Mittwoch, 23. Juni 2010

Fahrt von Suceava mit Rückblick

Ruhig, leicht schwankend schiebt sich der Bus auf einer Hochfläche vorwärts, leiser und bequemer als das Gefährt aus der Republik Moldau vor drei Tagen, mit aufdringlicher Morgensendung aus Deckenboxen, wie Radio 1. Zwei Männer interviewen irgendwelche Anrufer, machen sie anscheinend unglaublich witzig runter und lachen demonstrativ. Wie schön wäre jetzt eine melodiöse Musik und Schweigen. Diese Schwätzer wären am Ende dankbar, wenn man sie von ihrem Leiden erlöste.

In den Regen schiebt sich der Bus, der gestern Nacht anfing mit einem mächtigen Gewitter, dem dritten, das die Schwüle jetzt wohl vertrieben hat. Die Pferdefuhrwerke fahren schneller in der kühlen Luft, die kleinen Holzhäuser, mit ihren verzierten Veranden sehr ähnlich denen hinter der ukrainischen Grenze, auf denen Schnee lag, als ich im März an ihnen vorbei fuhr, lassen die Schornsteine rauchen, als ginge es schon wieder dem Winter entgegen hier in der Bukowina.

Bahnhof Neamt, der Hotelportier gestern meinte, hier müsste ich auch noch hin, wenn mich die alten Klöster interessieren, hier vom Bus aus wirkt die Stadt nicht verlockend. Aber anfangs finde ich ja fast jede Stadt hässlich.

Später Bergdörfer, tiefer Nadelwald, eine hinkende Schönheit steigt aus. Die Mitfahrenden bekreuzigen sich nicht. Hat ihnen die Kollaboration der orthodoxen Kirche mit Ceaucescu den Glauben verdorben?
Reißende Wildbäche, lehmfarbenes Wasser, vereint und verbreitert sich. Hunderte Plastikflaschen, die hier überall, wo Wasser ist, achtlos weggeworfen werden, taumeln herum.
Nebelwolken in den Hängen, Unwetternachwehen. Jetzt ist der Wildbach ein See geworden, im See eine bizarre Insel, die ich versuche zu fotografieren. Habe Routine mit meinen drei kleinen Geräten bekommen.
Der Busfahrer telefoniert die ganze Zeit. Vielleicht bringt ihm das die Ruhe, mit der er fährt.
Ein alter Dörfler steigt auf freier Strecke aus, rennt dann verzweifelt dem Bus hinterher: Er hat sein Handy vergessen. Glück im Gesicht, als der Fahrer es ihm rausreicht.
In einem kleinen Dorf wird es plötzlich voll, der Bus übernimmt die Rolle des lokalen Zubringers, es wird über Preise verhandelt. Koffer werden eingeladen, Aber leise, leise das alles.
Telefonierender Polizist reicht dem Fahrer sein Gerät, irgendwas ist im Busch. Sieht im Moment nicht so aus, als würd es noch aufklaren.
Zigeunerfamilie im kleinen Leiterwagen, ein Maultier zieht, der Familienälteste marschiert nebenher, bergauf.
Enge Passstraße, fast am Nebel. Finstere Gesellen an einer Weggabelung.
Ich döse weg. Erinnerung fährt rückwärts.

