Dienstag, 15. Juni 2010

Chisinau 1

Es gibt so vieles aus Odessa nachzutragen, aber Chisinau, wo ich heute hingekommen bin, ist wieder ganz was anderes.
Hauptstadt Moldaviens, Republik Moldau, Moldova oder, wie ich heute auf einem mehrsprachigen Schild las, auch Moldachei genannt. Eigentlich nur knapp 150 km von Odessa weg, aber man muss einen doppelt so langen Umweg fahren, weil zwischen beiden Städten das sich unabhängig verhaltende von zwei Familien regierte autonome Gebiet Transnistrien sich einschiebt, aus irgendwelchen Gründen von Russland gestützt (so wie der Kosovo von den EU-Menschenrechtlern, ein Wunder eigentlich, dass sich bei den deutschen Grünen keine Untergruppe 'Freiheit für Transnistrien' findet, Waffenhandel und mafiöse Volksbehandlung sollten doch für das simpel gestrickte Mitglied leichter verkraftbar sein als Organhandel mit den ausgeschlachteten Feinden).
Also auch Russland hat seine humanitäre Schnurre, im Fall Transnistrien wirkt das so, dass das Mafiastäätchen gern einmal Ausländer kapert, ihnen alle möglichen Durchreisepapiere verkauft und sie dann im Schatten der russischen Schutzsoldaten aufs Gebiet der Republik Moldau entlässt. Wo sie sich ab da unangemeldet und also strafbar aufhalten (was natürlich nichts weiter als die aggressive Lesart der serbischen Aggressoren ist - um die Parallele noch einmal zu strapazieren).
Noch konkreter: Nachdem ich längst mein Ticket für den 6-Stunden-Bus Odessa-Chisinau hatte, pulverte heut früh am Busbahnhof ein lauter, witziger, mir sehr unangenehmer Taxifahrer auf mich ein, ich wolle doch wohl nach Moldavien, dahin fahre er auch, aber zwei Stunden nach Chisinau, keine sechs wie der blöde Bus, und fürs gleiche Geld, da wäre man doch bescheuert, wenn man nicht einschlägt, nicht mit ihm mitfährt. Also dafür sorgen, dass ich mein Ticket zurückkrieg, das würde er auch, ich solle es ihm doch überhaupt erstmal zeigen, das würd ich mich ja wohl wenigstens trauen....
Ich schüttelte immer nur den Kopf und ging irgendwann. Später hörte ich ihn Tiraspol ausrufen, also die Hauptstadt von Transnistrien, und eine nordeuropäisch aussehende Reisende befand sich in seinem Schlepptau. Sie tat mir leid, aber ich saß schon in meinem Bus.
Ich gebe zu, ich hatte Angst genug vor mehreren Kontrollpunkten, an denen von allen Mitreisenden ernst geschwiegen wurde, vom Fahrer vorneweg, der mir auch schon genau so ernst schweigend 15 Hryvnien für mein Gepäck abverlangt hatte, keiner muckst sich, wenn die Zöllner zusteigen, aber allen anderen hätte gleich es sein können, was mich eine halbe Stunde lang panisch machte: Sie würden doch vielleicht den kürzeren Weg wählen, der eine Fremde hätte dann eben Pech gehabt, EU-Bürger, der sowieso genug Vorteile einheimst - was war ich froh, als dann in Stein gehauen am Dach des Grenzübergangs stand: Moldova.

Ärmstes Land im EU-Umfeld. Riesige Kuhherden weiden bzw. lagern sich schlapp ab in der Hitze der Flussauen. Weinabau, Pferdekarren, freilaufende Hunde. Straßen so schlecht wie in der Westukraine - während man um Odessa herum richtig flitzen kann (mehr kenn ich ja nicht).
Die Großstadt kündigt sich lange vorher durch ein monströses Rohrsystem an, ähnlich wie in den Ostberliner Plattensiedlungen, aber viel breitere Rohre und alle zerbröselt. Und manchmal gar keine zugehörigen Wohnblocks, nur Rohr und Straße und vielleicht noch ein Abflussgraben. Dann ein See, in dem sogar Leute baden (es ist so heiß, da badet man überall). Neue Siedlungen, prekäre Bausubstanz bis hoch in den 18. Stock, wo noch Wäsche hängt, das hätte man bei uns nicht geduldet. Mitfahrende raffen ihr Zeugs zusammen, eine krakeelt so lange, bis sie rausgelassen wird. Ich bete dann immer: fahr weiter, fahr doch bis in die Mitte von dieser hässlichen Stadt, ich will mich hier draußen nicht durchboxen müssen. In solchen Monenten ist mir noch jede Stadt hässlich vorgekommen.

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