht die Originalvorlage für diesen Schlager), danach Harry Belafonte: Bananaboat.
Wenn doch nur die Heizung hier ein bisschen der karibischen Stimmung in meinen Ohren gerecht würde.
Wieviel Verspätung werden wir haben? Meine Vorfreude auf Warschau ist gesunken auf Null.
Strange Fruit ist ein in Töne gesetztes Gedicht, geschrieben von einem radikalen schwarzen Lehrer aus der Bronx, der nebenbei die Kinder von Ethel und Julius Rosenberg adoptierte, als die Eltern hingerichtet wurden. Seinen Namen hat uns der Moderator so hingenuschelt, dass ich ihn später mal nachlesen muß. Jedenfalls singts Billie Holiday, sie musste die Plattenfirma dafür wechseln.
Was für ein grauer Tag in einem grauen Vorläufig-Land, so siehts hier aus, alles mal eben so hingereicht, abgestellt.
Wundere mich, warum es von Dylans Sendungen nicht schon längst Skripte gibt, sie kritzeln doch sonst jede Kleinigkeit im Netz mit. Ich höre jetzt schon die dritte, der Zug steht wieder.
Jetzt machen sie das Licht an, richten sich auf eine lange Nacht ein, scheints.
Ich sitz in diesem Zug und bin so scheiße drauf,
Dein Billigschuh tut meinen Füssen weh,
dein Vorhang fällt, sodass ich gar nichts seh,
ich sitz in diesem Zug und bin so scheiße drauf,
Ich glaub, die Fahrt hört überhaupt nicht auf.
Er schleicht an jede Kreuzung, Schranken gibt es nicht,
(3x wiederholt wie bei W. Guthrie)
warum ich hier bin, weiß ich wirklich nicht.
Erstaunlich die resignierte Geduld aller andern hier im Zug, der jetzt schon wieder zehn Minuten steht, wohl weil es eingleisig wird und der Gegenzug noch nicht da ist. Keine Ansagen, keine Info durch das Begleitpersonal. Verspätungszeit 1 Stunde 10, bei uns wäre jetzt hektisches Gebrüll ausgebrochen. Hier hockt und seufzt jeder vor sich hin. Immer noch Spätwirkungen der Diktatur oder Abgeklärtheit? Ob mir das sympatisch ist, weiß ich nicht, es gibt zu denken. Und die Schaffner laufen arrogant und unansprechbar durch die Gänge, als hätten sie nichts damit zu tun. Vorhin auf die Frage eines jungen Mannes ganz abweisend: Schicksalsordner. Würde mich rasend machen.
Ich will jetzt da sein!

Ich bin da. Der mächtige Kulturpalast war das erste, was ich sah. Es fing vielversprechend an, aber ich bin müde.

Montag, 1. März 2010

Wenn man kaum was versteht

Es ist wie an nichts denken, das geht ja gar nicht. Man sieht und hört zu und deutet. Legt in die Stimmlagen, Gesten, Grimassen was rein - was einem einfällt, einem liegt, was einem sich dazu auszudenken überhaupt möglich ist. Trotzdem ist es überaus entspannend. Die beiden Männer in der Sauna gestern, so lebhaft im Hinundher, haben mich längst vergessen, ich zeige mit keiner Regung eine Stellungnahme, muss mich für nichts schämen, nicht neidisch sein oder staunen, ich lasse ihr Gespräch laufen, arglos, zwangsläufig. Ein junges Mädchen legt sich dazu, sie dämpfen die Stimmen. Ich kann nur vermuten, warum, ich vermute, aus Höflichkeit. Erst als ich aufstehe, fällt ihnen ein, dass da noch einer mit war in der Kabine. Sie grüßen mich, und ich freue mich wie ein blinder Passagier, der entdeckt ist und doch weiter mitfahren dürfte.
Natürlich ist es stressig, wenn man in solch einer fremden Sprache dann etwas will. Muss man möglichst vermeiden.

