Mittwoch, 11. März 2009

Shake, Rattle and Roll

Shake-Rattle-and-Roll

Dienstag, 3. März 2009

Zeit

So ein großes Ding auf sonem kleinen Wagen. Dachte noch heut beim Duschen, weil der Studiotermin auf abends verlegt worden war: Jetzt hast du Zeit! Und hast-du-nicht-gesehn...
Nein, die Zeit hab ich noch nicht gesehn. Und Du auch nicht. Die Zeit, wenn sie Zeit hat, steht geparkt an einer S-Bahn-Brücke in Berlin und tarnt sich als Bauwagen, um nicht in Hektik zu geraten. Liest das schöne Amir gegenüber, vielleicht hat sie deshalb dort angehalten? Und sind die Kürzel was Geheimes? Vorbereitung für die Zeitlosigkeit danach? Seltsame Ecke. Werd mal versuchen, die Stelle zu finden, wenn ich Zeit hab.

Montag, 2. März 2009

Zeit?

Zeit

Samstag, 2. August 2008

Thema Rauchen

Diskussion übers Rauchen auf Radio Kultur. Stefanie Winde - was für ein schöner Name, was (vom Gesichtspunkt der schönen Namen aus) für eine Vergeudung an diese Trägerin -, gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion in Berlin, und Herr Johannes Spatz, Vorsitzender irgendeiner Nichtraucher-Organisation, überbieten sich an Verfluch - und Drohgebärden, die anderen Teilnehmer kommen wenig zu Wort. Bis auf eine geduldige Wirtin, die gern eine Raucherlaubnis in ihrer Kneipe hätte - ihr wird unterstellt, sie vergifte ihre Kinder („Ich habe keine Kinder“, sagt sie freundlich, aber der Nichtraucher-Lobbyist nimmt es nicht zur Kenntnis), und als Raucherin habe sie eh keinen freien Willen. „Raucher sind Süchtige und deshalb nicht Herr ihrer selbst“, spricht sanft Herr Spatz im Ton eines Sektenführers, und die Frau mit dem sprechenden Namen fügt bedeutsam hinzu: „Wir müssen nämlich auch Menschen gegen ihren eigenen Willen schützen“, also Raucher gegen sich selbst.
Das in einem Land, in dem man auf keine mittlere Politik-Position kommt (also z.B. Sprecherin für ein Thema in einer großen Fraktion wird), ohne sich gegen andere durchzubeißen, zu intrigieren, bis man sich selbst nicht mehr kennt, zu treten, zu betteln und gegen die Erschöpfung anzuschuften, bis Tränen fließen (ich kenne genug Politiker, um zu wissen, dass es wahr ist) - ohne also von Grund auf arbeitssüchtig und gefühlskalt geworden zu sein.
Was für eine Heuchelei! Anstatt das Rauchen dann ganz zu verbieten, träumen diese Chargen davon, sich aus der Tabaksteuer (oder der Lobbyarbeit) ihr Salär bezahlen zu lassen, aber die Raucher (endlich mal eine Bevölkerungsgruppe, pars pro toto!) mit Vernunft und Gemeinschaft, Gesundheit, Rücksicht, mit all dem Kram, der in einer kapitalistischen Gesellschaft auf dem Weg in die Globalisierung sonst einen Dreck gilt (es sei denn, er brächte Geld), lebenslang zu schuriegeln. Endlich mal dürfen sie Gute Menschen spielen. Gute Menschen erzwingen! Bestrafen! Maßregeln! All das Prickelnde tun, das einen eine Erziehungsdiktatur nun mal so machen lässt! Konsequenzen? - immer für andere. Herr Spatz (normaler Zweitsatz in der Sendung „ich als Arzt“) träumt z.B. davon, ein Rauchverbot auch in Privatwohnungen durchzusetzen. Er fordert (und Frau SPD-Betroffene stimmt leise zu), der einfache Passant sollte ruhig auch mal das Ordnungsamt herbeirufen, wenn er oder sie in einer Kneipe jemanden rauchen sieht (Was - da tragen welche den Stern noch nicht? Meldung machen, Volksgenosse...)
Der einfache Passant sollte diesen Drohern, die vom Leben reden und den Zwang meinen, ausweichen als einer echten Gefahr. Lebenslang, es sind bedrückende Leute. Der „ich als Arzt“, der sich (seine Stimme verrät es) nur über all die andern erheben will, und die Sprecherin mit ihrem Allmachtsrausch. Die sich ja hoffentlich längst vehement gegen eine längere Nutzung von Kernkraft eingesetzt hat (Stichwort Volksgesundheit). Und uns allen so richtig bekannt wurde wegen ihrer mutigen Pläne gegen die Zweiklassenmedizin... Nun zerfällt die SPD ja vielleicht bald mal, Zeit wärs. Dann fängt die Dame vielleicht das Sich-verlieren an, und dann wird sie einen vielleicht irgendwann einmal nett, gebrochen und stockbesoffen an einer Bar nach Feuer fragen.
Kein Mitleid. Ich kann nur immer jeden bitten: Kein Mitleid!
Ich bleibe übrigens weiter ein trockener Raucher. Weil ich es will.

