Nach Süden, in den Schnee...
Wenn man allein reist, finden sich manchmal Orte, an denen man hängt, die werden für kurze Zeit ein kleines Zuhaus. Mit mehreren unterwegs rennt man daran vorbei, zu zweit bezieht man sie immer auf was Gemeinsames. In Athen auf meinen Griechenlandreisen Anfang der 70er war es ein Straßencafé kurz vorm Omoniaplatz, wo ich hinging, in Lviv ist es das Hotel George.
Ehemals Wiener Pracht, dann verfallen, wird es gerade renoviert, aber der Speiseraum ist auf. Ein großer sechseckiger Saal mit einer Oberlicht-Decke, allerdings so verdreckt, dass das Licht nur schimmert. Wahllos im Raum verteilt kleine Tische, an denen ein paar Reisende, mehr Hiesige, Vertreter vielleicht, Geschäftsleute sitzen, telefonieren, verhandeln, sich über die anderen weg begrüßen, sich was zurufen, aufstehen, rauchen. Essen tut hier niemand. An einer Längsseite ist ein Tresen aufgebaut mit einem Samowar, einer Espressomaschine, einem Zapfhahn, einer Kühltruhe für Getränke und einer kleinen Kuchentheke. Dort stehen zwei, drei junge Kellner, meist im Gespräch, manchmal kommen Schulkameraden vorbei, dann wird es lauter. Am Eingang stehen nochmal zwei ältere Herren im Anzug, die einem den Weg in den Saal weisen, den man vor sich sieht, oder den Weg zum Klo eine brüchige Treppe runter. Unten wartet eine missgelaunte Klofrau, die offenbar während der Renovierung nicht saubermacht. Ich war bestimmt 6mal im George, trinke dort Kaffee, Wasser und telefoniere, denn das wlan ist unbeschädigt, offen und stark. Niemanden scherts, was ich mache.
Weil es ununterbrochen geschneit hat, getaut, wieder geschneit, bin ich auf dem Weg zum Busbahnhof nochmal hier rein, ich kam dran vorbei, und ein bisschen graulte ich mich vor der Fahrerei. Als der doppelte Kaffee fast alle war, nochmal mails gecheckt, und ein gerade geschriebener lieber Brief von Raoulina lag vor mir, der mich aufmunterte. Und das konnte ich brauchen.
Mit dem Kleinbus 71 zum südlichen Busbahnhof, ich hatte die Beschreibung und stand mit ca. 30 anderen im Pulk an der Haltestelle. Andauernd kam einer von den Kleinbussen, die man Marschrutki nennt, aus Habsburger Zeiten, alle waren voll. Der vollste war die 71, mit meinem Gepäck völlig sinnlos, da reinzuwollen. Ich wartete einen Durchlauf ab, beim nächsten gab es ein paar Lücken, also wuchtete ich mich und den Rollkoffer entschlossen rein, rief mein Ziel "Streska", was sonst keiner tut, aber um sicherzugehn, dass ich richtig bin, reichte zurechtgelegte 2 Hryfnien nach vorn und kriegte tatsächlich 25 Groschen zurück, wie das wirklich heißt, weiß ich gar nicht, so selten kommen Beträge unter einer Hryfnie (10 Cent) vor. Das erste Mal hatte ich eine ukrainische Münze in der Hand.
Hatte bisher als Hoteltourist gelebt. Wollte das gern auch beibehalten. Man steht auf engstem Raum in den Marschrutkis, quetscht sich irgendwie durch, ruft zum Aussteigen, reicht auch von ganz hinten sein Geld mithilfe der Mitreisenden dem Beifahrer vorn, kriegt auf gleichem Weg Wechselgeld, alles ganz ruhig, viele telefonieren in dem Gedränge, man seufzt manchmal, hilft sich. Das Fahrgeld ist immer gleich, egal, wie lang man fährt. Die Marschrutkis sind privat, Verkehrskontrollen scheint es nicht zu geben, ich habe kaum welche in Lviv gesehen, die nicht übervoll waren. Auch Straßenbahnen und O-Busse, die noch billiger sein sollen und städtisch geführt sind, waren kaum mal leer. Ich hätte keine Lust, einfach so mit ihnen zu fahren, wie in Warschau z.B.