Sonntag, 28. Februar 2010

Flachbeckentauchen

Hatte mich gewundert, was die Unterwassergemälde im Schwimmbad bedeuten, und der ausgestopfte Taucher am Eingang zum Saunabereich war mir erst nach Tagen aufgefallen. Manchmal stiegen Kinder ins Becken, der Bademeister holte dann schwarze Packen mit Rohren und Strippen hervor, ich seh das ohne Brille kaum, interessierte mich auch nicht. Gestern, am Samstag, waren dann all die Packen am Start. Tiefseetauchen ist eine Spezialität im Senator-Hotel, draußen lag auch die ganze Zeit ein schweres Motorgummiboot im Schnee, jetzt konnte ich es einordnen, das lässt sich auf Gleisen zum Strand schieben, die Tauchermannschaft springt auf und: Hinein!
Gestern kamen sie aus dem Ort, fast alles Männer, schwammen erst einmal 100 Meter in pflügendem Schmetterlingsstil, die Tauchgeräte geputzt und in Reihe ausgerichtet am Beckenrand, schnallten sie sich dann umständlich um, ließen sie paarmal lustig pfeifen, Luft ein, Luft aus, dann noch Schwimmflossen angezogen, Chlorschutzbrillen bereit - und ab: Die gleichen Bahnen wie wir anderen Schwimmer, aber mit was einem Aufruhr, 1 Meter 70 Tiefe, da fährt man als Taucher gewaltig ein, Luft ein Luft aus, mit vier Geräten am Leib nach unten, dann wieder hoch, wieder runter, querbeet, winken, denn jemand draußen am Beckenrand filmt - eine freiwillige Feuerwehr, die testet, ob noch alles geht - eine halbe Stunde später hingen sie schon in den Whirlpools, der Bademeister verstaute die Tauchgeräte wieder, bis Kinder kommen. Oder die Hauptsaison beginnt.

Samstag, 27. Februar 2010

Kolberg 2ter Teil

Kolobrecz - größer noch, am Fluss landeinwärts, Center und Rathaus und Gassen auf alt, wie das Nicolaiviertel, muss Kahlschlag gewesen sein in der Stadt im Krieg.
Auch die Basilika wiederaufgebaut, wird genutzt, nicht nur von alten Frauen, auch jungen, die wie in Gesprächsunterbrechung in ein Gebet fallen, erfrischt wieder gehen. Ein Alter wirft sich gleich hinter'm Eingang auf die Knie, das muss weh tun. Wiederaufgebaut noch im Sozialismus, erklärt ein Fremdenführer einer deutschen Gruppe, er wirkt wie mitgebracht und sagt "der Pole" - ich stelle mich nicht dazu. 'Der Pole' hat die Kirche dann auch geweiht, ein Dutzend Bilder und Fotos erzählen es. Andere Fotos und Texte beschreiben die stalinistische Umsiedlungspolitik, eine Stelltafelausstellung, ich stehe lange davor und versteh leider kaum ein Wort.

So geht's mir auch in einem richtig hübschen Café mit richtig hübschen Menschen drin zu schwerer tragender Musik, sie schlürfen farbige Milchcocktails, auf die ich nur zeigen könnte, um sie zu bestellen, das ist mir zu doof. Also einen Espresso. Dann zum Museum of Polish Arms, in der deutschen Variante mit Museum Museum ausgeschildert, als müsse das Wort Waffe vermieden werden.