Ein Abend mit L.Cohen

Der Marktplatz von Lörrach ist nicht mittelalterlich schön, die Häuser wohl eher Dutzendware, und Touristen wird man kaum herumführen. Vielleicht gerade deshalb schafft er eine so heitere Konzentration, beste Umgebung für die Konzerte, die dort jedes Jahr stattfinden, von ein paar Tausend Menschen besucht, beäugt von den Anwohnern, den Gästen des Hotels Benoth (von denen ein paar neulich abends die Rollläden runterließen, sie hatten schließlich ein Zimmer, keine Beschallung gemietet), vielleicht lässt er deshalb die Künstler, denen das von ihrer Bühne aus klein und possierlich vorkommen wird (gemessen an den Hallen, denen sie sich sonst aussetzen), in Begeisterungssprüche verfallen, lässt Bob Dylan sich am Ende hinknien (vor neun Jahren) und Leonhard Cohen sich mehrmals für die sinnstiftende Begegnung in einer sonst qualvoll zerrütteten Welt bedanken - ein Ensemble aus meisterrenoviertem Mittelalter würde den Freiraum vielleicht erdrücken. So wie Gustav Mahler mal sagte: Perfekte Gedichte lassen sich nicht gut vertonen, brüchige kitschige Reime sind besser für eine hochempfindliche Musik.
Leonhard Cohen fing an mit seiner Bitte um einen Tanz bis ans Ende der Liebe (dorthin, wo die ungeborenen Kinder in Bewegung geraten), und es war der satte, altertümliche, freundlich-ewige Schlagerklang, der uns mitnahm. Seine ersten Worte dann (nach einer Art Hallo): ‚Give me back the Berlin wall, give me Stalin and St.Paul, I’ve seen the future, brother, it is murder‘.
Als die Zeit für ‚Suzanne‘ gekommen war, saß ich plötzlich im Wohnzimmer mit meinem Vater, 40 Jahre vorher, im Herbst 68, wir hatten die Sitte, uns beim Tee Musik vorzuspielen und ich hatte diese LP nachhaus gebracht mit dem Polaroidfoto eines offensichtlich magenkranken Mannes drauf, wir wussten beide nicht, was uns erwartete. Traurigkeit. Besessen griffige Sehnsucht. Ohnmacht und liebender Spott in der tiefen Stimme, die aushalten will, was nur gereimt zu ertragen ist. Die wohlige Weichheit der Begleitmusik drumrum. Keine Ahnung, was für Bilder da entworfen wurden, aber sie erreichten uns. Dies leise, zerrende Geschrei am Ende, weit draußen, ‚in a blizzard of ice‘ - als meine Mutter von der Arbeit kam, fragte sie: „Ist jemand gestorben?“
Ich war gleichzeitig immer noch auf dem Marktplatz. Ich dachte (und sah den agilen, freundlichen, hageren alten Herrn mit der wieder so beweglichen Stimme, dem Charme, den altertümlichen und wie-ewigen Gesten, noch dies tolle Orchester um ihn herum): Wer hätte voraussehen können, dass das so dauert, dass es ein Bund fürs Leben wird? Und noch so schön ist, grad jetzt, mit all dem Schrecken in den Liedern wie in uns und wie da draußen - dass das so hält? Grade noch. Immer grade noch.
Man vergewissert sich an solchen Abenden, mit vielen Tausenden, dass es so grade noch...

