Lemberg 1
Früh raus, gleich auf den Krakauer Markt.
Es geht durch die Gassen einer alten jüdischen Vorstadt, aber es könnte in jeder Richtung gehn vom Hotel. Überall ist alt, und alt ist hier nicht umweltgerecht und entstehungszeitentsprechend originalrekonstruierte Fassade, alt ist bewohnt und runtergewohnt und nichts anderes da und hält grad noch so, während Fachleute die Hände über'n Kopf schlagen und rufen, das sei eigentlich so gar nicht möglich. Also ziemlich viel Leben auf engem Raum, Straßenverkehr, der auf Intuition und Pfiffigkeit beruht und vielleicht auf mehr praktischer Vernunft, als es uns Regulierten so vorkommt. Zebrastreifen, auf denen in Polen die Fußgängervorfahrt gerade drakonisch durchgesetzt wird, sind hier ein reines Spiel mit den Möglichkeiten, die ein flinkes Wiesel und ein steifer Panzer zur Begegnung und zum Ausweichen miteinander haben. Angst hatte ich im verkehrsstrengen Lublin mehr, die Sorge um die Verletzung der schönen Autos wie bei uns noch der größte Schutz (der will doch selbst keinen Kratzer...) - dieser Schutz fällt hier allerdings weg, was für Rostlauben fahren rum, es ist nicht nur auf dem Land schlagartig ein Stück 60er, Russland, alte Welt, Realsozialismus von vor 50 Jahren, in das man reingerät, es sind die zwei Zeiten auf einmal. Nämlich auch Luxusschlitten, Off-Roader, entsprechende Gallionsmädchen vorne rechts, aber auch die ganz schicken Damen, die sich Pakete tragen lassen von ihren Packern, die sie zu sich rufen wie Hunde. Es gibt Alte, die Mülltonnen durchwühlen und Wlan-Cafés, wo ein Kaffee soviel kostet wie ein Essen mit Salat und großem Bier nebenan. Trotzdem sitzen gerade in beiden Läden gleichviel Leute, sie sehen auch gar nicht so unterschiedlich aus.
Keine Ahnung bisher, was wirtschaftlich mit der Ukraine passiert - als sie ihre eigene Währung einführten, stand diese Hryvnie gleichauf mit dem Słoty, jetzt kriegt man knapp drei Hryvnien für einen und über zehn davon für einen Euro. Was heißt, dass man als Eu-Mitgliedsmensch hier im Luxus schwelgt und merkt es kaum, was die Ausgaben angeht. Für einen Normalverdiener der Union ist das in Polen nicht mehr möglich.
Auf dem Markt angekommen, empfing mich bei den ersten Ständen gleich das wüste Geschrei einer Predigerin, die offenbar alle Umstehenden verstörte, man duckte sich vor ihr. Der Lärm fiel so auf, weil er weg war, als die Alte verschwand. Was für ein stiller unaufgeregter Markt! Voll, gedrängt, reich bestückt mit Ständen, Leuten, aber man schlendert, schaut, wägt ab, kein Verkäufer würde mit Gebrüll oder Hast mehr verkaufen. Heiterkeit, auch ganz anders als im Verkehr. So viel Zeugs, Gewürze, Fische, Haustiere, Süßes, Saures, Unnützes, Nötiges, manches unvorstellbar billig, anderes fast unerschwinglich (wie man an Gesichtern sieht), Fülle von bei uns so ganz an den Rand gedrängten Dingen, die aufzuzählen halbe Bücher postmoderner Schriftsteller füllt. Ein Markt, wie Märkte eben sind außerhalb einer bestimmten Wirtschaftsgröße des Landes.
Manchmal kommt es mir vor, als wären wir mit unsern Einkaufszentren-Normen regulierter als die früheren Staatssozialismus-Länder, und es gibt in diesen Zentren doch auch eigentlich überall nur das Gleiche. Gibt es w-lan, frage ich, ist das Nokia N 900 hier schon zu kriegen? Ich gucke nach: Ja, ist ja toll. Oder: Nein, na die sind ja hier noch zurück...