Als ich an der Endstation ratlos auf einen großen Platz schaute, alle waren schon ausgestiegen, Fahrer und Beifahrer nach dem Busbahnhof "voksal" fragte, machten beide mit tiefen Stimmen "da" und zeigten auf ein stadionartiges Gebäude. Russland-Gefühl.
Der Bus nach Ivano Frankivs'k (ab jetzt hier abgekürzt IF) war dann nicht viel größer. Und noch voller. Neben mir saß (ja, ich war früh und hatte tatsächlich einen Sitzplatz ergattert) ein heftig angetrunkener, sehr fröhlicher langer Mann aus IF, der aber in Spanien arbeitet und gerade mal hergeflogen war, um seine Frau zu besuchen. Soweit es ging sprachlich, und wenn er nicht einschlief, unterhielten wir uns und hatten Spaß. Besonders eine schicke Dame, die keinen Sitzplatz bekam und von meinem Koffer genervt war, der im Gang stehen musste, nahm er sich immer wieder vor. Aber irgendwann schliefen wir alle.
Ich erschrak, als ich aufwachend einen Wegweiser sah: IF 68 km, da waren wir schon anderthalb Stunden gefahren. Geschlingert. Selbst die Hauptstraße, die über IF und Cernivci von Lviv bis Odessa führt, ist voller Löcher, Krater eigentlich, sodass sich beide Fahrseiten dauernd Ausweichmanöver liefern müssen, man immerzu abbiegt und umlenkt, wo es doch eigentlich geradeaus geht. Dazu hält das Marschrutki, wenn jemand winkt oder drin den 'Schoffer' zu halten bittet. Der 'Schoffer' war lässig, großzügig zu Alten und Kindern, riskant beim Überholen, legte Rauchpausen ein und nahm jede Hryfnie mit, d.h. lud sooft an Haltestellen Leute zum Mitfahren ein, bis im Bus dagegen protestiert wurde - man könne jetzt wirklich kaum noch stehen. Nach knapp 4 Stunden waren wir da, für ca. 130 km keine gute Zeit.
"Wir haben Straßen gefordert, wo bleiben sie?", hat Ende letzten Jahres der Fifa-Vorstand der ukrainischen Regierung vorgehalten, denn 2012 soll ja hier die EM stattfinden. Ich kann's mir nicht vorstellen, dies ist das erste Land, das ich kenne, wo ich nicht unbedingt gerne Auto fahren würde, und das Reisen im Bus ist wohl eher eine Last.
Warum? Schon in den 70ern waren die Buslinien in Griechenland, aber vor allem in der Türkei auf einem tollen Stand, es gab Reservierungspflicht und ein gut durchdachtes Nacht-Fernbussystem, man sagte, im Gegensatz zur ungepflegten langsamen staatlichen Bahn wollten die Busunternehmer eben auch Gewinn machen. Können sie das in der Ukraine nur auf so kleinem Niveau, ohne Investitionen? Oder gilt Reisen hier als etwas Anrüchiges? Bleibt man anständig besser zuhaus? Wenn man es bequem haben will, offenbar.
Es schneit weiter. IF ist gemütlich, matschig, unübersichtlich und hat ein equisites Rathaus mit schrägen Fronten aus den 20er Jahren. Was man finden will, muss man suchen, Kleinstadt, nichts weist für einen mitteleuropäischen Fremden hier auf sich hin.
