Das Böse (Zwischenmeldung)
Eine Woche vorbei, und die Meinungen, die ich zu der ‚Inzest-Familie‘, wie ichs da noch nannte, ganz fest gefasst hatte, sind aufgeweicht, verändert, umgeformt. Das ist gut, aber schwach trotzdem auch.Ich lerne, dass die Tätigkeit eines Polemikers ein Handwerk mit eigenen Kniffen ist.
Zum Beispiel muss die griffige Formulierung einer Entwicklung standhalten. Nach wie vor bin ich nicht bereit, die Ehefrau des Verbrechers als nichtsahnendes Opfer zu sehen, aber mein Vergleich mit den Gattinnen von KZ-Kommandeuren kommt mir im Licht der weiteren Berichte auch überzogen vor. Ich denke sogar manchmal: Was mischt du dich da ein? Trotzdem ich eigentlich nicht bereit bin, mir so ein duldend unschuldiges weibliches Nichtsahnen über Jahrzehnte weg einreden zu lassen. Oder sogar Mitleid dafür zu empfinden. Die duldende Täterfrau ist eine Mittäterin.
Gewohnt bin ich nach einer Woche Presseschau und Gesprächen die Kritik an meiner Aufgeregtheit und Übertriebenheit. Statt erstmal leise das Entsetzliche wirken zu lassen, musste ich gleich Schuldige suchen. ‚Sie ist so alt wie ich. Ich sehe, was ich alles erlebt habe seit dem 18. Lebensjahr, entscheidende Jahre, und stell mir vor, was sie erlebt hat seitdem. Im Keller.‘, sagte ein Freund - unzählige Leute stellen sich das jetzt vor, dieses Keller-Dasein.
Aber trotzdem kann ich, im Gegensatz zu vielen um mich rum, keine Medienschelte beginnen. Die Jagd nach Aussagen, Fotos, Hintergründen findet für jeden von uns statt, die wir diesen ‚Fall‘, ‚Tragödie‘, dieses ‚Elend‘ (wie sagen?) verfolgen. In der hektischen Neugier der Medien sehe ich nichts eigentlich Widerliches, höchstens extrem Lästiges für die Betroffenen. Widerwärtig finde ich oft das Wie der Berichterstattung. Wie aus dem ‚Monster‘ ‚der Fritzl‘ wird, nur einen kleinen Abgrund weg vom ‚Pfundskerl‘, dessen Potenz man bestaunt, dessen Fickurlaubsfilme man mit verschämtem Grinsen zur Schau stellt. Wie man so tut, als wäre der Kern dieses Verbrechens der familiäre Inzest (ein Gedanke, den ich von Bov Bjerg übernehme) und nicht die unablässige Vergewaltigung, das Wegsperren, der Lebens - und Weltentzug.
Widerlich, wie die damals verantwortlichen Behörden, die das Mädchen nachhaus zurückbrachten und ihre Befreiungsversuche aus der Vergewaltigungskette als ‚Abenteuerlust‘ ‚missverstanden‘, sich weigern, von Fehlern, geschweige Schuld überhaupt zu reden. Bloß nichts zugeben. Widerlich, wie die Kirche zu diesem ihrem abgeirrten ‚Schaf‘ schweigt. Geschweige zur eigenen Zuarbeit zu den Verbrechen.
Ich komme nicht klar mit denjenigen, die diesen ‚Fall‘ für ein Singuläres, ein nicht erklärbares Unfassbares etc. halten. Ich sehe, was da passsiert ist, als ein paar Schritte quer auf dem Boden unserer Normalität, als Zuspitzung. Was Elfriede Jelinek dazu geschrieben hat, erreicht mich. Was passiert ist, jetzt allein der Routine von Psychologen und Rechtsfachleuten zur Klärung zu überlassen, als wärs eine Abweichung von an sich guter Norm, fände ich bedrohlich. Denn die Norm gibt es vielleicht nicht. Dass ‚Frau und Kinder und Gepräge‘ eine Art Eigentum des Mannes in der Familie sind, ist offenbar noch nicht überwunden, weder psychisch noch rechtlich so ganz. Umso weniger ‚Familienautonomie‘ es gibt, desto irrer gebährden sich vielleicht die ehemaligen kleinen Herrscher. Und umso isolierter und machbarer Sex alles prägt (fast das Verlässlichste in dieser deregulierten Welt), desto dumpfer wird er dann eben auch isoliert und gemacht. Die Menschen dazu gehören einem ja noch...
