Donnerstag, 4. März 2010

Warschauer Aufstand

Als ich hinfuhr, schien die Sonne. Ins Uprising Museum. Uprising = Aufstand.

Es geht hier um den Warschauer Aufstand zwischen August und Oktober 1944. Es geht nicht (oder nur nebenbei) um den Aufstand im Warschauer Ghetto 1939.
Das Motto zur Revolte steht überm Eingang, es stammt von einem Delegaten, Jan Stankowski:
"Wir wollten frei sein und diese Freiheit niemandem verdanken."

Delegat, Ghetto, Revolte, Heimat-Armee (Home-Army), Exilregierung: Mir fehlen Wissen und Hintergrund für die Vorgänge, die Erklärungen sind in Englisch, wenn ich also eine Kurzfassung meines Besuchs versuche, werden Irrtümer und Unverstandenes selbstverständlich sein.

Das Uprising Museum ist in einem alten renovierten und hochgerüsteten Busbahnhof untergebracht, das Dokumentationsvorhaben komplex, technisch auf hohem Standard, man muss Zeit mitbringen und seine Sinne bereithaben. Man muss sich auch abschotten können, denn andauernd werden Schulklassen durch die Räume und Verliese geführt und die Pädagogen sind laut (die Jugendlichen eher still).
Im großen Empfangsraum schlägt zudem ununterbrochen ein ruhiges, aber lautes Herz, für die toten Kämpfer und Überlebenden, wie es heißt, und dazu sind verschiedene Klangteppiche aus Originaltönen ausgelegt, einer davon ein furchtbarer Bombeneinschlag, sodass man vielleicht gebeugt vor einem Kästchen steht, in dem ein Video läuft, auf dem eine alte Frau von ihrer Tätigkeit als Kurierin erzählt, ein Foto neben dem Kästchen zeigt sie in jungen Jahren zusammen mit gleichaltrigen Kämpfern, die aber genauso eine Pfadfindertruppe sein könnten, und man hört gleichlautend zum Originalton den Herzschlag, dann die Detonation, und wenn es danach etwas still ist, skandiert ein Lehrer einen offenbar schrecklichen historischen Fakt, zum Auswendiglernen. "Wir sind direkt mit unsrer Jugendwandergruppe in den Untergrund gekommen, uns blieb keine Wahl", sagt leise die Frau auf dem Video (laut englischen Untertiteln), und ich wünsche mir in dem Moment alles andere weg.

Das gehört vielleicht auch zum Konzept dieses Meistermuseums, man wird direkt reingezogen. Elfjährige probieren die Gewehre, die ihre gleichaltrigen Uropas damals bedienen mussten und kriechen eine halbe Stunde durch das Kanalsystem, in dem die lebten.
Wie eine Vulkaneruption, sagt Jan Nowak-Jezioranski, der als Kurier zwischen Warschau und London arbeitete, war der Aufstand nach vier Jahren Erniedrigung, "sei ein Schwamm, vergiss alles, was du weißt und denkst, beobachte und übermittle einfach jede nur mögliche Information". So hatte man ihn instruiert. Er musste den Warschauer Mitstreitern dann überbringen, dass es politisch klüger wäre, stillzuhalten und ein Aufstand die Politik des Westens keinen mm ändern würde.
Man schlendert weiter, stellt Fragen, die sich irgendwann beantworten bzw. zu größeren Fragegruppen anwachsen. Der Museumsbesuch ist wie das Erkunden dieser Stadt selbst, dieser Zeit auch.

Alltagsleben in Warschau nach der Besetzung durch Deutschland:
"Städt. Verkehrsbetriebe Warschau: Vorzeigender Kowski, Jan ist berechtigt, einen Triebwagen der Strassenbahn in Warschau zu führen. Nur gültig mit dem Personalausweis Nr. 6390."
Vor der Besetzung hatten ca. 2000 Deutsche in der Stadt gelebt. Jetzt wurde eine eigene Straßenbahnlinie 0 nur für sie eingeführt, es waren 1942 schon 20.000 Glücksritter. Es gibt ein Foto, wo deutsche Soldaten aus der 0 steigen, einer mit dem breiten Staunen im Gesicht, als habe er gerade ein Schnäppchen geschlagen.
Wie im Aufstand des 19. Jahrhunderts wird das Tragen von Juwelen in Warschau ein Widerstandszeichen. Dies ist nach vier Jahren Besatzung auch der verzweifelte Aufstand des Bürgertums, sich nicht völlig demütigen zu lassen, z.b. mit Anzeigen wie:
"Spare bei der deutschen Post Osten" (sich nicht so elend machen zu lassen wie die Juden, Zwischenfrage? Oder war der Aufstand im Ghetto einer der Proleten?) Auf jeden Fall kein polnischer Aufstand.