Samstag, 7. Juni 2008

baden-baden

An der Schwimmstelle ist heute ein Boot angelandet. Drei Erwachsene, zwei Kinder. Ich gehe langsamer, als ich das sehe, dann zwing ich mich zu einem forscheren Schritt.
„Tach“, ruf ich und lass den Rucksack fallen.
„Tach“, knurrt der eine der biertrinkenden Männer. Der andere guckt durch mich durch.
Ich zieh mich um.
„Lasst den Mann mal durch“, sagt die sonnenbadende Frau zu den Kindern, die ganz woanders planschen, und meint ihre Männer.
Der durch mich durchgeschaut hat, macht ein klein bisschen Platz.
„Immer noch ziemlich frisch“, sag ich, einen Fuss im Wasser.
„Geht aber“, antwortet der Gesprächigere.
Ich zwinge mich, gleich tief einzutauchen. Die beiden Kinder kreischen.
„Ging aber schnell“, sagt der Durchgucker zu dem andern, er hat eine eher hohe Stimme. Ich mache ordentlich Schaum und Wellen beim Schwimmen.
Als ich zehn Minuten später zurückkomme, hat eine Gruppe von zwei dicken Frauen mit fünf weiteren Kindern alles am Ufer in Beschlag genommen, und die Leute vom Boot sind hastig dabei, ihre Abfahrt vorzubereiten. Sie grüßen mich wie einen guten Bekannten.
Etwas schwankend stoßen sie dann vom Ufer ab, der Durchgucker kommt nur mit Hilfe der Frau in das Boot.
„Die sollten jetzt nicht mehr quer übers Wasser“, sagt eine der beiden neuen Dicken.
Einen Moment glaube ich, dass sie ihre Kinder zurückgelassen haben. Aber dann kreischen die vom Bug des Boots zu uns rüber.
„Doch“, sag ich, „quer übers Wasser. Muss schön sein. Und immer im Takt!“

elitchen

Bei Welt-Online gab es neulich eine schmale Glosse von einem Gießener Jungakademiker mit Kurzzeitjobs, zwischendurch arbeitslos, der sich mokiert, wie großzügig ihm der „Wohlfahrtsstaat“ dann jedesmal weiterhilft: „Schöner leben mit Hartz IV“ - und dann wundere man sich, dass niemand mehr hart arbeiten wolle. Als hätten wir es zehn Jahre früher, vor Schröder, 1998, so hinter der Zeit her, so schale Witzchen eines Elite-Aspiranten. Welt-Online eben.
Nur ein paar Beamte und Börsenmakler denken heute noch so, murmele ich, während ich dem Namen des Glossisten müde nachgoogele. Natürlich Treffer. Edgar Dahl, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum der Dermatologie und Andrologie der Justus-Liebig-Universität Giessen ist „im Moment (...) als Visiting Fellow am Centre for Applied Philosophy and Public Ethics der University of Melbourne tätig“ - also typischerweise gut abgesichert. Er disputiert auch wissenschaftlich gerne mal, unter anderem verfasste er eine Abwägung zu dem Thema, ob Eltern, vorausgesetzt, dies sei technisch machbar, mit genetischem Eingriff die sexuelle Neigung ihrer Kinder vorherbestimmen dürfen sollten (Human Reproduction, Vol.18, No.7).
Ohne über den persönlichen Nährboden zu spekulieren, der eine solche Frage überhaupt erst aufkommen lässt, und eh ich wieder belehrt werde, dass man die Fachleute gefälligst machen zu lassen habe: Ich wünsche Dr.Dahl von Herzen solch genmanipulierten Nachwuchs, und dass der früh genug davon erfährt!