Aber schon wieder DEUTUNGEN. In einer Woche sieht alles anders aus.
Zum Beispiel muss die griffige Formulierung einer Entwicklung standhalten. Nach wie vor bin ich nicht bereit, die Ehefrau des Verbrechers als nichtsahnendes Opfer zu sehen, aber mein Vergleich mit den Gattinnen von KZ-Kommandeuren kommt mir im Licht der weiteren Berichte auch überzogen vor. Ich denke sogar manchmal: Was mischt du dich da ein? Trotzdem ich eigentlich nicht bereit bin, mir so ein duldend unschuldiges weibliches Nichtsahnen über Jahrzehnte weg einreden zu lassen. Oder sogar Mitleid dafür zu empfinden. Die duldende Täterfrau ist eine Mittäterin.
Gewohnt bin ich nach einer Woche Presseschau und Gesprächen die Kritik an meiner Aufgeregtheit und Übertriebenheit. Statt erstmal leise das Entsetzliche wirken zu lassen, musste ich gleich Schuldige suchen. ‚Sie ist so alt wie ich. Ich sehe, was ich alles erlebt habe seit dem 18. Lebensjahr, entscheidende Jahre, und stell mir vor, was sie erlebt hat seitdem. Im Keller.‘, sagte ein Freund - unzählige Leute stellen sich das jetzt vor, dieses Keller-Dasein.
Aber trotzdem kann ich, im Gegensatz zu vielen um mich rum, keine Medienschelte beginnen. Die Jagd nach Aussagen, Fotos, Hintergründen findet für jeden von uns statt, die wir diesen ‚Fall‘, ‚Tragödie‘, dieses ‚Elend‘ (wie sagen?) verfolgen. In der hektischen Neugier der Medien sehe ich nichts eigentlich Widerliches, höchstens extrem Lästiges für die Betroffenen. Widerwärtig finde ich oft das Wie der Berichterstattung. Wie aus dem ‚Monster‘ ‚der Fritzl‘ wird, nur einen kleinen Abgrund weg vom ‚Pfundskerl‘, dessen Potenz man bestaunt, dessen Fickurlaubsfilme man mit verschämtem Grinsen zur Schau stellt. Wie man so tut, als wäre der Kern dieses Verbrechens der familiäre Inzest (ein Gedanke, den ich von Bov Bjerg übernehme) und nicht die unablässige Vergewaltigung, das Wegsperren, der Lebens - und Weltentzug.
Widerlich, wie die damals verantwortlichen Behörden, die das Mädchen nachhaus zurückbrachten und ihre Befreiungsversuche aus der Vergewaltigungskette als ‚Abenteuerlust‘ ‚missverstanden‘, sich weigern, von Fehlern, geschweige Schuld überhaupt zu reden. Bloß nichts zugeben. Widerlich, wie die Kirche zu diesem ihrem abgeirrten ‚Schaf‘ schweigt. Geschweige zur eigenen Zuarbeit zu den Verbrechen.
Ich komme nicht klar mit denjenigen, die diesen ‚Fall‘ für ein Singuläres, ein nicht erklärbares Unfassbares etc. halten. Ich sehe, was da passsiert ist, als ein paar Schritte quer auf dem Boden unserer Normalität, als Zuspitzung. Was Elfriede Jelinek dazu geschrieben hat, erreicht mich. Was passiert ist, jetzt allein der Routine von Psychologen und Rechtsfachleuten zur Klärung zu überlassen, als wärs eine Abweichung von an sich guter Norm, fände ich bedrohlich. Denn die Norm gibt es vielleicht nicht. Dass ‚Frau und Kinder und Gepräge‘ eine Art Eigentum des Mannes in der Familie sind, ist offenbar noch nicht überwunden, weder psychisch noch rechtlich so ganz. Umso weniger ‚Familienautonomie‘ es gibt, desto irrer gebährden sich vielleicht die ehemaligen kleinen Herrscher. Und umso isolierter und machbarer Sex alles prägt (fast das Verlässlichste in dieser deregulierten Welt), desto dumpfer wird er dann eben auch isoliert und gemacht. Die Menschen dazu gehören einem ja noch...
