Samstag, 6. März 2010

Lublin 1

Lublin hat knapp 400.000 Einwohner, 100.000 davon sind Studenten. Als wir vorletzten Sommer hier waren, haben die Semesterferien den Eindruck einer Jugendstadt nicht so aufkommen lassen, da waren einfach nur ein paar junge Leute mehr unterwegs als sonst.

Jetzt quillt das Univiertel von ihnen über, auch die tief mittelalterliche Innenstadt quillt. Und wie in Warschau scheinen in Lublin doppelt soviel Mädchen wie Jungs zu studieren (vielleicht zieht das die Aktion-Sühnezeichler und deutschen Ersatzdienstleistenden her?).

Trotz ihrer Überzahl haben die jungen Akademiker noch keine 'scene' kreiert, gibt es bisher kein Zentralorgan, das für sie entscheidet, was angesagt ist, kein arrogant formuliertes vitales Selbstbewusstsein. So hat es mir jedenfalls in einer übervollen Kellerkneipe Toby, ein junger Mensch aus Hamburg erzählt (und den angenehmen Gegensatz zu Hamburg beschrieben), der nach seinem Ersatzdienstpraktikum hier einen Jahressprachkurs angehängt hat und 'halber Pole' sein möchte, was ich in dem Moment gut verstehe. Nein, insgesamt habe die Unistadt immer noch den Ruf der fleißigen Provinz, man sage: Polen feiert, Lublin schläft.

Lublin ist also in vielem auch eine Gegenstadt zu Görlitz, wo man auf einen jungen Menschen zehn Rentner trifft. Und so sympatisch mir Görlitz immer war, Lublin soll Gegenstadt bleiben, denn wie Görlitz bewirbt es sich um die Ehre (und das Geld) der europäischen Kulturhauptstadt, die Görlitz bekanntlich gegen Essen verlor, wie es Lublin 2016 auch passieren kann, gegen Wroczlaw zum Beispiel, was ungerecht wäre, denn Breslau hat schon so viel - aber so ist die Welt andererseits.

Dies letzte schon aus einem Gespräch mit Herbert Ulrich, der seit 1977 hier lebt, als DDR-Hippie nach Ostpolen kam, fester Bestandteil des kulturellen Hinundher wurde, Übersetzer, Vermittler, jemand, der Menschen leicht und unversehens zusammenbringt.
Er hat mich im 'Haus des Lehrers' im Univiertel eingemietet, holt mich am Bahnhof ab, schon sitzen wir in einer Taxe, die ein graumelierter Mitfünfziger bezahlt, der, wie Herbert mich leise informiert, fürs Kulturamt arbeitet, Herbert hört ihm zu, sagt dann "Phillip Glass, Lori Anderson, Lou Reed", jedesmal tippt, während ich staunend zuhöre, der Kulturmanager sich an die Brust, "die werden hier im Sommer zusammen auftreten", der Kulturmanager strahlt, den Etat habe er grad in Warschau bewilligt bekommen. Der Taxifahrer fragt etwas dazwischen, alle lachen, nur ich weiß nicht, worum es geht. "Ob er das Geld etwa da habe, dann könne man ja einen kleinen Umweg in den Wald machen..." Manchmal wäre es doch schön, mehr zu verstehen, denke ich.

Die Musiker, bei denen wir vorletzten Sommer wohnten, sind auf Tournee, zu der Bluessession, die dann nicht stattfand und zu der Herbert mich verabredet hatte, kamen sie nicht - dafür sind andere da, man ist sich hier, erzählt auch Toby, ein bisschen aus den Augen, aus dem Sinn.

Die Stadt, wie ich sie tagsüber durchstreife, erinnert gleichzeitig sehr und gar nicht an die aus dem Sommer, das andre Wetter macht viel aus, dann kommt auch Sehnsucht auf nach dem Zusammensein damals, und gestern spät abends, nach zwei Ausstellungseröffnungen, small talks mit Präsidenten und einem schönen Abend mit Herbert allein zum Essen in einem Altstadt-Ratskeller, während ein Pianist mit Sonnenbrille (ich glaube, pseudo-blind) einem Flügel alte Schlagerweisen entrang, zum ersten Mal eine Art wohliges Verlorengehen im Gestern. In einer alten Zeit, als hier eines der jüdischen Zentren war. Als sich hier und weiter östlich Überlieferungen begegnet sind und vermischt haben, die in dieser Mixtur unsern Alltag bis heute prägen. Obwohl hier davon fast nichts mehr übrig ist nach dem Durchmarsch von zwei Kolossaldiktaturen. Die aus den Überlieferungen, die sie zerstören wollten, andererseits auch entstanden sind.
Und der Pianist spielt weiter, egal, was passiert. Und die Kellnerin lächelt, ob's noch was sein soll. Ein letztes noch.

Das Haus des Lehrers bietet Samstag - Sonntag Frühstück nur zwischen 7 und 8 Uhr. Ich fange an, mich dran zu gewöhnen.
RosenResa - 9. Mär, 14:30

frühes Frühstück

..kann ja auch bluessessions ver-h-oder-m-indern - die wir als poesiefutter jedoch keinesfalls missen wollen.. also was nu? goldmundige Morgenstund oder gar ein neues Lied? nicht leicht, das zu entscheiden...beides zusammen könnte allerdings auch sehr schön sein...keep on rolling, Manfred..auch wenn die Züge langsam fahren :-)

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