Patt

„Aber“, sagt die junge tschetschenische Autorin bei der PEN-Tagung in Speyer, nachdem sie von den Versuchen, sie am Beobachten, Berichten, das Unrecht Festhalten zu hindern, ihr die wirtschaftliche Basis, die Bewegungsfreiheit, ihren Mut und die Unvoreingenommenheit zu nehmen, ihr die eigene Sprache zu verbieten, die Heimat zur Fremde, zur verbotenen Zone zu machen, ihr ihre Äußerungen in den Mund zurückzustopfen, ihre Kultur in Frage zu stellen, die Identität ihres Volkes, das Streben nach Unabhängigkeit unter eigenen kulturellen und sozialen Regeln, sehr klar und nachvollziehbar berichtet hat, und dass sie für diesen Einsatz dann erwartungsgemäß ins Gefängnis kam und selbst dort nicht aufhören konnte zu schreiben - wie sie denn überhaupt an das Schreiben und vorher Studieren gekommen sei, fragt die ihr sehr gewogene deutsche Gesprächspartnerin dazwischen, als Frau in Tschetschenien, da sei sie doch strengen patriarchalen Gesetzen unterworfen -
„aber“, antwortet sie da, „wir haben doch 70 Jahre lang Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Sowjetunion -“

Geburtstagsständchen

24.5. Leipzig, zu Bob Dylans Geburtstag, eine Session mit Francis D.D. String und Sascha Gutzeit. War schön chaotisch - 2 Stunden Probe im Garten am Fluss, dann 2 Stunden Konzert - zu 3t für uns alle fast ausnahmslos neues Material, wir haben eine ziemlich ungewöhnliche Setlist zusammengestellt und die ganz langen Riemen weggelassen, weil der Laden, das Flowerpower, ein junges und eher hibbliges Publikum anzieht. War gut voll, als wir anfingen, wurde noch immer enger. Und das spielten wir:
Heut nacht (Tonight I'll be Staying Here With You)
Seven Days
Hochwasser (High Water)
TV Talking Blues
Der Weg ist lang (Coming from the Heart)
New Pony
Schlupfloch vor dem Sturm (Shelter From the Storm)
Just Like Tom Thumbs Blues ((als Bossa))
Noch ne Nacht (One More Night)
Where Teardrops Fall
Ugliest Girl in the World
Emotionally Yours
Ewiger Kreislauf (Eternal Circle)
Things Have Changed
Kotz dich aus (Get Your Rocks Off)
Rainy Day Women
Death is Not the End
Viel Blues, viel Impro, natürlich auch mal Leerlauf, denn wir hatten ja nix geplant, und da greift man schon mal gern auf vorhandene Floskeln zurück. Gegen Ende extatischer. Es gab ein bisschen Gemosere vom Publikum, weil wir nichts von uns selbst spielten und keine Dylan-Hits, aber die meisten mochten es. Mich nervten nur die Keyboards, ich will einen Flügel!
Anschließend brach eine Horde Junggesellen-besinnungslos-Suffkis in das Flowerpower ein, gut, dass wir kräftige Freunde hatten, ein schneller Abgang war geboten. So viel Gesülz und Geballere auf einmal und ohne Vorwarnung hab ich selten erlebt. Plötzliche Dumpf-Aggression und eine Strip- Einlage, wo es eben noch so leicht und inspiriert schwang, der gleiche Boden, die gleichen Wände...
Leipzig jedesmal eine schöne Stadt trotzdem.