Kurzfassung:
Mit der Schlacht bei Cedynia 971 geht's los, Brandenburgia contra Slavenvolk, späteres Polen.
Ritterrüstungen, Pfeile, Lanzen, Stilette, rostige Fäustlinge, gebraucht gegen fortwährende Angriffe aus dem Westen, später auch von den Dänen, der Hanse, Schiffsplanken aus dem 17. Jahrh., erste Büchsen, Mantelsäcke, dann kamen die Schweden (es gibt eine Unterbrechung: Ein Handwerker bohrt an der Decke, ich werde gebeten, kurz zu warten, dann geht er laut seufzend, die Museumsfrauen bleiben zurück und eine stille Frage steht im Raum) -
Bomby Granaty zum Schleudern, später zum Explodieren, eine Geschichte der Signale, Hôrner, Lichter, und Sammlung schicker Uniformen, Pistoletten kommen in Mode, aber die strategischen Bewegungen der Armee sehen doch einigermaßen eingeschränkt aus. Kaum Land zum Verteidigen zeitweise da.
Schon sind wir beim 1. Weltkrieg, und danach ist mehr auszustellen, Polska Kawaleria mit ausgestopftem Pferd, Fernrohre, Funker, grüngrau schlicht überwiegt, Motorradboten, Ubior Oficera mit Pelzmantel, Stacheldraht, unversehens KZ-Kleidung. Eine 'Kolberger Zeitung' im Original: "Der Führer ebnet den Polen den Weg - Warschau aber lehnt ab!"
'Bekanntmachungen': Todesstrafe auf das Beköstigen von Juden und
Auferlegung von 10.000 sl. Strafe auf das Dorf Solki wegen Unterstützung russischer Kriegsgefangener.
Dann die Rote Fahne des Batalion Odra.
Allierte Uniformen jeder Art stehen in einem Schrank, die sowietische keineswegs vorneweg, ein Manifest Polskiego Komitetu wyzwolenia Narodowego aus Chelm, 22.7.44, burka-ähnliche Verkleidungen für die Männer in den Unterständen, dann der Sturm von Kiew über Lublin, Warschau, Bydgoszcz zur Oder und rein nach Berlin.
Kriegsarchäologie: am 4. März 45 bei Kolobrzeg abgeschossenes deutsches Flugzeug Focke-Wulf 190 F wird im Herbst 91 aus dem Meer gefischt, Taucher bringen die Devotionalien hoch: Soldbuch, Schießbuch, Zehnmarkscheine, Leistungsbuch, Zirkel, Lineal und Nagelknippser. Die ertrunkenen Feldwebel Horst Stobbe (Pilot) und Gefreiter Johannes Ewers (Mechaniker) werden am 9.1.92 auf dem polnischen Militärfriedhof beigesetzt.
Dann Kampf um Kolberg (deshalb der Kahlschlag draußen, die Pseudoaltstadt) am 18. März 45, ein Panoramabild mit Schlachtenlärm und Meeresgrimmen als Geräuschkulisse erzählt davon. Vor das Bild hat man an einem 'Strand' Fundstücke aus den Tagen damals hingelegt, zerrissene Helme, Reifen, Raketen, Mörser, Stiefelsohlen (man geht barmherzig mit den Gefühlen der Betrachter um).
Während ich noch gucke, ist der Handwerker wieder da und bohrt weiter. Auf einmal Fluch, Aufschrei, Stromausfall, still liegt der Schlachtmüll, das Tonband steht.

Draußen im Hof für die Kinder dann die eigentliche Überraschung: Jede Menge rostige Lastwagen, Kleinflugzeuge, Raketen, Barkas, Motorräder, alles, was ein Abenteuerherz begehrt.

Beim Weitergehen fällt mir auf, wie in Mode hier noch diese Freizeitsoldatenkleidung ist mit Tarnhosen und Netzhemden. An der Mole werden robbende MP-Soldaten im Batteriebetrieb verkauft, Iraque-proofed? Und dass es Grund zum Feiern gab, als Polen wieder ans Meer kam nach dem Krieg, Vermählungsdenkmal, ist jetzt auch klar geworden.

So schärft der Museumsbesuch den Blick auf die Wirklichkeit - anstrengend aber schon...