Ehemals Wiener Pracht, dann verfallen, wird es gerade renoviert, aber der Speiseraum ist auf. Ein großer sechseckiger Saal mit einer Oberlicht-Decke, allerdings so verdreckt, dass das Licht nur schimmert. Wahllos im Raum verteilt kleine Tische, an denen ein paar Reisende, mehr Hiesige, Vertreter vielleicht, Geschäftsleute sitzen, telefonieren, verhandeln, sich über die anderen weg begrüßen, sich was zurufen, aufstehen, rauchen. Essen tut hier niemand. An einer Längsseite ist ein Tresen aufgebaut mit einem Samowar, einer Espressomaschine, einem Zapfhahn, einer Kühltruhe für Getränke und einer kleinen Kuchentheke. Dort stehen zwei, drei junge Kellner, meist im Gespräch, manchmal kommen Schulkameraden vorbei, dann wird es lauter. Am Eingang stehen nochmal zwei ältere Herren im Anzug, die einem den Weg in den Saal weisen, den man vor sich sieht, oder den Weg zum Klo eine brüchige Treppe runter. Unten wartet eine missgelaunte Klofrau, die offenbar während der Renovierung nicht saubermacht. Ich war bestimmt 6mal im George, trinke dort Kaffee, Wasser und telefoniere, denn das wlan ist unbeschädigt, offen und stark. Niemanden scherts, was ich mache.
Weil es ununterbrochen geschneit hat, getaut, wieder geschneit, bin ich auf dem Weg zum Busbahnhof nochmal hier rein, ich kam dran vorbei, und ein bisschen graulte ich mich vor der Fahrerei. Als der doppelte Kaffee fast alle war, nochmal mails gecheckt, und ein gerade geschriebener lieber Brief von Raoulina lag vor mir, der mich aufmunterte. Und das konnte ich brauchen.
Mit dem Kleinbus 71 zum südlichen Busbahnhof, ich hatte die Beschreibung und stand mit ca. 30 anderen im Pulk an der Haltestelle. Andauernd kam einer von den Kleinbussen, die man Marschrutki nennt, aus Habsburger Zeiten, alle waren voll. Der vollste war die 71, mit meinem Gepäck völlig sinnlos, da reinzuwollen. Ich wartete einen Durchlauf ab, beim nächsten gab es ein paar Lücken, also wuchtete ich mich und den Rollkoffer entschlossen rein, rief mein Ziel "Streska", was sonst keiner tut, aber um sicherzugehn, dass ich richtig bin, reichte zurechtgelegte 2 Hryfnien nach vorn und kriegte tatsächlich 25 Groschen zurück, wie das wirklich heißt, weiß ich gar nicht, so selten kommen Beträge unter einer Hryfnie (10 Cent) vor. Das erste Mal hatte ich eine ukrainische Münze in der Hand.
Hatte bisher als Hoteltourist gelebt. Wollte das gern auch beibehalten. Man steht auf engstem Raum in den Marschrutkis, quetscht sich irgendwie durch, ruft zum Aussteigen, reicht auch von ganz hinten sein Geld mithilfe der Mitreisenden dem Beifahrer vorn, kriegt auf gleichem Weg Wechselgeld, alles ganz ruhig, viele telefonieren in dem Gedränge, man seufzt manchmal, hilft sich. Das Fahrgeld ist immer gleich, egal, wie lang man fährt. Die Marschrutkis sind privat, Verkehrskontrollen scheint es nicht zu geben, ich habe kaum welche in Lviv gesehen, die nicht übervoll waren. Auch Straßenbahnen und O-Busse, die noch billiger sein sollen und städtisch geführt sind, waren kaum mal leer. Ich hätte keine Lust, einfach so mit ihnen zu fahren, wie in Warschau z.B.
Als ich an der Endstation ratlos auf einen großen Platz schaute, alle waren schon ausgestiegen, Fahrer und Beifahrer nach dem Busbahnhof "voksal" fragte, machten beide mit tiefen Stimmen "da" und zeigten auf ein stadionartiges Gebäude. Russland-Gefühl.