Jugoslawien-Buch

Jeder hat seine Wahrheit, sagt man gern. Aber die Wahrheit, die Exaussenminister Fischer sein eigen nennt, der im gleichen März/April 1999 eine Einschätzung seines Ministeriums in einem Abschiebeprozess verantwortete, im Kosovo seien albanische Volksangehörige „keiner regionalen oder landesweiten Gruppenverfolgung ausgesetzt“, und sich vor den Bundestag stellte, um die Vertreibung und Vernichtung der Albaner durch Serben im Kosovo mit dem Genozid an den Juden zu vergleichen und damit um Zustimmung für seine Bombardierung Serbiens zu werben - ich fürchte, sie taugt überhaupt nichts. Was ist schon Wahrheit? Die Karriere ist gemacht, die Legende ist gestrickt, nach den Toten kräht kein Hahn. Der Kosovo ein unabhängiger Staat neuerdings, regiert von Leuten, die mit dem Organhandel ihrer frisch getöteten serbischen Gegner die nächsten Waffenkäufe finanzierten. Das erfährt man von Carla del Ponte, bisher Chefanklägerin des Kriegsverbrechertribunals in Den Haag, die ihr Buch mit diesem Detail ausdrücklich erst veröffentlichen wollte, sobald der Kosovo mit der ihn (ich nenn es mal so) befreienden UCK es in die Selbständigkeit geschafft hat. ‚Unsere‘ Armee regelt dort das Nötigste, und grad heut im Deutschlandfunk in einer Reportage über eine junge Soldatin in Pristina nannte der Sprecher die abgebrannten Häuser in der Altstadt als „von ehemals dort ansässigen Serben verlassen“.
Verlassen, wie das Kaufhaus Wertheim im Faschismus von seinen Besitzern 'verlassen' wurde.
Zu diesem grausligen Thema eine Lektüreempfehlung: Kurt Köpruner, Reisen in das Land der Kriege, Diederichs 2003. Die Recherchen des privat und beruflich mit Ex-Jugoslawien verbandelten Vorarlberger Geschäftsmanns über die Eskalation des Gewalt-Irrsinns seit 1990, dem er mit den Riesenaugen eines erschreckt-neugierigen Kindes entgegen - und nachsah, haben Sogwirkung. Achtung: Verschwörungstheoriegefahr - was ja nichts andres heißt als Fakten und Erlebnisse statt der Weismachungen aus FAZ, taz und gleichgeschaltetem Bekanntenkreis.

17.5. Aufbruch

Unter dem Vordach, zu fünft mit zwei Hunden, ein großes Frühstück, wir haben geprobt gestern in dem Zimmer zur Straße raus, manchmal sind Leute kurz stehengeblieben, waren dann in Polen essen, trinken anschließend, wollen jetzt nochmal alles kurz anspielen - „Ist das die Truppe“, fragt ein Nachbar, der vorbeischaut. Ja. Wird nur den einen Auftritt geben heut Abend im Grünen Salon, aber es klingt wie der Anfang zu einer weiten Tournee.

Nachtrag Pfingsten

Pfingstlager der Linkspartei am Werbellin-See und Pfingstfestival der evangelischen Jugend in Dresden. Zweimal fröhliche Massen unter dem strahlend blauen Himmel, an den wir uns in diesen Maitagen schon so gewöhnt haben, dass er wie selbstverständlich über uns liegt, und ich denke zweimal am Tag: Freue dich!
Das könnte auch das Motto für beide Veranstaltungen gewesen sein - einmal in formvollendeter Lässigkeit am märkischen See und einmal in demonstrativer Nüchternheit in der sächsischen Kulturhauptstadt. Im Sport - und Freizeitgelände hat das Bierchen frühmorgens den gleichen Stellenwert wie das Andachtsgebet mit klarem Kopf auf der Brühl-schen Terrasse. Und so weit voneinander entfernt Jugendfunktionär der Linkspartei und Jungscharleiterin der evangelischen Jugend sich fühlen werden, die schlecht sitzenden Shorts, hastig gerauchten Zigaretten, die vorquellenden Fettpölsterchen und selbstbewusste Wurstigkeit eines: Hier-bin-ich-ich-denn-nur-hierher-gehör-ich - Selbstgefühls haben sie beide, teilen sie, auch wenn sie sich das nicht mitteilen.
Was nehme ich mit: Eine DVD mit dem grade mit 101 verstorbenen Volksschauspieler Geschoneck, oder eine mit Reden von Helmut Gollwitzer, dem Widerstandstheologen aus meiner Dahlemer Nachbarschaft? Nix davon (obwohl man vielleicht beides nirgendwo sonst so einfach bekäme).
Dafür eine neue Erfahrung im Improvisieren. Ich höre in Dresden beim Eintauchen in den ‚Bärenzwinger‘ den Leipziger Sänger Francis D.D. String mit seiner Band, sie spielen Dylan, ich muss lachen, weil er immer mindestens zwei, drei Worte pro Zeile weglässt, sich deshalb gesanglich um so mehr in Anfang und Ende reinlegen kann, die Melodien feiert mit so viel weniger Ballast („crickets are talk (unverständlich)... in the wind“ - lache begeistert und klatsche, da bittet er mich auch schon auf die Bühne, sie spielen den Anfang von ‚shelter from the storm‘, zu dem ich ja eine deutsche Fassung habe. Die ich natürlich nicht auswenig kann, deshalb will ich eigentlich sofort abwinken und mich verkriechen. Aber dann frag ich mich, wieso ich grade so fröhlich war. Ich vergegenwärtige mir die ersten Zeilen, klettere hoch und sing los, lasse weg, was mir grad nicht einfällt, steigere mich in die Fetzen - das Ende jeder Strophe ist ja sowieso klar: „Komm rein, sprach sie, ich geb dir ein Schlupfloch vor dem Sturm.“
Ich glaub, ich hab noch ein paar Leute mehr fröhlich gemacht.

