Der Zug knarrt zwischen den Waggons, so, wie ich mir die Reise vorstelle: laut, gemuetlich, kaputt. Auch die Sprache ist schon die andere: Zisch zisch zisch sagen die Frauen, die aufgeregt Platz suchen fuer ihre Gruppe.
Sobald die Stadt vorbei ist, kommt das Winterland wieder, ein bisschen schmuddeliger der Schnee, so wie mein Anorak, der ja auch 4 Monate Wintergebrauch Tag fuer Tag an sich hat. "Das ist gut, das macht unauffaellig", sagte Kristjane gestern noch. Und so kreuzen wir unauffaellig aneinander vorbei, Winterland und ich.
Parsteiner See, auf dessen weiches Eis wir uns noch vor 5 Tagen wagten, kommt mit Sonne - und vorbei. Ob der Schnee an der Garage schon geschmolzen ist?
Jetzt geht's langsamer voran, Kraehen fliegen mit. Ein Kind macht in der fremden Sprache sehr laut: Mama - tuut -
"wie wir die Leute freisetzen, das ist jetzt angesagt", ruft eine klare Frauenstimme in ein Telefon. So ein Satz, der frueher mal ganz anders gemeint sein konnte .
Hinter Feldern mit Hasen drauf dann die Grenze.
In Stettin natuerlich den Kantor mit dem schlechtesten Kurs erwischt - lern dich dran freuen? Kuemmer dich nicht drum.
Ausfahrt aus dem Bahnhof (den ich extrem groesser, ueberdacht und menschenvoll in Erinnerung habe, diesmal nix als eine popelige Freiluftbaustelle): "Why did you leave Heaven for all these ugly things?"
Dann aber die vereiste, in Stuecken gehaeckselte Oder, Eiswasser fuer einen Riesen-Drink.
Zuckeltrapp. Rudel Rehe direkt an den Bahngleisen, ob sie hier mehr kriegen als vor den spaetgotischen Domen alle paar Kilometer am Kuestensaum? Schneewehen, in die man aussteigt, wenn man hier aussteigt.
quer - 22. Feb, 16:33
für eine seite der piratenpartei habe ich grad einen eintrag gemacht zu dem thema, ob der staat eine cd mit daten von steuerhinterziehern kaufen darf. folgt:
Dass illegale Praktiken angewendet werden, um kriminelle Taten aufzudecken, ist doch Alltag: Spitzel sitzen in gewaltorientierten Gangs, in Diebesbanden, in allen für die veröffentlichte Meinung unliebsamen politischen Gruppierungen (der halbe NPD-Vorstand gehorcht dem Verfassungsschutz), der provozierende Agent ist in unserem Rechtsstaat eine normale Erscheinung geworden und die Kronzeugin auch. Die bekommt Straffreiheit und eine (teure) neue Identität, der Anbieter der Datensätze bekommt Geld, um sich solch eine Identität selbst zu finanzieren. Wozu die Aufregung? Wäre sie ebenso groß, wenn ein attraktiver 19jähriger Jesuitenpadres zu Kuschelsex animieren würde im Auftrag einer Bürgerinitiative oder einer 'aufklärenden Behörde'?
Neu ist nur, dass jetzt einmal Angehörige der oberen Mittelschicht wegen ihrer kriminellen Energie verfolgt werden. Bisher galt da ein Tabu. Aber der Klassenkampf verschärft sich, die regierenden Parteien verraten grad einen Teil ihrer Klientel. In 20 Jahren wird es diese Mittelschicht kaum mehr geben - nur noch die ganz Reichen und die Verarmten. Da muss man sich als Politiker irgendwann entscheiden, für wen man arbeitet. Und bei der zu erwartenden übergroßen öffentlichen Armut ist natürlich auch Geld nötig, um ein paar Mindeststandards zu finanzieren, also muss man an das entzogene Steuergeld der ehemaligen Freunde irgendwann mal ran.
Dass das so aussieht wie 'Rächer der Verarmten sein', steht Herrn Schäuble & Frau Merkle vielleicht sogar gut.
Und über diese einvernehmlich angebahnte Entwicklung, die die Volksvermögen umschichtet in Konzernvermögen, sich aufzuregen, das finde ich, wäre politisch gedacht.
(Ich rechne übrigens nicht damit, dass auf der CD 'große Fische' sein werden, das wird man vielleicht schon gecheckt haben, denn noch einmal Zumwinkel, noch einmal mit dem Prozess bis Punkt Null Uhr warten, damit der arme Teufel Verjährung beantragen kann, das wäre dann vielleicht doch zu peinlich.
