Sonntag, 21. März 2010

Splitter Kolumya

Als ich in Kolumya, das die Busfahrer Kolomäh aussprechen, ankomme, baut sich der Chauffeur vor mir auf. "Pan", sagt er, ich find es immer noch merkwürdig, so genannt zu werden, "Ghotel". Er zeigt auf ein unverputztes Betonhochhaus direkt am Straßenrand, Stefan Pankiv hatte ihn wohl gebeten, mich darauf hinzuweisen. Ich gehe rein, eine leere Halle, die Rezeption abgeräumt, dahinter ein Saal voll hochgestellter Stühle. Irgendwelche Schilder, die ich nicht lesen kann. Ich gehe raus, links angrenzend eine Bar, wo ich frage: "Ja, Hotel", nicken zwei junge Frauen und zeigen, woher ich komme, ich geh wieder zurück. Rufe, probiere den Fahrstuhl, manchmal sind die Rezeptionen ja im 1. Stock. Dieses Hotel steht aber ganz offensichtlich leer. Aufgegeben.
Ich gehe in die Bar zurück , bestelle Kaffee. Ein Mann im schwarzen Anzug steht jetzt auch dabei, er und die jungen Frauen sagen fassungslos (sinngemäß): Ja, das Hotel, gestern war's doch noch da - da hat bisher wohl keiner was gemerkt. Aber getaugt hätte es eh nichts, sagt die eine Frau, die gut deutsch spricht, und ob ich nicht was essen will. Ob ich Wladimir Klitschko kenne, sie zeigt mir Bilder von ihm an der Wand. Ist der von hier, frage ich, das nicht, sagt sie. Ihr Mann habe auch mal geboxt. Das beste Hotel am Ort sei das Wyschnody, ob sie mir ein Taxi rufen solle. Was weniger weit ist als 2 km, laufe ich, sage ich, und sie wünscht mir einen guten Weg.
Draußen ist der Frühling ausgebrochen. Als ich vom Klo komme, ist die Deutschsprechende weg, und eine neue Frau kichert mit der anderen: Wladimir Klitschko, ha ha ha...

Kolumya oder Kolimea oder Kolomäh - ukrainisch, russisch, polnisch, eine Bauernstadt mit zwei guten Museen, ein paar Behörden, großem Markt. Aus Ruhebedürfnis miete ich das Zimmer für zwei Tage. Hier ist Armut, zum ersten Mal auffällig Bettler, jammernde Frauen, eine zeigt ihr aufgeschwollenes Bein, Zigeuner, blinde Losverkäufer. Besoffene schon am frühen Abend, diesem Klischee eines ehemaligen Ostblocklands bin ich so lange nicht begegnet. Abends weg von der Flaniermeile gibt es kaum Strassenbeleuchtung, Kirchgänger kommen mit Taschenlampen, man springt über Steine und Dreck.
Auch auf dem täglichen Markt Fäulnis (um mal zu predigen), manches sieht lässiger aus als es ist, meinem 'guten' Hotel angeschlossen eine Gaststube, wo ich am zweiten Abend schlecht esse unter lautem Technogedröhn, da ist das Gefühl des Aufgegebenen greifbar, irgendwann schlägt das zurück, denke ich. Mache mir beim Warten Notizen. Aber es wurde dann trotzdem (oder gerade deswegen) noch ziemlich lustig: Unabsichtlich schloss ich nämlich nach dem Essen zwei ältere Herren im Flur ein, der eine war richtig böse auf mich, während eine andere Gesellschaft jüngerer Leute das sehr komisch fand und mich wie einen Helden behandelte. Die Kellnerin, eine schmale Riesin in Socken, brachte mir Wodka, den wir dann zusammen tranken.
Aus den Notizen beim Warten im Bumms-Lokal:
"Das Schlimmste ist, nicht mehr rauszukommen aus den Missverständnissen. Die eigentlich gar keine sind: Ich werde hier akzeptiert, weil ich Geld ausgebe. Idealismus, Romantik, von etwas anderem auszugehen.
Aber die Romantik ist ja trotzdem da. Weil wir uns nicht übers Einnehmen & Ausgeben definieren möchten, alle nicht. Wir stehen Schlange nach anderem Sinn. Nur wenn du nichts mehr zu bieten hast außer deiner Sinnsuche, steckst du fest. Sie fordern Lösegeld,wenn das nicht mehr kommt, bist du drin. Wie man hopps geht, ohne dass irgendwer nach irgendwelchen Verdiensten gefragt hätte, das haben wirklich bedeutende Reisende erlebt und erleben es gerade. Da zählst du gar nichts."

Dann wieder der ununterbrochene Strom von Mädchen auf der Hauptstraße, auf die ich schaue, oder im Internetcafé, das hier übrigens mit schülerfreundlichen Preisen wie eine Bäckerei tolerant geführt wird - die Mädchen in der Gegend sind fast alle strahlend, lieblich, langbeinig, bunt gekleidet mit viel Aufgesticktem, Selbstgenähtem, oft glitzernden Kappen, halb noch Tracht, halb selbstgemachte Mode und fast alle hochhackig, das scheint die Norm zu sein. Tragen meist schwarze, mit Mustern bestickte Netzstrümpfe und drüber gewaltige Stiefel mit schmalen sehr hohen Absätzen. Schon mal Sport, in dem unebenen Dreck damit voranzukommen. Ehe sie ein Lokal betreten oder auch nur die Hauptstraße, habe ich beobachtet, machen einige sich am Brunnen oder mit Feuchttüchern die Schuhe schnell sauber. Sie sind laut, selbstbewusst, schauen gern jemand in die Augen, es ist keine Coolness, sondern Lebenslust, was sie ausstrahlen.
Ich muss es leider schreiben, die Jungs fallen weit dahinter zurück, wirken kindisch, noch lauter, aber krampfig, als wenn man sie drangsaliert hätte und sie bestehen jetzt darauf, auch ein verdammtes Recht zu haben.
Es muss sich irgendwann ändern, schon die Männer ab Anfang Zwanzig wirken solide, zuvorkommend, manche humorvoll. Und sicher sind es Zufallsbeobachtungen voller Klischees.
Deshalb hier zum Schluss zwei Beobachtungen vom ersten Abend auf dem Balkon meines Zimmers, direkt überm Platz, wo sich bis Mitternacht alles trifft:
Irgendwas ist im Gang, junge Typen, es sieht aus wie Rangeln, schubbsen sich über den Platz, der Pathetische wird zurückgedrängt, kommt wieder vor, plötzlich ein anderer aus anderer Richtung, sehr entschlossen, schiebt sich durch zu dem Pathetischen, packt ihn, schleudert ihn, der rennt auf einmal los, viele hinterher, sogar ein Polizistenpärchen. Aufgeregtes Geschrei dann von weiter weg.
Zwei Mädchen: Wie sie losgehen, eingehakt stehenbleiben, weil sie sich das unbedingt noch erzählen wollen, dann in doppeltem Tempo wieder los, pretty flamingos...

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