Freitag, 9. Mai 2008

...

Das erste Schwimmen unter freiem Himmel im Jahr, eine der kleinen Traditionen, von denen es in meinem Leben jedenfalls viele gibt, soll hier im Frühling stattfinden (und nicht im Februar auf Gomera oder so) und bei noch sehr kaltem Wasser. Also war es heut genau richtig, ich blieb knappe zehn Minuten im Parsteiner See, erst hüfthoch, dann mit einem Sprung rein in die Wellen, an der entlegenen Badestelle, wo einen bestimmt keiner findet, wenn man dann doch mal einen Herzschlag kriegen sollte in der Kälte, aber das wäre völlig gegen die Tradition, und es war ja auch toll, auch das Rausschwimmen, wenns immer wärmer wird trotz so eines inneren Bibberns und Frierens, das man aber durch eilige Arm - und Beinbewegungen fast wettmachen kann, mindestens übertönen, sodass es tatsächlich wärmer wird in dem Wasser, und nur die Vernunft sagt: Jetzt aber raus, und man ziert sich noch eine Weile, wie’s sich gehört nach der Tradition, und dann draußen ist es, obwohl die Sonne knallt, plötzlich kalt, eiskalt, als hätten Wasser und Luft ihre Lagen getauscht, und so bleibt es, die innere Kälte strömt langsam nach draußen, sehr langsam... Ist das Wetter nicht anders seit heut nachmittag?, also ich finds frisch...

Das Böse (Zwischenmeldung)

