Freitag, 19. März 2010

Ivano Frankivs'k - Splitter

Ein Teller im Heimatmuseum, das im Rathaus von IF untergebracht ist, zeigt eine Schar von folkloristisch gekleideten Männern, vom Tirolerbub über den Ungarn mit Schlappschuhen, den slawischen Waidmann bis zum Muselmann, im Halbkreis aufgestellt um das Antlitz des Kaisers, Gott erhalte Franz, das über ihnen schwebt, drunter das Motto: viribus unitis. Kurz vor dem 1. Weltkrieg verfertigt. Ich weiß, glaub ich, was es bedeutet, aber was heißt es genau?

Die Habsburger Zeit, Spuren finden sich überall, sine ira et studio steht z.B. am Gericht, hat dafür gesorgt, dass hier verschiedenste Völkervertreter zusammenlebten, Armenier z.B., Pfälzer Auswanderer wie die mütterlichen Vorfahren von Kristjane, Juden, die hier rechtlich unter den Deutschen standen, während sie weiter östlich in Tschernowitz gleichgestellt waren. Hass und Vorrangkämpfe untereinander haben die Habsburger Beamten und Militärs wohl nicht zu schlichten vermocht, jedenfalls liest sich die Ortsgeschichte wie ein ständiges Brodeln und Explodieren. Das mündete in den Massakern, die Deutsche (SS und Militär) zusammen mit Polen und Ukrainern Ende des 2.Weltkriegs an den Juden begingen, dann Deutsche und Ukrainer an Polen, dann Deutsche an Ukrainern, wobei ihnen erst Sowjetsoldaten dabei halfen, die dann mit den Ukrainern die Deutschen vertrieben und später zum Industrieaufbau Mitglieder asiatischer Sowietrepubliken nachholten. Was die Kriegsmassaker betrifft, sind sie penibel in dem Buch 'Die Schlacht um Stanislau' festgehalten.

IF hieß seit 400 Jahren Stanislav nach dem Sohn eines polnischen Fürsten, der (Sohn) vor Wien beim Sieg über die Türken 'fiel', die Habsburger in ihrer scheintoleranten Art übernahmen den Namen einfach, statt die Stadt jetzt Ferdinand zu nennen. Das taten nach 45 die Ukrainer (mit Zustimmung der Sowjetrussen), indem sie den Dichter Ivan Franko zum Patron machten, einen ukrainischen Bauernjungen und Sozialisten, der zum Nationaldichter wurde und von dem ich im galizischen Sammelband gerade eine sehr sympatische Erinnerung an seine jüdischen Mitschüler gelesen habe.

IF wirkt klein und provinziell. Später bei den Huzulen höre ich von Anna Pankiv, deren Kinder dort arbeiten, IF sei eine richtig große, auch industrielle Stadt. Davon hab ich nichts mitgekriegt, außer dass im ausgedehnten Heimatmuseum auch ein Zimmer der Ölförderung gewidmet ist, aber alles in kyrillisch, also für mich um so unverständlicher, als es sich bei dem Nichtgeschriebenen um technische Zeichnungen gehandelt hat, die ich noch weniger entziffern konnte - außerdem ist dieser Ölabbau Jahrzehnte her.

Es stimmt, ich meide die Vororte, verlasse mich ein bisschen viel auf Tipps von Reiseführern und Bekannten, und da sagt keiner: Schau dir aber unbedingt die Hochhaussiedlung xy an, so roh und wild lebt sich's östlich von Lemberg kaum noch. Das müsste ich schon selber tun. Ich rede mir ein, nur der miserable Nahverkehr hielte mich von solchen Exkursionen ab.

Mein Zimmer im Hotel Auscoprut, einer blau getünchten Jugendstilvilla von 1912, geht mit Balkon zur Straße im ersten Stock, hat einen großen Schreibtisch, ein rundes Teetischchen mit zwei Lehnsesseln und zwei schmalen Betten mit dunkelbeigen Samtüberwürfen, dazwischen eine Kommode. Auch die geschwungenen Vorhänge sind aus Samt, gleiche Farbe, dahinter schließen noch Gardinen den Blick zur Straße ab. Alles vorbereitet für kontemplative Stunden. Ich kann mich in den Gelehrten, Lehrer oder Geschäftsmann von damals gut versetzen, der aus beruflichen Gründen hergekommen ist und jetzt dort täglich raus muss, in Matsch und Dreck und Ungehobeltes weit im Osten, aber jede Stunde genießt, die er abhalten darf in diesem Zimmer, mit der Hoffnung auf jemand, der es irgendwann einmal zu klein sein lassen wird, oder auch ganz in sich gespannt, jedenfalls bei einem Kännchen Tee, das mir die englisch sprechende Dame an der Rezeption vielleicht auch machen würde.

