21.5.
Der Gang durchs Geschichtsmuseum vorhin jedenfalls markierte - wenn man, wie wir, nur den paar englischen Erläuterungen folgen kann und nicht den vielen kyrillischen - als die Hauptfeinde der Ukrainer im letzten Jahrhundert die Sowietrussen mit Abstand und danach die Polen, die deutsche Besetzung ist kaum erwähnt. Das wusste ich eigentlich vorher, es erschrickt dann aber doch. Trotzdem ist Geschichte diesmal nicht das Thema, das mich fesselt, vielleicht ändert es sich mit dem andern Teil unsrer Reisegruppe, den wir erwarten. Es sind mehr die Stimmen und Klänge (vielleicht liegt es am hellhörigen Mikro, das ich dabei hab), sind Arm und Reich, Off-Roader auf dem Zebrastreifen geparkt, über den der Alte schleicht, der die Mülltonnen durchstöbert, Anorakmädchen vom Land mit Schlurfschritt am Wiener Cafe entlang, überholt von der Gleichaltrigen mit schwingender Hüfte und neuestem Elektroniktraum um die Ohren. Es ist ein Schwung in der Stadt, aber hat er mit Fortschritt zu tun? Stimmt es, dass die meisten jungen Leute hier weg wollen? Eben läuft eine Enya-Schnulze, und ich hoffe grad sehr, dass diesem Land das gleiche Schicksal erspart bleibt wie Irland, für scheinbaren Wohlstand ein Bankenfutter zu werden. Die Melancholie, die dann aufkommt, ist, wie man hört, richtig mies. (Auch Enya war mal ein schlurfendes unausgeschlafenes Mädchen, das meiner damaligen Freundin und mir den Kaffee zum Frühstück brachte in der Familienpension von ,Clannad‘, Ende der 70ger).
Die Straßenbahnen hier werden von Frauen gelenkt, und die schlimmsten Gleise sind aufgerissen, um für den Ansturm Europas im nächsten Jahr repariert zu sein. Das war nötig. Mehr erstmal nicht.
aus Lublin