Der Bus nach Ivano Frankivs'k (ab jetzt hier abgekürzt IF) war dann nicht viel größer. Und noch voller. Neben mir saß (ja, ich war früh und hatte tatsächlich einen Sitzplatz ergattert) ein heftig angetrunkener, sehr fröhlicher langer Mann aus IF, der aber in Spanien arbeitet und gerade mal hergeflogen war, um seine Frau zu besuchen. Soweit es ging sprachlich, und wenn er nicht einschlief, unterhielten wir uns und hatten Spaß. Besonders eine schicke Dame, die keinen Sitzplatz bekam und von meinem Koffer genervt war, der im Gang stehen musste, nahm er sich immer wieder vor. Aber irgendwann schliefen wir alle.
Ich erschrak, als ich aufwachend einen Wegweiser sah: IF 68 km, da waren wir schon anderthalb Stunden gefahren. Geschlingert. Selbst die Hauptstraße, die über IF und Cernivci von Lviv bis Odessa führt, ist voller Löcher, Krater eigentlich, sodass sich beide Fahrseiten dauernd Ausweichmanöver liefern müssen, man immerzu abbiegt und umlenkt, wo es doch eigentlich geradeaus geht. Dazu hält das Marschrutki, wenn jemand winkt oder drin den 'Schoffer' zu halten bittet. Der 'Schoffer' war lässig, großzügig zu Alten und Kindern, riskant beim Überholen, legte Rauchpausen ein und nahm jede Hryfnie mit, d.h. lud sooft an Haltestellen Leute zum Mitfahren ein, bis im Bus dagegen protestiert wurde - man könne jetzt wirklich kaum noch stehen. Nach knapp 4 Stunden waren wir da, für ca. 130 km keine gute Zeit.
"Wir haben Straßen gefordert, wo bleiben sie?", hat Ende letzten Jahres der Fifa-Vorstand der ukrainischen Regierung vorgehalten, denn 2012 soll ja hier die EM stattfinden. Ich kann's mir nicht vorstellen, dies ist das erste Land, das ich kenne, wo ich nicht unbedingt gerne Auto fahren würde, und das Reisen im Bus ist wohl eher eine Last.
Warum? Schon in den 70ern waren die Buslinien in Griechenland, aber vor allem in der Türkei auf einem tollen Stand, es gab Reservierungspflicht und ein gut durchdachtes Nacht-Fernbussystem, man sagte, im Gegensatz zur ungepflegten langsamen staatlichen Bahn wollten die Busunternehmer eben auch Gewinn machen. Können sie das in der Ukraine nur auf so kleinem Niveau, ohne Investitionen? Oder gilt Reisen hier als etwas Anrüchiges? Bleibt man anständig besser zuhaus? Wenn man es bequem haben will, offenbar.
Es schneit weiter. IF ist gemütlich, matschig, unübersichtlich und hat ein equisites Rathaus mit schrägen Fronten aus den 20er Jahren. Was man finden will, muss man suchen, Kleinstadt, nichts weist für einen mitteleuropäischen Fremden hier auf sich hin.
quer - 14. Mär, 16:20
quer - 18. Mär, 17:31
Im amerikanischen Englisch klingt es genauso, bei B. D. gibt's das Lied Yeah Heavy and à Bottle of Bread, da heißt es: "Poor Little Chauffeur ( gespr. Schofer) though, She was back in Bed". Ich freue mich sehr ùber eure Konnentare! Hab wieder drahtloses Netz, aber die neuen Berichte kommen erst morgen. Grüße,
M
M
schoffööör?
Französisch
Eine meiner Tanten, die im Bayerischen Wald lebte, berichtete, dass die Leute im Ort vom Fleischer als "Schacketier" sprachen. Es war die Verballhornung von "charcutier". Wie der in den Bayerischen, eigentlich Böhmer-, wald gekommen ist?