Obwohl: Was könnte peinlicher sein als Rösler/Niebel?
quer - 6. Feb, 12:17
Paar mit 2 kleinen Jungs, Vater voll im Kinds-Enterteachment-Geschäft, der Zug hält am Bahnhof Esslingen, Mann fragt: „Weißt du noch“, seine englisch-bengalische Frau antwortet seufzend: „Oh yes, life was completely different then. If you know what I mean...“
quer - 29. Nov, 13:36
Übliches Einstiegsgerdrängel, diesmal im ICE Leipzig - Erfurt, ich wuchte mein Gepäck in eine Zweierreihe, versichere mich, dass unreserviert ist, streife kurz die Mitreisenden mit Blicken, sehe Spielzeug verteilt auf einem Tisch schräg links vor mir, dann lass ich mich in den Sitz sinken, entsperre das Handy, genieße rückwärts gleitend die Aussicht auf den wüsten Rangierbahnhof Leipzig. Immer mal wieder höre ich ein Kinderstimmchen vom Einkaufengehen erzählen, dass die Tür zu ist, jemand kommen muss und sie aufmacht, ‚das spielt aber lebhaft‘, denke ich und meine, dass an dem Tisch mit den Bilderbüchern und Teddies vorhin ein Kind saß, jetzt schau ich nicht nochmal hin, sondern lese zwei Nachrichten, die unterdes eingetrudelt sind. „Der kann doch nicht raus“, ruft das Stimmchen, „der kommt doch nicht aus der Wohnung“, ich denke: ‚Das hat aber eine rege Phantasie‘. Sms-Tippen fällt mir immer noch schwer, wiedermal nehm ich mir vor, nach einem Handy zu suchen, auf dem man die Nachrichten auch diktieren kann. Manchmal sieht man ja Leute mit kleinen Schlaufen vor den Mündern, die reden so in das Weite hinein, so könnte man doch mit passender Maschine auch schreiben, hoffe ich, jedenfalls Kleinigkeiten wie meine Antwortsätze jetzt auf zwei Fragen, die auf dem Handy gelandet sind. „Nein, Mama, du musst hin, der braucht Nahrung, der Harry verlässt doch die Wohnung nicht.“ Ich rappele mich etwas hoch. Am Tisch schräg links vor mir sitzt wirklich ein kleiner Junge, er spielt in sich gekehrt mit einem Lastwagen in einer Plasikachterbahn. Der hat bestimmt nichts gesagt. Ihm gegenüber sitzt eine junge Frau, hager, ein abgemagertes Girlie in mädchenhaftem Kostum, an dem das frischeste sein Blüschen, Röckchen und die Westernjeans drunter sind. Faltig vor Dürre und mit einer Schlaufe vor den Lippen und einem Knopf im Ohr. „Ja, Mama, ich kann dir den Schlüssel per Nachnahme schicken, gleich nachher, wenn wir in München sind, dann hast du ihn morgen.“ Sie rappelt ungeduldig mit den Knien gegen die Tischkante und fegt mit den Händen den Teddy von der Platte. „Mama, pass doch auf“, murmelt der kleine Junge. „Ich mach Sachen, ich mach Sachen“, ruft die Mama zwischen Lachen und Schluchzen, dann hebt sie den Teddy vorsichtig wieder auf. Sie klingt jetzt ehrlich erstaunt. Von ihr kommt dies Stimmchen.
Später - die Tragödie mit dem eingeschlossenen, zu versorgenden Harry ist offenbar geklärt oder aus dem Gedächtnis - spielt sie nett und ein bisschen streng mit ihrem Sohn. Dann lehnt sie sich wieder zurück und telefoniert nochmal. „Ja, ich dich auch“, haucht sie mit geschlitzten Augen, „wir sehn uns ganz bald, bestimmt...“ und dann übergangslos, ohne eine Spur von Gefühl: „Und tschou tschou...“
Als ich aussteige, fragt sie den Sohn grad: „Mit was holt der Pappa uns nachher in München wohl ab?“ Und das Kind fragt begierig zurück: „Mercedes?“ Die Ansage eines Zugbegleiters, jeder Anschluss werde in Erfurt erreicht, verhindert, dass ich die richtige Automarke noch erfahre. Vielleicht wird es sogar ein Hubschrauber sein.
quer - 17. Sep, 02:19
Häuser, aus denen Fenster gucken. "Ach, wie ist der Mann zu loben, der die Häuser hohl gemacht", darüber hab ich als Kind gelacht, jetzt dank ich den Autokonstrukteuren, dasss sie nicht nur solche schmalschlitzigen Niedrigraser bauen, sondenr auch immer noch fahrende Hochsitze. Die Niedrigraser nehmen zu, und ich glaube, dass es mit der Unsicherheit draußen zusammenhängt, dass man momentan gern ins Auto, das fahrende Haus, wie in eine gut abgeschottete Welt klettert. 'Rasende Mauer' nennt man den Off-Roader, man sieht nur das Nötigste und braust davon.