Es sitzen viele Männer einfach so in ihren Autos, warten sie auf wen, schlagen sie Zeit tot? Uniformierte mit Pelzkappen stehen auch viel herum, oder noch bunter Uniformierte mit breit ausschwingenden runden Mützen, wie man sie aus alten sowjetischen Filmen kennt, sie gehen auch gern schnellen Schrittes, die Arme hinterm Rücken verschränkt. Manche Leute in Läden, wenn ich gar nicht weiß, was ich sagen soll, sorglos und unvorbereitet und natürlich dann nicht parat habe, was Tee heißt oder halbes Brot, sind gar nicht freundlich, auch nicht mitfühlend. Wenn ich aber vorbereitet schlecht die richtigen Worte ausspreche, dann macht das nichts, das wird belohnt, wie an der Opernkasse, wo ich ein wunderbares Lächeln bekam. Gute Laune bringt's auch, und die kann man gut haben, denn wo man hingeht, war schon wer, Martin Buber, Ferdinand v. Sacher-Masoch, Stanislav Lem, Sholem Allechem, Gustav Mahler - lauter Bekannte. Aber die Fremdheit, gekommen durch die gewaltsamen Völkerverschiebungen, die macht den Motor der Stadt genauso aus. Weites Feld.
In Lemberg gilt auf eine Führung durch die Innenstadt bezogen der Satz, der manchmal in Verträgen steht, ich glaub salvatorische Klausel heißt das: Ist eins der beschriebenen Gebäude nicht auffindbar gewesen, so ist es umstandslos durch ein ebenso schönes und interessantes zu ersetzen. Es ist immer etwas da, egal, wo man hinguckt.
Es geht durch die Gassen einer alten jüdischen Vorstadt, aber es könnte in jeder Richtung gehn vom Hotel. Überall ist alt, und alt ist hier nicht umweltgerecht und entstehungszeitentsprechend originalrekonstruierte Fassade, alt ist bewohnt und runtergewohnt und nichts anderes da und hält grad noch so, während Fachleute die Hände über'n Kopf schlagen und rufen, das sei eigentlich so gar nicht möglich. Also ziemlich viel Leben auf engem Raum, Straßenverkehr, der auf Intuition und Pfiffigkeit beruht und vielleicht auf mehr praktischer Vernunft, als es uns Regulierten so vorkommt. Zebrastreifen, auf denen in Polen die Fußgängervorfahrt gerade drakonisch durchgesetzt wird, sind hier ein reines Spiel mit den Möglichkeiten, die ein flinkes Wiesel und ein steifer Panzer zur Begegnung und zum Ausweichen miteinander haben. Angst hatte ich im verkehrsstrengen Lublin mehr, die Sorge um die Verletzung der schönen Autos wie bei uns noch der größte Schutz (der will doch selbst keinen Kratzer...) - dieser Schutz fällt hier allerdings weg, was für Rostlauben fahren rum, es ist nicht nur auf dem Land schlagartig ein Stück 60er, Russland, alte Welt, Realsozialismus von vor 50 Jahren, in das man reingerät, es sind die zwei Zeiten auf einmal. Nämlich auch Luxusschlitten, Off-Roader, entsprechende Gallionsmädchen vorne rechts, aber auch die ganz schicken Damen, die sich Pakete tragen lassen von ihren Packern, die sie zu sich rufen wie Hunde. Es gibt Alte, die Mülltonnen durchwühlen und Wlan-Cafés, wo ein Kaffee soviel kostet wie ein Essen mit Salat und großem Bier nebenan. Trotzdem sitzen gerade in beiden Läden gleichviel Leute, sie sehen auch gar nicht so unterschiedlich aus.
Keine Ahnung bisher, was wirtschaftlich mit der Ukraine passiert - als sie ihre eigene Währung einführten, stand diese Hryvnie gleichauf mit dem Słoty, jetzt kriegt man knapp drei Hryvnien für einen und über zehn davon für einen Euro. Was heißt, dass man als Eu-Mitgliedsmensch hier im Luxus schwelgt und merkt es kaum, was die Ausgaben angeht. Für einen Normalverdiener der Union ist das in Polen nicht mehr möglich.