Freitag, 26. Februar 2010

Diätclub

Sie kommen morgens immer kurz nach mir, gegen Neun, aber anders als ich gehn sie nicht ans Buffet und ordern sich Rührei mit Speck, Käse, Schnittlauch oder Pilzen. Der Kellner bringt ihnen Brot und Gemüse, Saft und Tee, sein Lächeln gemischt aus fürsorglich und schadenfroh. Sie kommen auch nicht aus dem Bett wie ich um Neun, mit Stöcken kommen sie, luftgeglühte Gesichtshaut, vom Wandern seit weiß-ich- wie-lang. Ich weiß es eben nicht. Acht Frauen, von sehr unförmig bis eigentlich schon schlank. Lustig, einander lustig machend essen sie. Dann wird wohl eine Pause sein. Um Elf sind sie im Bad, und eine Trainerin trimmt sie fast wortlos eine Stunde. Die Heldinnen. Am Nachmittag das Gleiche noch einmal. Ich sehe meistens zu von meiner Liege oder schwimme am Rand etwas hin und her. Sicher denkt die eine oder andere: Der hätte es aber gerade nötig, der. Wenn ich das denke, will ich immer rüber winken, hab ich einmal auch gemacht, war wohl der falsche Moment, hat keine interessiert.
Die Trainerin ist halb so groß wie die Diätclub-Frauen, halb so alt, und in anderer Lebenslage oder Hierarchie wäre sie deshalb wohl ganz unten. Jetzt regiert sie ihre Gruppe ohne Worte, nur mit Schnalzen, Klatschen, Gesten. Die wildesten Verrenkungen führt sie vor und verlangt die Umsetzung im Wasser. Über ihren Frauen an Beckenrand steht oder hockt sie, springt plötzlich in eine Stellung, in die man mich schmerzvoll und langwierig verknoten müsste. Und die da unten im flachen Wasser ja auch. Und verlangt trotzdem die sofortige Nachahmung. Kontrolliert das Gelingen, Grade des Fortschritts. Lächelt eigentlich ununterbrochen, so aufmunternd und wegwischend, nimmt die Füße hintern Kopf, bleibt trotzdem gerade stehn und lächelt: Los! Das ist doch gar nichts!
Die Diätclub-Frauen wissen, wofür sie hier sind, dass sie dafür bezahlt haben. Das macht sie leicht und froh, auch wenn die meisten von ihnen schwer sind. Man merkt es kaum, kommen sie im Gang entgegen, sie lachen mich an, ich lache schüchtern zurück und fange an, sie um die Aufgabe zu beneiden, der sie sich unterziehen, ob sie nun abnehmen werden dadurch oder nicht. Ich wünsche ihnen, dass ja.

...

12 km Strand in jeder Richtung, menschenleer, da hoffe ich wieder klarzukommen. So Hanns Dieter Hüsch, frei zitiert. Hier ist es Schneestrand, funkelnde, genauso schneeweiße Gischt, lachende Augen der Sonnenanbeter, wenn sie vor Hitze aufschauen. So plötzlich so heiter die Gegend. Alle wussten es schon, als ich dazukam. Wir müssen stapfen, um voran zu kommen, Vorsicht, nah bei den Wellen ist man plötzlich über ihnen. Ein paar Möven kapern sich eine Eisscholle zum Draufschaukeln. Ich warte, dass Skifahrer hier vorbeiziehn.

Mittwoch, 24. Februar 2010

Nach Kolberg ...

... das ich nach der Schrift früher Kohlobretz aussprach, bis ich merkte, das es Kowobtscheck heißt. Das erste Mal hier war es heiß, wir staunten über den Fährbetrieb nach Bornholm, denn zwischen Dänemark und Polen lag für uns vor 11 Jahren mehr als ein Meer. Das zweite Mal hier, drei Jahre später, zeigte mir Max an einem Riesenrad im Vergnügungspark eine Plakette 'Tüv Bayern 1964', und wir fuhren dann nicht mehr damit.

Jetzt Kaffeehaus-Jazz im Bus. Dann George Michael und ein Chanson, eine Art Radio Figaro beschallt die Fahrt, da hat die Euro-Integration wohl nicht ganz gegriffen, denn auch wenn die Programmqualität ein Zufall war: das professionelle Schweigen des Fahrers zu 20 gleichzeitig tuckernden iPods wird erst noch kommen.

In Kolberg Urlaubsstimmung, dem Wetter getrotzt. Flaniermeile vor dem Sanatorium Uzdrowiskowe, in das ich hätte auch gehen können, es klang mir so medizinisch - ich hätte dann wildes Rentnerstadtleben um mich gehabt. Und wo ich gestern allein war, am vereisten Strand, wandern hier hundert und erholen sich fest entschlossen.