Eine Woche vorbei, und die Meinungen, die ich zu der ‚Inzest-Familie‘, wie ichs da noch nannte, ganz fest gefasst hatte, sind aufgeweicht, verändert, umgeformt. Das ist gut, aber schwach trotzdem auch.Ich lerne, dass die Tätigkeit eines Polemikers ein Handwerk mit eigenen Kniffen ist.
Zum Beispiel muss die griffige Formulierung einer Entwicklung standhalten. Nach wie vor bin ich nicht bereit, die Ehefrau des Verbrechers als nichtsahnendes Opfer zu sehen, aber mein Vergleich mit den Gattinnen von KZ-Kommandeuren kommt mir im Licht der weiteren Berichte auch überzogen vor. Ich denke sogar manchmal: Was mischt du dich da ein? Trotzdem ich eigentlich nicht bereit bin, mir so ein duldend unschuldiges weibliches Nichtsahnen über Jahrzehnte weg einreden zu lassen. Oder sogar Mitleid dafür zu empfinden. Die duldende Täterfrau ist eine Mittäterin.
Gewohnt bin ich nach einer Woche Presseschau und Gesprächen die Kritik an meiner Aufgeregtheit und Übertriebenheit. Statt erstmal leise das Entsetzliche wirken zu lassen, musste ich gleich Schuldige suchen. ‚Sie ist so alt wie ich. Ich sehe, was ich alles erlebt habe seit dem 18. Lebensjahr, entscheidende Jahre, und stell mir vor, was sie erlebt hat seitdem. Im Keller.‘, sagte ein Freund - unzählige Leute stellen sich das jetzt vor, dieses Keller-Dasein.
Aber trotzdem kann ich, im Gegensatz zu vielen um mich rum, keine Medienschelte beginnen. Die Jagd nach Aussagen, Fotos, Hintergründen findet für jeden von uns statt, die wir diesen ‚Fall‘, ‚Tragödie‘, dieses ‚Elend‘ (wie sagen?) verfolgen. In der hektischen Neugier der Medien sehe ich nichts eigentlich Widerliches, höchstens extrem Lästiges für die Betroffenen. Widerwärtig finde ich oft das Wie der Berichterstattung. Wie aus dem ‚Monster‘ ‚der Fritzl‘ wird, nur einen kleinen Abgrund weg vom ‚Pfundskerl‘, dessen Potenz man bestaunt, dessen Fickurlaubsfilme man mit verschämtem Grinsen zur Schau stellt. Wie man so tut, als wäre der Kern dieses Verbrechens der familiäre Inzest (ein Gedanke, den ich von Bov Bjerg übernehme) und nicht die unablässige Vergewaltigung, das Wegsperren, der Lebens - und Weltentzug.
Widerlich, wie die damals verantwortlichen Behörden, die das Mädchen nachhaus zurückbrachten und ihre Befreiungsversuche aus der Vergewaltigungskette als ‚Abenteuerlust‘ ‚missverstanden‘, sich weigern, von Fehlern, geschweige Schuld überhaupt zu reden. Bloß nichts zugeben. Widerlich, wie die Kirche zu diesem ihrem abgeirrten ‚Schaf‘ schweigt. Geschweige zur eigenen Zuarbeit zu den Verbrechen.
Ich komme nicht klar mit denjenigen, die diesen ‚Fall‘ für ein Singuläres, ein nicht erklärbares Unfassbares etc. halten. Ich sehe, was da passsiert ist, als ein paar Schritte quer auf dem Boden unserer Normalität, als Zuspitzung. Was Elfriede Jelinek dazu geschrieben hat, erreicht mich. Was passiert ist, jetzt allein der Routine von Psychologen und Rechtsfachleuten zur Klärung zu überlassen, als wärs eine Abweichung von an sich guter Norm, fände ich bedrohlich. Denn die Norm gibt es vielleicht nicht. Dass ‚Frau und Kinder und Gepräge‘ eine Art Eigentum des Mannes in der Familie sind, ist offenbar noch nicht überwunden, weder psychisch noch rechtlich so ganz. Umso weniger ‚Familienautonomie‘ es gibt, desto irrer gebährden sich vielleicht die ehemaligen kleinen Herrscher. Und umso isolierter und machbarer Sex alles prägt (fast das Verlässlichste in dieser deregulierten Welt), desto dumpfer wird er dann eben auch isoliert und gemacht. Die Menschen dazu gehören einem ja noch...
Aber schon wieder DEUTUNGEN. In einer Woche sieht alles anders aus.

Dienstag, 6. Mai 2008

Zum Hundertneunzigsten

Zwischenstopp in Chemnitz, für eine Lesung zum Geburtstag von Karl Marx, vor seinem eingerüsteten Monumentalkopf, von 10-20 Uhr, jeder liest 5 Minuten lang, eingeladen von Sabine Kühnrich und Ludwig Streng. Hier ist es windig, das Häufchen Leute freundlich miteinander, eine alte Frau hat eine russische Fassung des Manifests geholt, dann lesen ein ehemaliger Superintendent und ich zwei flotte Kapitel aus einem Kinderbuch über Charlie, der die richtigen Fragen stellte (sehr ähnlich wie Randy Newmans schönes Lied über Marx), dann kommt eine ganze Gruppe, die sich den Anfang des Manifests mit verteilten Rollen nochmal vornimmt. Schock: Es ist wie grad eben, für jetzt und alle geschrieben. Muss damals science fiction gewesen sein. Die Vereinnahmung jeder Weltecke, fernster Sitten durch Tauschwert, globale Ethik für globales Gewinnstreben in private Hand, die Verelendung der ungeheuren Menge, Vertun der Reichtümer. Und die zwangsläufige Gegenkraft(shoffnung).
So neu wie nichts, findet dies kleine Häufchen.
„Wenn ich Dialektik höre, muss ich kotzen“ (H.Karasek) - grad noch ganz weit vorn, jetzt schon so weit ab und hinten.