Auf dem Markt angekommen, empfing mich bei den ersten Ständen gleich das wüste Geschrei einer Predigerin, die offenbar alle Umstehenden verstörte, man duckte sich vor ihr. Der Lärm fiel so auf, weil er weg war, als die Alte verschwand. Was für ein stiller unaufgeregter Markt! Voll, gedrängt, reich bestückt mit Ständen, Leuten, aber man schlendert, schaut, wägt ab, kein Verkäufer würde mit Gebrüll oder Hast mehr verkaufen. Heiterkeit, auch ganz anders als im Verkehr. So viel Zeugs, Gewürze, Fische, Haustiere, Süßes, Saures, Unnützes, Nötiges, manches unvorstellbar billig, anderes fast unerschwinglich (wie man an Gesichtern sieht), Fülle von bei uns so ganz an den Rand gedrängten Dingen, die aufzuzählen halbe Bücher postmoderner Schriftsteller füllt. Ein Markt, wie Märkte eben sind außerhalb einer bestimmten Wirtschaftsgröße des Landes.
Manchmal kommt es mir vor, als wären wir mit unsern Einkaufszentren-Normen regulierter als die früheren Staatssozialismus-Länder, und es gibt in diesen Zentren doch auch eigentlich überall nur das Gleiche. Gibt es w-lan, frage ich, ist das Nokia N 900 hier schon zu kriegen? Ich gucke nach: Ja, ist ja toll. Oder: Nein, na die sind ja hier noch zurück...
Es sitzen viele Männer einfach so in ihren Autos, warten sie auf wen, schlagen sie Zeit tot? Uniformierte mit Pelzkappen stehen auch viel herum, oder noch bunter Uniformierte mit breit ausschwingenden runden Mützen, wie man sie aus alten sowjetischen Filmen kennt, sie gehen auch gern schnellen Schrittes, die Arme hinterm Rücken verschränkt. Manche Leute in Läden, wenn ich gar nicht weiß, was ich sagen soll, sorglos und unvorbereitet und natürlich dann nicht parat habe, was Tee heißt oder halbes Brot, sind gar nicht freundlich, auch nicht mitfühlend. Wenn ich aber vorbereitet schlecht die richtigen Worte ausspreche, dann macht das nichts, das wird belohnt, wie an der Opernkasse, wo ich ein wunderbares Lächeln bekam. Gute Laune bringt's auch, und die kann man gut haben, denn wo man hingeht, war schon wer, Martin Buber, Ferdinand v. Sacher-Masoch, Stanislav Lem, Sholem Allechem, Gustav Mahler - lauter Bekannte. Aber die Fremdheit, gekommen durch die gewaltsamen Völkerverschiebungen, die macht den Motor der Stadt genauso aus. Weites Feld.
In Lemberg gilt auf eine Führung durch die Innenstadt bezogen der Satz, der manchmal in Verträgen steht, ich glaub salvatorische Klausel heißt das: Ist eins der beschriebenen Gebäude nicht auffindbar gewesen, so ist es umstandslos durch ein ebenso schönes und interessantes zu ersetzen. Es ist immer etwas da, egal, wo man hinguckt.
quer - 11. Mär, 11:23
Gumperz - 11. Mär, 14:51
alte kultur
gibt es noch die spuren der mathematiker, das schottische cafè, wo man formeln (wie) am stammtisch ersann, besprach und in die dafür vorgesehene kladde eintrug, damit die mitdiskutanten denkfutter hatten? ein name: banach.
gruß in den vermutlich noch (k)älteren osten
gruß in den vermutlich noch (k)älteren osten
Salvatorische Klausel...
Die bunt Uniformierten - wenn du die ablichten wolltest, kämst du wohl in den Knast?
Auf dem Markt die bei uns an den Rand gedrängten Dinge: oh, schon deshalb muss ich dort auch mal hin, am liebsten mit dir...