Montag, 7. Juni 2010

Nach Lemberg

Leichter warmer Regen in Eichkamp, wo mich Max aus dem Auto lässt, in Spandau ist er wieder vorbei. Sommer, das Sonnenzeichen in den Wettervorhersagen hier und dort, wo ich hinfliege. Dazwischen die Bilder von Fluten, die sich durch Ortschaften wälzen und alles mitreißen, was sich nicht halten kann. Dazwischen, da unten, drüber weg.

Der Zug nach Dortmund ist unverschämt voll, selbst in der 1. Klasse hab ich Mühe, einen Platz zu finden. "Montag früh, logisch", sagt die Schaffnerin. Ich verschlinge ein Rührei, es quasi auf den Knien balancierend, während die Mitreisende neben mir telefonisch die wöchentliche Büroorgamisation einer Krankenhaus - oder Krankenkassenabteilung anweist, manchmal streng, dann wieder fröhlich glucksend.
Schon in Wolfsburg leert sich der Zug. Ist VW der Arbeitgeber vieler Berliner Mittelständler, die 1. Klasse fahren? Jetzt kann ich mich ausstrecken. Mich ganz der seltsamen Bewegung hingeben, dass ich nach Westen fahre, weil ich nach Osten will. Muss mir nur manchmal sagen, dass ich nichts vergessen habe, dann kann es losgehn. Noch fahre ich so wie zum nächsten Auftritt.
In Hamm ist es kalt und wolkig. Ein Bahnhofsvorplatz mit bunten trabenden Elefanten, dahinter ein türkisches Eiscafé, wo Vater und Sohn sich an lässiger Eleganz beim Bedienen überbieten und ich ihnen mit zugeknöpfter Reisejacke, Koffer und Umhängetasche nacheifere. Kurz eh ich weiter muss, kommt tatsächlich die Sonne.
Ich meide den Bahnhof Dortmund, nehme von Hamm den Bummelzug nach Holzwickede, von wo ein Shuttle für 1,50 zum Flughafen und zurück fährt, "solang geflogen wird", erklärt der Fahrer, "zur Not auch nach Mitternacht."

Was ich nicht wusste: Dortmunds Billiggesellschaften-Flughafen liegt auf einer Hochfläche, man kann auf die Terrasse im zweiten Stock treten und hat einen Blick auf die Zechenlandschaft des Ruhrpotts bis Essen in der Ferne.
Es stürmt. Alle 10 Minuten fährt eine kleine Maschine zur Startbahn vor, blinkt lustig mit den Lichtern, nimmt ordentlich Tempo auf und klettert hoch in die Wolken. Air Berlin, Easy Jet, wizzair, solche Sorten.
Ich hätte nichts dagegen, wenn es in Finowfurt so einen Kleinflughafen gäbe statt der Riesenzentrale in Schönefeld. Ich hatte auch nichts gegen Tempelhof. Ich weiß, dass es Luxus ist, so abgelegen und still zum Fliegen pfänden zu werden. Luxus der Billigflieger, verkehrte Welt.
Ein Elternpaar, dessen 13jährige Tochter zum ersten Mal allein fliegt, steht am Zaun, und ein Großelternpaar mit den kleinen Enkeln, die nicht traurig sein wollen, dass Mama und Papa jetzt fort sind - dafür ist gerade zu viel los -, aber auch über den Abstoß der Maschine in die Luft nicht so staunen, wie die Erwachsenen sich das vorgestellt haben - dazu ist Fliegen hier vielleicht zu leise, wenn man beschirmt auf einer Terrasse steht.