Gestern früh hat es kein Wasser im Hotel gegeben, der Portier sagte "Vielleicht erst abends", ich bin spät dran und rase rüber ins Restaurant, am Bufett steht eine Schlange Wartender, einer Frau fällt ein Brot aus der Hand, sie schnappt nach Luft auf eine Art und mit einem Geräusch, dass mich ohne nachzudenken fragen lässt: "War das mit dem Wasser auch schon heute früh so?" Sie sagt: "Keine Ahnung", dann schaut sie mich an: "Woher wissen Sie eigentlich, dass ich deutsch spreche?" Ich: "Keine Ahnung. Intuition."
Wir frühstücken zusammen. Cornelia ist Fotojournalistin und hier auf Suche nach Spuren ihrer Großeltern. In einem nahgelegenen Dorf wird sie mit Bewohnern des Hauses reden, das damals von ihren Vorfahren bewohnt wurde. Dolmetscherin wird Aurora, die Leiterin des örtlichen Kunstmuseums, sein, denn Cornelias Großvater war Maler, ein paar Bilder von ihm hängen hier. Ich darf mitfahren. Wegen Aurora wird die Konversationssprache französisch sein, nicht wenig anstrengend für mich. Aurora erzählt im Auto von ihrem Mann, der auch Maler ist und Ende der Neunziger eine Folge von Bildern schuf, die den Missbrauch orthodoxer Priester an jungen Frauen angriff; die Ausstellung diskreditierte und brachte ihn an den Rand des Nervenzusammenbruchs; nur ein Minister hielt zu ihm.
Eine halb neugierige, halb abwehrende Großfamilie sitzt dann um uns rum, Verwandtschaftsverhältnisse werden rekonstruiert, es schwingt immer die Angst mit, die fremde Deutsche könne vielleicht Besitzansprüche stellen, deshalb wechseln sich Hôflichkeit und
Vorsicht ab, das Gespräch wird nie herzlich. Seltsam (und bezeichnend): Uns wird nichts angeboten, nicht mal Wasser. Aber der neunzigjährige, wie ein Greisenkind eingewachsene Urgroßvater der Familie will uns den Garten zeigen. Erzählt, wie er fast wahnsinnig wurde, als die Ceauscescu-Administration die Abholzung der vielen Nussbäume auf dem Gelände befahl, weil Bauholz gebraucht wurde.
Hier findet keiner für Ceauscescu ein gutes Wort. Cornelia gewinnt Sympatien, als sie vom Besuch in den 80ern bei einer bekannten vom Regime verfolgten Schriftstellerin erzählt, nach dem sie und ihre Kollegin von der Securitate sofort abgefangen und zur ungarischen Grenze verfrachtet wurden.
Zu dritt anschließend zum Kloster Dragomirna, herrlich abgelegen an einem See, von Nonnen geführt, die sich über Mangel an Nachschub in diesen unsicheren Zeiten nicht beklagen müssen. Wir kraxeln, autorisiert von der Museumsleiterin, die auch hier im historisch-artifiziellen Klosterbereich Weisungsrecht hat, über die Zinnen, genießen den Garten, kühlen Stein, Ausblicke und die Stille.
Die dann weniger auf weiter folgender Fahrt zu einem anderen viel bekannteren Kloster (Name vergessen), auf dessen Außenmauern mit seltner blauer Farbe biblische Geschichten gemalt sind. In der Stunde unterwegs spricht Aurora immerzu - übersetzen und gleich antworten auf französisch fällt, auch weil es immer schwüler wird, immer schwerer.
Geschäftsrummel am blauen Kloster, nicht die Einkehr, die wir gerade erlebt haben, auch das Blau so seltsam nicht wie erwartet, also schnell zurück. Über Suceava schwarzer Himmel, Sturm. Erst später, beim Essen zu zweit bei einem Italiener, bricht der Sturzbach runter, so heftig, dass Wasser durch die Klimaanlage tropft. Die Kellner ziehen Regencapes über und wischen, während Cornelia und ich uns aus unseren Berufen und Familien erzählen, Meinungen austauschen und uns am Ende für den schönen Abend bedanken.

Aufgewacht, draußen Sonne, die Klimaanlage im Bus hochgedreht auf 15 Grad (was bedeutet, es ist heiß und der Fahrer ist müde), gerade eine Ortschaft namens 'Säcksisch Regen'. Vôllig andere Bauart hier. Nach Targu Mures noch 33 km. Bunter hier, Weingegend. Im Radio Oldies, 'Blue Hotel' und ' It's Now or Never' Und Michael Jackson natürlich, sein Todestag heute.
Es geht alles gut, der Fahrer reicht mir den Rollkoffer, kurzes Umschauen auf dem Autogar Targo Mures. Da hinten im weißen Hemd, mit Kinnbart und fast noch so schlank wie vor sieben Jahren, steht Jonas. Jetzt sieht er mich auch.

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