'Rasende Häuser', ist sowas auch geplant? Ich würd mitfahren, was fährt, das probier ich aus, irgendwann...
quer - 30. Apr, 01:11
Helfende Hand, hingehalten zum Schütteln, aber es ist die Linke, man muss sich drehn, um sie schütteln zu können, und dann knarrt es wahrscheinlich, denn sie ist ja aus Plastik mit Drähten drin, nichtmal aus Fleisch und Blut. Helfende, staksende Hand. Irgendwas aus Kunst - fährt man die Umleitung mit dem Zug nach Hamburg, kommt man jetzt durch Uelzen mit seinem Friedensreich-Hundertwasser - Bahnhof rechterhand, ein altes Gebäude, umbaut mit bunten Wucherungen des Meisters, ’irgendwas mit Kunst‘, denkt man und freut sich über die Phantasiebeigabe, wenn gut gelaunt - oder die Aufgeblasenheit, wenn genervt. Nach einer Weile auf der Fahrt nach Hamburg führt die Umleitung dann durch Lüneburg, und kurz vor dem Bahnhof streift der Blick ein schmuddeliges, ovales Parkhaus, und eine leise Stimme da drin sagt: Das ist die Friedensreich-Hundertwasser - Spätphase, Überwindung der Phantasie durch den plattesten Alltag, das Banalste als Allerschönstes, es gibt sogar eine Untersuchung darüber: ‚Von Uelzen nach Lüneburg - kopernikanische Wende der Hundertwasser - Architektur‘, möglich auch, dass der Künstler das Parkhaus nur okkupiert hat, es war schon da, er kam nur vorbeigeschlendert und erklärte es einfach zu seinem : So schafft sich Bob Dylan sich seit Jahren seine Lieder -.
Wären das die Sorgen der Welt, wär es leicht, helfende Hand. Warum stakst du so? Weil du die linke bist? Weil du aus dem gleichen Jahrmarktsbudenzauber rausragst wie der restliche Müll? Einarmiger Bandit? Wenn du die linke Hand bist, warum ballst du dich dann nicht zur Faust? All die vornehme Zurückhaltung, wo die Linken doch die ‚Krise‘ willkommen heißen müssten und nicht Krise, sondern die notwendige Folge finanzkapitalistischen Wirtschaftens nennen sollten, ‚Verstaatlichung, Frau Kanzlerin, mit Verlaub, die Idee hatten wir auch schon mal...‘ Warum erklärt die Linke nicht laut und deutlich: Die Menschen, die täglich verhungern, sind die Enteignung. Der tägliche Zusammenbruch hergebrachter Verhältnisse und mitmenschlichen Umgangs zugunsten von Profitmaximierung ist die Enteignung. Die Arbeitsvernichtung, die täglich passiert, ist Enteignung. Die Wegnahme von Lebens- und Gemeinschaftssinn zugunsten von Abstraktion, Luftgeld und perverser Riten, die ein clonartiger ‚Vertreter Gottes‘ stattdessen durch die Welt posaunt - das ist Enteignung. Wär jetzt nicht die Zeit zum Um-Sturz, einarmiger Bandit? Zeit, um für pro & contra zu werben, zumindest. Klein angefangen: Zum Beispiel Namen und Adressen zu veröffentlichen der Richterin, die eine Kassiererin wegen Bons im Wert unter 2 Euro arbeitslos machte, des Sozalamtmitarbeiters, der einem Hartz-IV-Bezieher wegen Bettelns den Auszahlbetrag kürzte - wenn eine Million Leute diese Daten samt Lebensgewohnheiten der Sykophanten gemeinsam veröffentlichten, dann soll erstmal eine Million Menschen einzeln angezeigt werden, viel Spaß! Vorher wird folgende Erwägung bei den Tätern ablaufen: Na gut, auf die Immobilienprämie vom Einzelhandelsverband muss ich diesmal verzichten, aber ich möchte doch, dass meine Kinder sicher zur Schule kommen, also die nächste sprech ich frei...
Staksige Hand, ich fürchte ja, wir machen den Umsturz nicht mehr. Wir sind Teil des zu Stürzenden. Teil des Gewrackten, nicht die Bezieher der Prämie. Trotzdem kann das Leben sehr schön sein. Und das gefühlte Wissen, das wir gesammelt haben, das nimmt uns keiner. Ein graues, geringeltes Parkhaus als Inbegriff phantastischer Schönheit zu sehen, zum Beispiel. Oder diese Worte zu lesen als emphatischen Ausdruck von Lebensfreude. Oder die Wesensart Ackermann als die eigentliche katholische Hingabe an das Jammertal, als Lamm Gottes. Das hats vorher noch nie gegeben. Wirds wohl nachher auch nimmer.
Lass krachen.
quer - 1. Apr, 14:33