Die schweren grauen Wellen treiben immerzu unter das Strandeis, höhlen es von unten aus, aber der Wind ist viel friedlicher als 'da draußen, wo ich herkomme', als wollte er Rücksicht nehmen auf alte Paare, die hier flanieren und einträchtig deutsch reden. Pommernland. Oder die Händler, die sich mit Ramsch einen abfrieren. Ein vielleicht 11jähriger windet sich als Schlangenmensch zu einer polnischen Version von We Are The World. Eine Gleichaltrige spielt als Berufskind stoisch Gummistrippenschlagball vor einem Denkmal, bis zwei alte Tanten auf deutsch sich gluckig interessieren, sie hockt sich freundlich vor sie, bis klar wird, dass die nur schwatzen, nichts kaufen. Der Blick, den sie aufstehend um sich wirft, vertreibt mich gleich mit. Werde nicht erfahren, was für eine Sitte das ist: Vermählung von Meer und Armee, der mit dem Denkmal gehuldigt wird - es klingt so albern wie das Monument aussieht.
Jetzt am Hafen zu warmem Apfelkuchen dies Tippen mit einem Finger. Das Lied, das grad spielt: In the Army Now.

Nachtrag: Kowobtscheck ist ein Hafen, zwei Altstadtreste, viele Parks, um die Hochhäuser rumstehn, die eine Stadtgröße vortäuschen, die nach 15 Minuten Fußweg in jede Richtung zuende geht. Bei der Einfahrt hab ich eine große Kirche gesehn, die war dann wie weg.
Am Bahnhof isst man gut und billig.

Nachtrag 2: die Kirche ist riesig und war beim Rausfahren angestrahlt. Will nochmal hin.

Dienstag, 23. Februar 2010

Ausflug nach Dzwyrzino

Badeorte im Süden zur Nachsaison sind oft traurig und wie vernachlässigt. Man schlendert wehmütig dort entlang, wo es einmal heiß und bunt war und fand sich damals lebendiger. Badeorte an Polens Ostseeküste haben auch zur schönsten Sommerzeit nichts richtig Malerisches und wenig Verführerisches an sich, es sei denn, man wäre 15 und jede Aussicht auf Nacktes, Alk oder Fetenremmidemmi wäre willkommen.
Ein polnischer Ostseebadeort im kalten Winter ist also die athmosphärische Härte selbst. Eine nackte Kleiderpuppe, von der man sich auch behängt nichts verspricht. Ein abgeblätterter Metallzaun, der in den Boden abgesunken eine aufgegebene Baustelle absperrt. Ein ins Wasser führender Kai, der in ein Abflussrohr, das rostet, übergeht. Das alles gibt es in Dzwyrzino. Das einmal Dwirin hieß. Wo bis vor 15 Jahren Baustopp war wegen militärischem Sperrgebiet. Der Ort ist so hässlich, dass er mir das Herz weit gemacht hat. Und wie so oft in der schlimmsten ästhetischen Öde: Die dort Lebenden großzügig, freundlich, gelassen. Ein wenig verloren zwischen ihren abblätternden Schildern und Wegweisern, die von einem anderen Leben erzählen, das wiederkommen soll: von ryby, lodi und Foto Filmy.
Dann aber abgebogen zum Strand: Der Wind viermal stärker, die Buhnen eingefroren und überhäuft von bizarren Eisfiguren, das Wasser grau, ruhig tobend, eine gewellte Fläche, die sich gar nicht groß anstrengen müsste in ihrer Kälte und Kraft, um sich zu holen, was da hinter dem kleinen Wällchen so lebt. Diese Ostsee hier hat den gleichen Namen wie das Seenland um Flensburg herum? Muss ich glauben.

...

Ich geh gleich schwimmen. Schätze, ich werde der einzige sein. 3 Whirlpools und 3 Bahnen mit 25 Metern Länge werden bereitliegen, 25 Badeliegen bereitstehen mit Blick auf den verschneiten Grillplatz und die Dünen dahinter. Seit gestern Nacht weiß ich, das dann das Meer kommt. Es ist immer wieder schwer, sich den Einbru...ch von Katastrophen in solch abgesicherte Anlagen, Sicherheitsrat - und Energiemonster vorzustellen, und wenn der ganze Aufwand für vielleicht 25 Gäste betrieben wird, fühlt man sich stark und wie eingeflogen. Und wenn es hier voll ist im Sommer (und den Parkplätzen nach muss es höllisch voll sein), wird man an ganz andere Dinge denken. Aber gestern Nacht am verschneiten Strand dachte ich begeistert: Das kann nicht gut gehn.

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