Im Mittelpunkt der Aktivitäten steht die 'Heimat-Armee', Schild eines polnischen Untergrundstaats zwischen 1939 und 44. Schon im Sommer 39 hatte Molotov, Stalins Außenminister, Polen für nicht existent erklärt, man hoffte sich das mit Hitler aufteilen zu können.
Auf einer Seite des großen Empfangsraums werden jetzt die Rekrutierungen und Aktivitäten der Heimatarmee dargestellt ( das geht in den nächsten Räumen weiter bis hin zu spannenden Anekdoten der Piloten und der Untergrundradiomacher), an der anderen Wand werden Privatmenschen vorgestellt, die in den Widerstand gerieten (alle gerieten rein), Priester, Handwerker, Schüler, besondere Geschöpfe wie die Philosophiestudentin Edith Stein, die sich dann Teresa Benedikta vom Kreuze nannte und bis zu ihrem Tod in Auschwitz ganz dicht bei jüdischen Freunden aus Warschau blieb.
In Nov 42 tut sich die Heimatarmee mit der Roten Armee zusammen, es gibt die Operation Burza (Sturm) in Ostpolen. Militärisch erfolgreich, wird diese polnische Armee gleich anschliessend von der Roten entwaffnet, die Anführer verhaftet - ("noch ist Polen nicht verloren" läutet gerade eine Glocke) - umstandslos sind die Aufständischen der neue Feind der nächsten Grossmacht.

Dieses Museum ist auch eine Darstellung der Verarschung Polens durch eigentlich alle Nachbarländer. Aus diesem Blickwinkel ist die Geschichte hier zusammengestellt (anders als in Kolberg, wo die Sowiets als Befreier gezeigt werden, dagegen wird das russisch-polnische Bündnis von Chelm 1944 hier in Warschau als Verräterveranstaltung bezeichnet: Die polnischen Kommunisten haben den eigenen Widerstand verächtlich gemacht für Stalins Großmachtpolitik. Diese zwei Sichtweisen stehen in Polen wohl bis heute nebeneinander). Aber auch die westlichen Alliierten haben sich nicht gerührt, um die große Balance der Nachkriegszeit nicht zu gefährden. Die Deutschen wurden als barbarische Besatzer nach Kriegsende eher noch belohnt, und die Aufständischen von Warschau wären sicher gern ein Teil der amerikanisch-englischen Zone geworden, die Exilregierung saß ja schon in London.

Mir bleiben Fragen, die nach dem Verhältnis zum Ghettoaufstand ist erstmal die größte. Zum Ende das Interview mit einem Deutsch-Belgier, der mit 17 in die Wehrmacht und gleich nach Warschau in den Aufstand kam. Erzählt u.a. von der SS- Brigade Dirlewanger, die sich ausschliesslich aus Kriminellen und amnestierten politischen Gefangenen zusammensetzte, die alkoholisiert aufs Irreste tätig waren. Sie hatten nichts zu verlieren. 500 Kinder töteten sie einmal nach Schulschluss einfach so, nach dem Befehl Dirlewangers: "Nehmt die Kolben, spart Munition". Ebenso die Idee der mit Menschen garnierten Panzer (als Kontrast das Zimmer des leise sprechenden Mannes aus Belgien, voll Plüsch, Deckchen, festen Vorhängen, Gegenwelt bis heute, während er entsetzt davon spricht, wie er bei vielen kleinen Gelegenheiten brennendes Menschenfleisch riecht).
Die Szene, wie er als junger Katholik zaghaft zu einem Kellergottesdienst dazutritt, und der Priester gibt ihm selbstverständlich die Kommunion. Tage später sieht er den gefangenen Priester, SS-Leute urinieren auf sein Kreuz. Er schafft es mit Freunden, den Mann loszukriegen.
Eine bestimmte Sorte Atheismus, der sich wertlos selbst gefällt, ist widerlich. Dazu passt: Himmler beim Besuch in Warschau auf einem Foto sieht sehr modern, zierlich-intellektuell geschoren, fast brechtisch aus, ganz der hochgezüchtete Stadtmensch, der an nichts glaubt außer die Macht und sich seine Bestien hält. Widerlicher als die selbst, die sich nicht zusehen.

Viel mehr viel mehr, aber hier ist jetzt Schluss. Als ich Stunden später aus dem Museum kam, schneite es. Das passte gut.

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