Es geht auch in mir jetzt ruhig zu. Ich hab soviel Zeit. Leider kostet WLAN hier was, das hat dann St.Petersburg diesem Flughügel voraus, aber vielleicht wollen sie hier gar nicht weltläufig sein, nur praktisch und billig. Solange es nicht verboten wird.
Draußen stürmt es. Ich warte. Ich lerne das zu genießen. Einen Moment glaube ich, es so genießen zu können, dass ich den Flug verpassen werde. Dann schau ich mich nach dem Ober zum Zahlen um.
Später beginnt das Spiel in der Schlange. Ich stehe zufällig ganz nah beim Schalter etwa eine Stunde vor Öffnung, und weil sich gleich noch eine deutsche und eine ukrainische Großfamilie dazugesellen, bilden wir den Anfang der Schalterschlange. Ab jetzt geh ich da nicht mehr weg - den guten Platz aufgeben? Wellen der Heiterkeit und der Panik fahren durch und Wartende: Müssen nicht Passagiere, die nach dem 15.April gebucht haben, weniger Gepäckgewicht anbringen, ohne zuzuzahlen? Und zahlt man am Schalter nicht 60 € pro Kilo? Nützt es, jetzt im Reisebüro von wizzair auf Gutglück einen Gewichtszusatz zu buchen für 15 €? Einige rennen dorthin, andere wiegen ihr Gepäck verstohlen am Nachbarschalter, sie alle geben die guten Plätze auf.
Ich bleibe standhaft. Aber so stehe ich eben auch ein Stündchen. Um dann zu erfahren, dass im Flugzeug freie Platzwahl ist. Die Ersten werden die Letzten sein. Ich sage mir das, bevor ich im Wartesaal einschlafe, hochschrecke, als das Aufbruchssignal endlich kommt, resigniert den Pulk an mir vorbeiziehen lasse, der sich inzwischen gebildet hat, weit hinten aufs Rollfeld gehe, es ist warm geworden, leichtwolkig, mir sage: Liest du eben, statt rauszuschaun, plötzlich sehe, wie vier kecke Burschen einfach zur Hintertreppe des Flugzeugs laufen, mich ihnen anschließe, wir werden nicht weggeschickt - und hier bin ich, am Fenster in einem fast ausgebuchten Flieger!

Es geht über Nürnberg nach Tschechien, wir fliegen bei Spaethes übers Dach, ich glaub, ich seh den Burgturm von Königstein. Später, im Kopfhörer läuft grad 'Things have changed', ein Haufen dunkler Wolken, Riesenknäuel, das fast an uns ranreicht, das muss das Überschwemmungsland sein, Regengusswochen von oben, sie scheinen da festzustehen. "Lot of Water under the bridge, lot of other stuff, too".

Der Hochsommer, der sich ab der ukrainischen Grenze in klarer Sicht nach unten angedeutet hat, ist noch abends 30 Grad warm. Eh man in ihn raus darf, muss man winzige Einreisezettelchen ausfüllen, sich fragen, ob Surname jetzt Vor - oder Nachname heißt, und warten. Als ich dann am Schalter stehe, muss der Grenzer über mein 'Hier' so lachen, dass er seinen Kollegen damit ansteckt, sie wiederholen es dauernd und kichern, eine junge Ukrainerin am Nachbarschalter lacht auch, alle drei schauen mich einladend an, bis ich mitlache - keine Ahnung, was ich da grad gesagt hab...
Jacke aus, zum O-Bus Richtung Uni, ich kenn mich aus, mir macht keiner was vor, durch den jetzt von Musik durchfluteten, von Pärchen bewohnten Park, den ich noch vereist in Erinnerung habe, hoch zum Hotel, der gleiche wunderbare Blick, von den grünen Kronen einiger Laubbäume jetzt aufs Nähere gelenkt, ein Anruf zuhaus, kurzes Geplänkel mit einer Geschäftsfrau, die einen Tisch weiter telefoniert und klingt, als müsse sie eigentlich die Büroorganisation einer Krankenkassenabteilung meistern (ich frage sie danach, sie versteht mich nicht, und mir fällt ein, dass es in der Ukraine eine Pflicht zur Krankenversicherung ja nicht mehr gibt, Traum mancher regierender Raubritter bei uns), aber dann raus in die Wärme.
Wie am Mittelmeer ist es. Und langsam, ganz langsam find ich mich wieder drein, unterwegs zu sein. Diese schöne Stadt jemand zeigen, Raoulina, das wär's heut.

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