Aber schon wieder DEUTUNGEN. In einer Woche sieht alles anders aus.
quer - 9. Mai, 23:30
stammtisch
1. ist dir eigentlich schon mal aufgefallen, dass deine aufregung jedenfalls in der anmaßung von urteilen um nicht zu sagen verurteilungen ( am besten zu härtestmöglicher strafe, wenn ich dich nur halbwegs richtig verstehe ) über bzw. von dingen, die für manche menschen bei weitem realer sind als für dich, bestenfalls stammtischniveau hat? und entsprechend natürlich auch genau so schlampig mit jedem aber auch jedem einzelnen detail umgeht? zu logischerweise ähnlich nur schwer erträglichen ergebnissen?
2. "Die Jagd nach Aussagen, Fotos, Hintergründen findet für jeden von uns statt, die wir diesen ‚Fall‘, ‚Tragödie‘, dieses ‚Elend‘ (wie sagen?) verfolgen." genau! denk mal drüber nach. für mich jedenfalls findet die jagd nicht statt
3. wie man sich einbilden kann, dass man auf tausende kilometer entfernung aufgrund von medien-informationen ( ein witz bzg. ihrer korrektheit in sich ) auch nur eine rolle, die irgend wer irgend wo spielt, beurteilen kann, ist mir schleierhaft
wer weiß wie er sich verhalten hätte, wenn er 1933 bis 1945 dabei gewesen wäre? wer weiß wie's wirklich war im dorf, bei der flucht der tochter, in irgendeinem kirchenamt in österreich?
und damit will ich nichts entschuldigen - im gegenteil: natürlich nehme auch ich an, dass da an vielen stellen mist gebaut wurde. aber man kann's auch übertreiben mit dem rumgewatsche von allem und jedem! das ist billig, unpräzise und selbst reichlich unappetitlich, wenn du mich fragst
4. und schließlich, und vorsicht mit dem empöromator in dir an dieser stelle: wo hast du diesen ständig zitierten "pfundskerl" her? und wieviel projektion deinerseits steckt in deinem gezeter über die angeblich offen klammheimliche bewunderung seiner sextaten?
5. nur mal ganz leise in aller bescheidenheit erwähnt die alte bauernregel vom pharisäer: gott bin ich froh, dass ich nicht so ein dreckschwein bin in jeder beziehung, wa!?
woraus du hoffentlich sehen kannst: der fall selbst interessiert mich nicht die bohne! schon alleine, weil ich nicht das gefühl habe, dass es seitdem plötzlich abgründe neuer dimension gäbe: das war doch wohl schon immer klar, dass der mensch zu dingen fähig ist, die nicht zu fassen sind, oder!?
hochinteressant finde ich aber dagegen, was leute aus meinem persönlichen bekanntenkreis darüber für anwandlungen kriegen
allerdings: sei dir natürlich alles zugestanden! soviel respekt muss sein + ist auch tatsächlich locker vorhanden
grüße
christian
Soviel ... muss sein?
Schlampig nenne ich, ein einmal benutztes (und als sinngemäß markiertes) Wort, nämlich 'Pfundskerl', "ständig zitiert" zu nennen.
Billig finde ich, meine Abscheu gegen bestimmte Männlichkeitspropagandisten (im 'Tagesspiegel' vom Wochenende war noch so ein Artikel, aus naturwissenschaftlicher Sicht diesmal) gegen mich persönlich zu wenden. Aber wenns hilft - na, dann 'projeziere' ich eben (die Schalheit eines Gedankens steckt manchmal schon in dem Wort, das ihn nennt).
Dies 'pharisäische' Gefühl, ich hab es nicht, kann es noch nichtmal nachvollziehen, tut mir leid. Ich sehe auch keine "Abgründe neuer Dimension", das Gegenteil dazu steht in meinem Text - du regst dich über jemand auf, der sich so nicht geäußert hat.
Dazu passt dein Geschmacks-Vernichtungs-Urteil, das in meiner Jugend eine der beliebtesten Wort-Keulen gegen 'Weltverbesserer' war: - Da sitze ich aber tatsächlich (wenns nur die Wahl dazwischen gibt) lieber an jedem krakelenden Stammtisch als auf einem dieser klimatisierten Empfänge, wo man die Wirklichkeits-Schilderungen und die Mutmaßungen, die zu ihnen gehören wie Gras zum Boden, immerzu abwehrt mit dem Vedikt, das sei aber 'unappetitlich'. Eine appetitliche Welt - musst du sowas?