Dienstag, 6. Mai 2008

Zum Hundertneunzigsten

Zwischenstopp in Chemnitz, für eine Lesung zum Geburtstag von Karl Marx, vor seinem eingerüsteten Monumentalkopf, von 10-20 Uhr, jeder liest 5 Minuten lang, eingeladen von Sabine Kühnrich und Ludwig Streng. Hier ist es windig, das Häufchen Leute freundlich miteinander, eine alte Frau hat eine russische Fassung des Manifests geholt, dann lesen ein ehemaliger Superintendent und ich zwei flotte Kapitel aus einem Kinderbuch über Charlie, der die richtigen Fragen stellte (sehr ähnlich wie Randy Newmans schönes Lied über Marx), dann kommt eine ganze Gruppe, die sich den Anfang des Manifests mit verteilten Rollen nochmal vornimmt. Schock: Es ist wie grad eben, für jetzt und alle geschrieben. Muss damals science fiction gewesen sein. Die Vereinnahmung jeder Weltecke, fernster Sitten durch Tauschwert, globale Ethik für globales Gewinnstreben in private Hand, die Verelendung der ungeheuren Menge, Vertun der Reichtümer. Und die zwangsläufige Gegenkraft(shoffnung).
So neu wie nichts, findet dies kleine Häufchen.
„Wenn ich Dialektik höre, muss ich kotzen“ (H.Karasek) - grad noch ganz weit vorn, jetzt schon so weit ab und hinten.

unterwegs

Von Regensburg, „der nördlichsten Stadt Italiens“, wie sie gestern der junge Techniker ein bisschen stolz nannte, hoch durch die Oberpfalz in den Frankenwald und ins Vogtland. Die Lieblichkeit lässt nach, hinter Markredwitz ist sie verschwunden. Mir fällt ein, wie ich hier mal der Gast eines schwulen reichen Chemikers war, der knapp beim Essen bemerkte, er habe ein Gift, dass in die Speisen gemischt erst nach Monaten wirke, tödlich und unbeweisbar, ich wurde schlagartig überfreundlich und dann ruppig zu ihm, weil ich dachte, dass er meine Heuchelei sicher spürt.
In Hof (wo ich gleich umsteigen muss), hatte ich meinen ersten Festivalauftritt solo, bei Mike Thulke, 1982 als Vorprogramm für Kevin Coyne & Band. Ich begeisterte damals, glaub ich, niemand. Im Aufschwung der Rakete-Werbung hatte ich sooft Gegelegenheit, vor einem großen Publikum zu spielen mit so wenig Resonanz, dass ich mich heute wundere, wie wenig es mich entmutigt hat.
Kevin Coyne kam wie ein Sandsturm. Bis zum Rand vollgetrunken sturztrocken. Er sprang zum Getriebe der Band von der Bühne ins Publikum, zurück, an die Decke, er war ein Koma-Getöse. Minuten vorher noch wie aus einem Tiefschlaf hochgetaucht, prallte er sofort von Auftrittsbeginn aus seinen körperlichen und seelischen Grenzen. Der Ex-Psychiater, der Bahnhofsobdachlose in Nürnberg in spe. Lied für Lied, Salve für Salve, ein Ur-Gefühlsmotor mit Züngelfeuerstimme.
Nachher verschwanden sie alle in Richtung München, Kevin ‚on the back of the bus‘, während ich der Lokalreporterin ein paar Fragen beantwortete. 12 Jahre später moderierte ich eine Sendung in Köln, und Kevin sollte mein Gast sein. Mir war klar, dass er mich als einen vollkommen Fremden begrüßen würde. Er sah mich hinter den Reglern, hielt mir die Hand hin und sagte: „Good to see you. We met in Hof some years ago. Bei Mike Thulke.“
„Er hat nie eine Pause gemacht“, sagte Helmi Coyne, seine Witwe, die mir in Nürnberg vor zwei Jahren eine CD mit seinen letzten Aufnahmen gab. Die ich allen ans Herz lege, die ein klares, fast rohes Gefühl vertragen. Er war dann trocken, lebte in Franken, fern von Ruhm und Lockung des Anfangs, unentwegt als Gitarrist, Zeichner, Romancier, als Texter und Sänger tätig. Der das wie Atmen brauchte. Tatsächlich spielte er seine letzten Auftritte mit einem Atemgerät, die Lungen waren zu schwach. Verbeugung.

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