Montag, 21. Juni 2010

Suceava

Frühstück im rosenbestandenen Hotelgarten. Hier wuchert alles rein, mein Zimmer im ersten Stock geht auf den Garten eines Nachbarhauses raus, junge Katzen krallen sich am Wellblech hoch, trauen sich dann aber nicht über die Schwelle.

Alles wuchert, auch der Endlosschleifengesang von zwei Popen in der Kirche gegenüber, die Gläubigen kommen und gehen, es ist wie ein Dauerangebot, ziemliche Leistung, von 7 Uhr morgens bis 11 ununterbrochen zu singen.
Als Protestant würde ich eine Predigt erwarten, Hinführung, Auseinandersetzung, ein Ich-Du - Verhältnis, wenn schon nicht zwischen Gott und mir, dann wenigstens zu seinem Vermittler. Obwohl: Wenn man eh schon alles weiß (oder es gar nichts zu wissen gibt), dann kräftigt einen das Ritual allein wahrscheinlich mehr. Wie den alten marxistischen Kämpfer das Absingen der Hymnen kräftigt und die Diskussionen nur verunsichern ('Verloren haben wir doch sowieso', sagt Degenhardt. 'Sünder sind wir allzumal').
Mich kräftigt die milde Luft, dazu ein gutes Omelett. Markt- und Busbahnhofspaziergang, dann einen Hügel hoch zur Biserica Sf. Gheorghe, einer Kapelle aus dem 14. Jahrhundert, wird gerade restauriert, drinnen tief gedunkelte Wandgemälde, darunter eine Szenenfolge 'Vertreibung aus dem Paradies', auf der A&E erstaunlich jung und nackt dargestellt sind, fast renaissanceartig, unartig also, mit der Strenge der Orthodoxie bringe ich es nicht zusammen, aber vielleicht handelt es sich ja um eine griechisch-katholische Kirche, die der römischen ( und damit den Renaissanceeinflüssen) nähersteht und übrigens in den Jahren des Ceauscescu-Regimes am ehesten Widerstand geleistet haben soll (was die Protestanten machten, weiss ich nicht, die Orthodoxen waren von der Securitate durchsetzt). Ich traue mich nicht zu fragen, setze voraus, dass hier jeder erwartet, dass man sowas weiß, eh man reingeht.
Im Gotteshaus nimmt ein etwas hochnäsig wirkender Priester von mehreren Paaren Bestellungen auf, schreibt Kolonnen in ein Heft, vielleicht die Ausgestaltung von Aufgeboten, draußen redet ein anderer Pope samt Partnerin angeregt mit einem jungen Paar. Kann es sich, wenn das wirklich seine Partnerin ist, denn um die katholisch orientierte Kirche handeln? Ich bleibe in der Nähe stehen, um jetzt vielleicht doch noch zu fragen. Werde dann ungeduldig und gehe weiter. So sehr interessiert es mich auch wieder nicht.
Im Garten spielen Kinder, auch eine Zigeunerfamilie ist da, die mich so aufdringlich anbettelt, dass ich abhaue.

Danach Spaziergang den Hügel bergab, und hinter wohlgetünchten kleinen Häuschen mit leuchtend gepflegten Gärten um eine Ecke ein Hüttenlager, Dreckhaufen an einem Abhang, Kindergewusel, Pferde, Hunde, ich traue mich schon von selbst nicht näher ran, bestärkend umkreist mich plötzlich ein Halbwüchsiger mit Rennrad so aufdringlich, dass ich die Hand aus der Westentasche mit dem Handy drin nicht mehr rauslasse, die Umhängetasche fester ziehe und umdrehe. Von weiter weg wage ich dann ein Foto.
Später, ich achte jetzt mehr drauf, sitzt eine Gruppe Zigeuner am Rand eines Parks, hockend essen sie, die Rumänen machen einen Bogen, auch bei Mc Donalds sind welche und auf dem Friedhof (wenn ich jetzt nicht schon jeden Menschen, der dunkelbraun gebrannt ist, dafür halte), immer unter sich, abgewandt.

Ich erinnere mich an das erregte Gesprach in Prag vor zwei Jahren, als wir nebenbei erfuhren, dass etwa 20% der tschechischen Bevölkerung Roma sein sollen. Der österreichische Kulturattachée, wenig konziliant oder für seinen Standpunkt werbend, bestand darauf, diese große Minderheit könne und wolle sich nicht zivilisatorisch einpassen, zerstöre alle dementsprechenden Angebote, und er fände es ein Riesenproblem, das mit Aufklärung, Erziehung usw. nicht lösbar sei. Vielleicht nur mit Lagern oder Ausweisung, aber wohin dann? Autor Michael Köhlmeyer wollte dem nöligen Wiener natürlich gern 'weißen Hochmut', Herrenmenschendenken, also Faschismus nachweisen und stellte das Abenteuerliche, ganz Andere, das Große Nein des Roma-Lebensentwurfs dagegen. "Sie müssen da nicht leben, wo die sind", sagte der Attachée.

In den kleinen Häuschen neben dem Lager hier jedenfalls haben jede Menge Hunde gebellt. Die hier sonst eher friedlich umherlaufen. Und die man, wenn sie scharf sind, immer noch vergiften kann. Und Vermutungen anstellen, welche von den Lagerkindern, die hier immer vorbeikommen, das denn jetzt wohl waren. Und schon ist man in der Hass-Schraube drin. Auch Herr Köhlmeyer, jeder aus der Nachbarschaft.
Es sind aber eben auch nicht die Begüterten und die 'Intelligenz ', denen die Nachbarschaft und damit die Kraft zur Toleranz zugemutet werden.
Ob das Wahlergebnis in Ungarn auch damit zu tun hat? Ob es Nachahmung findet?

Auf dem Friedhof wieder Gesang, ein wichtiger Leichnam, dessen Zug mir später auf der Straße hoch begegnet, wird erwartet. Frommer Sonntag. Ich finde zwei deutsche Gräber:
Ingenieur Albert Fuchs von Brauntal, 1846-1909
Familie Binder/Moldovaida: "Ruhet sanft".
Dann geh ich warme Bretzeln kaufen, Kaffee trinken, während ein Gewitter prasselt und blitzt. Stiller Sonntag.

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