Mittwoch, 9. Juni 2010

Lviv von Nacht zu Nacht

Trommelfeuer im Park, ein Trupp Feuerschlucker probt und sammelt, und am Bierausschank treffen sanft Betrunkene mit akademischen Disputanten, deutschen Montageingenieuren und italienischen Ladies zusammen. Man hört mehr fremde Sprachen als im Winter, man hört überhaupt viel mehr. Gibt mehr Geschubbse, Verkehrsgerangel, und das Restaurant im Hotel wird abends nur noch fürs Internet benutzt, man will draußen sein. Der Abend hier ist eine lange Fahrt.

Man darf nichts für etwas anderes machen: nicht reisen, um Lieder zu schreiben, nicht in die Ferne schauen, um Sehnsucht zu spüren, nicht trinken, um zu vergessen.
Ich denke das ganz entschlossen, als ich wieder den Berg hochsteige. Nach dem langen ergiebigen Gespräch mit Gabriela und Uwe, die in Werchowyna waren auf Suche nach Erinnerungen an den polnischen Großvater, aufgerührt kommen sie wieder, eigentlich unfassbar, was es an Hass, Aufgestautem gegeben hat in der Besatzungszeit, einer der etlichen Besatzungszeiten hier, eigentlich unfassbar, dass es so friedlich jetzt zugeht hier, denke ich. Immer mal wieder, während wir uns zwischen den alten Mauern unterhalten, taucht ein Bekannter von Uwe auf, hochgeschätzter Übersetzer und Essayist, der grad "Hiob" von
Joseph Roth auf ukrainisch veröffentlicht und mich vor allem damit beeindruckt, dass er sich unsere Vornamen sofort gemerkt hat und bei jeder seiner Stippvisiten ab jetzt hersagt: Gabriela, Uwe, Manfred. Die Stippvisiten enden immer sofort wieder, erstmit dem Treff eines anderen Übersetzers, mit dem er sich kurz zurückzieht, dann mit dem Einzug einer Gruppe von kanadischen Architekten, denen er die Stadt erklären soll, und als die wegsind, kommt er nochmal, um zu sagen, jetzt müsse er aber dringend los, "Uwe, Manfred, Gabriela". Ich werde das nie vergessen - nur den Namen, da bin ich einfach schwach drin,
hab ich mir nicht gemerkt.
Gabriela und Uwe haben auf ihrer Fahrt mehrere getroffen, so erzählen sie, die sich hier einen Krieg her - und die Deutschen
zurückwünschen, die endlich Ordnung bringen würden, wie schon mal. Ich kann's nicht fassen. Glauben tu ich's. Vielleicht sagt mir sowas nur keiner.
Nach dem herzlichen Abschied spricht mich ein nervöser, sympatischer junger Mann in bestem Deutsch an, bietet eine Stadtführung für 7€ die Stunde an. Mein Ruhebedürfnis ist stärker. Ich bedaure es bald, immer wieder auch unflexibel.
Junge blonde Amerikanerin im Kreis von Ukrainern am Biertisch (zu ihrer Freundin): "it's gorgeous, somewhat."

Jetzt im Sommer kann auf dem Balkon gefrùhstückt werden, damit wird das morgendliche Bufett im Dnister fast makellos, denn man kann auch der Dauerberieselung mit Jammerpopmusik jetzt gut ausweichen, stattdessen draußen den Gesprächen lauschen, hinterm Ohr, am Tisch voraus, wo zwei einander zugebeugte alte Männer Ei mit Majo, zwei Würstchen, Espresso und Wodka verzehren und verschwörerisch leises Russisch reden. Während hinterm Ohr mit lautem Bariton ein Ami sich gegen "charges" wehrt, "they ain't in the contract", und "yes", er habe das Dorf gesehen, die Schule auch, wo der Brunnen gebaut werden solle, "up on the hill", er habe auch die Kinder gesehen und habe verstanden, "I can see their point, you know", aber ohne Gebühren, wenn wir ihnen schon so entgegenkommen, "no charges" - und etwas in seiner Stimme lässt mich an Dick Cheney denken, den man angeschwollen von Reichtümern, für deren Erwerb Zehntausende sterben mussten, aus dem Amt getragen hat (so pathetisch wird sein Nacheiferer Westerwelle nicht abtreten dürfen), viel mehr aber (und gleichzeitig, bei den gleichen Worten im gleichen ruhig-bestimmten Ton) an James Cagney, wenn er einen Voranbringer spielte, den risikofreudigen Kaufmann,
Bürokratieüberspringer, einen liebenswerten Chaoten, der genau das Richtige tut, indem er Menschen nur hilft, wo es auch ganz zu seinem eigenen Vorteil ist. Den Unternehmer. Der wie Wasser die kürzeste Bahn auf dem Weg voran sucht und findet.
Es ist die gute amerikanische Stimme, aus meiner Kindheit ("Time is Money", ein Satz auf einer Werbearmbanduhr der PanAm von 1962, der meine Eltern kurz antiamerikanisch werden ließ und mich hochmodern), und hier am Frühstückstisch, von hinter'm Ohr, glaub ich ihr immer noch gerne und hoffe, wer so spricht, dem geht der Schwung zum Unternehmen nie verloren (und das Geld zum Investieren trotz der Räuberbanken nie aus). Und eins wird der nie vollbringen: Grausamkeiten aus Hass.

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