Der Rathausplatz von IF wird beschallt, Werbung und Musik, ob auch politische Parolen und Lebensweisheiten dabei sind? An einer Seite des Platzes parken drei Stretchlimousinen. Als ich ankomme, sind sie ganz verschneit. Wer fährt sie und vor allem wie durch all die Schlaglöcher?

Auf der Suche nach w-lan am ersten Abend lotste mich ein starkes Netz namens Frank, das mein Handy anzeigte, auf die Straßenseite hinter den Mafiaautos, ich entzifferte den Namen des Lokals, Frank, erschrak vor der berlinisch teuren Speisekarte, sah ein Schildchen free hot spot und ging rein. Eine Empfangsdame, rausschmeisserartiger Kartenbringer und ein naseweises Bürschchen, das dann die Bestellung aufnahm. Im Nebenraum eine fröhliche Gesellschaft. Ich bestellte etwas mittleres im Preis und fragte nach Internet. Der Naseweise murmelte was von 'carta', die man dazu brauche, der Rausschmeisser tat, als wüsste er gar nichts. Die Empfangsdame merkte dann, als ich sie auf den hot spot ansprach, dass es mir ernst war und gab mir die Codenummern. Ohne sie wäre ich sofort wieder gegangen, ich war nur in zweiter Linie zum Essen hier. So konnte ich wiedermal ausgiebig telefonieren, auch Tage später noch, denn das Netz ging ja bis auf den Marktplatz, und die Zahlen hatte mein Telefon jetzt gespeichert.

Erst sieht es nach kaum was aus, aber mit bisschen Übung im Blick gibt es überall im Zentrum von IF Kellercafés, Esslokale, Tanzschuppen. Zum Feiern bereit, der Ort. Auch der krasse Gegensatz zwischen Luxuscafés, in denen man von einer Empfangsdame platziert wird und wo der Esspresso zehnmal soviel kostet wie im Keller nebenan - und eben diesem Keller, von dem aus Abordnungen geschickt werden, eine(r) leistet sich im Auftrag der andern ein teures Getränk und lotst Befreundete an den preiswerteren Ort. Und umgekehrt. Und drei Leute halten sich im teuren Café zwei Stunden an einer Cola und einem Laptop fest.

Einem Reiseführertipp folgend langer Abendspaziergang nach Süden. Immer noch Innenstadt. Nach scheußlichen 60er-Jahre-Gebäuden kommen Gründerzeitbauten, aufgeschürft, Friedenau in der Nachkriegszeit, dann Jugendstilvillen, ovale Fronten und Dächer mit Zierrat, der bei uns Kolonnen von Zierratschützern hervorrufen würde und hier an der Luft vergeht, aber im Vergehen zu sehen bleibt. Dann zwei Straßen weiter alte Stadtarbeiterhäuschen, ich schätze 250 Jahre alt, Pferdewagen könnten davor stehn, aber es sind dicke Männer mit Handys, dann wieder Neubauten, noch eine Jugendstilvilla. Es geht im Stadtplan von IF zu wie in den beiden Museen, querbeet, armenische Marien wechseln mit österreichischen und den detailunterschiedenen der byzantinischen Kirchen, nur jüdische Heiligtümer sind nicht mehr da. Das jüdische Viertel ist auch zerstört.
Auf meinem Spaziergang kommt jetzt ein beleuchteter Hauseingang mit der Schrift 'Bristol' auf kyrillisch, ein dicker jüngerer Mann heisst mich willkommen, es ist bis auf ein Pärchen leer, ohne Hinweis wär ich hier nie hingegangen. Ich kriege eine Speisekarte, die ich nicht lesen kann, als ich sie zurückgeben will, ein bisschen genervt, hat der Wirt grinsend schon eine englische hinterm Rücken bereit, ich bestelle Zunge mit Pilzen als Vorgericht, geröstetes Rind mit Blaubeersoße und Bohnen, Obstsalat mit surprise zum Nachtisch und esse hervorragend. Ganz entlegen, Kennern bekannt, natürlich für mich preiswert und natürlich für Normalverdienende hier sehr teuer hält sich ein Esslokal erster Klasse. Zeitlos, ohne Aufheben, ohne Konzessionen.

7 Grad plus, die Innenstadt voll junger Leute, die eine Ahnung geben, wie's hier im Sommer zugeht. Alte Männer an Zäunen, junge Paare bummelnd um den Block. Vielleicht ist Sonntag hier ja der echte Feiertag. Vor der Abfahrt doch noch Lust auf einen Kaffee oder Wodka in einem Kellerladen. Hardrock-Art-Café. Spätnachts die englische Dame des Hotels, die es sich nicht nehmen lässt, an der Rezeption wach zu sein, fragt, wann ich wiederkomme, ich sei ein angenehmer Gast.

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