unterwegs

Von Regensburg, „der nördlichsten Stadt Italiens“, wie sie gestern der junge Techniker ein bisschen stolz nannte, hoch durch die Oberpfalz in den Frankenwald und ins Vogtland. Die Lieblichkeit lässt nach, hinter Markredwitz ist sie verschwunden. Mir fällt ein, wie ich hier mal der Gast eines schwulen reichen Chemikers war, der knapp beim Essen bemerkte, er habe ein Gift, dass in die Speisen gemischt erst nach Monaten wirke, tödlich und unbeweisbar, ich wurde schlagartig überfreundlich und dann ruppig zu ihm, weil ich dachte, dass er meine Heuchelei sicher spürt.
In Hof (wo ich gleich umsteigen muss), hatte ich meinen ersten Festivalauftritt solo, bei Mike Thulke, 1982 als Vorprogramm für Kevin Coyne & Band. Ich begeisterte damals, glaub ich, niemand. Im Aufschwung der Rakete-Werbung hatte ich sooft Gegelegenheit, vor einem großen Publikum zu spielen mit so wenig Resonanz, dass ich mich heute wundere, wie wenig es mich entmutigt hat.
Kevin Coyne kam wie ein Sandsturm. Bis zum Rand vollgetrunken sturztrocken. Er sprang zum Getriebe der Band von der Bühne ins Publikum, zurück, an die Decke, er war ein Koma-Getöse. Minuten vorher noch wie aus einem Tiefschlaf hochgetaucht, prallte er sofort von Auftrittsbeginn aus seinen körperlichen und seelischen Grenzen. Der Ex-Psychiater, der Bahnhofsobdachlose in Nürnberg in spe. Lied für Lied, Salve für Salve, ein Ur-Gefühlsmotor mit Züngelfeuerstimme.
Nachher verschwanden sie alle in Richtung München, Kevin ‚on the back of the bus‘, während ich der Lokalreporterin ein paar Fragen beantwortete. 12 Jahre später moderierte ich eine Sendung in Köln, und Kevin sollte mein Gast sein. Mir war klar, dass er mich als einen vollkommen Fremden begrüßen würde. Er sah mich hinter den Reglern, hielt mir die Hand hin und sagte: „Good to see you. We met in Hof some years ago. Bei Mike Thulke.“
„Er hat nie eine Pause gemacht“, sagte Helmi Coyne, seine Witwe, die mir in Nürnberg vor zwei Jahren eine CD mit seinen letzten Aufnahmen gab. Die ich allen ans Herz lege, die ein klares, fast rohes Gefühl vertragen. Er war dann trocken, lebte in Franken, fern von Ruhm und Lockung des Anfangs, unentwegt als Gitarrist, Zeichner, Romancier, als Texter und Sänger tätig. Der das wie Atmen brauchte. Tatsächlich spielte er seine letzten Auftritte mit einem Atemgerät, die Lungen waren zu schwach. Verbeugung.

Samstag, 3. Mai 2008

kreuz & ...

3,10 € für einen Kaffee im Zug, an den Platz gebracht - ich sage "5" und denke im gleichen Moment: etwas großzügig, oder? Das sagt auch gleich der Freund, mit dem ich reise. Die ältere Dame uns gegenüber nimmt zum ersten Mal in diesem Abteil das Wort: "Man soll aber immer nur 10 Prozent Trinkgeld geben allerhöchstens." Ich fahre auf: "Wer will mir das denn vorschreiben?" Und muss mal wieder für eine Weile einen Standpunkt vertreten, der mir grad noch egal war.
So komme ich zu meinen Meinungen.

Ein Nachtrag zur 'Wissenschaft der Seelenkunde'.Schreibt der Tagesspiegel von heute: „Hunderte Unbeteiligte reisen dieser Tage nach Amstetten. Sie fühlen sich von dem Geschehenen einerseits abgestoßen, andererseits angezogen. ‚Faszination des Abscheulichen‘ heißt das Phänomen in der Pschologie.“

„Manchmal holen alle Musiker eines Orchesters im gleichen Moment soviel an Lautstärke aus ihren Instrumenten, wie es nur geht. ‚Das laute Orchester‘ heißt das Phänomen in der Musikwissenschaft.“

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