Samstag, 2. August 2008

Ein Abend mit L.Cohen

Der Marktplatz von Lörrach ist nicht mittelalterlich schön, die Häuser wohl eher Dutzendware, und Touristen wird man kaum herumführen. Vielleicht gerade deshalb schafft er eine so heitere Konzentration, beste Umgebung für die Konzerte, die dort jedes Jahr stattfinden, von ein paar Tausend Menschen besucht, beäugt von den Anwohnern, den Gästen des Hotels Benoth (von denen ein paar neulich abends die Rollläden runterließen, sie hatten schließlich ein Zimmer, keine Beschallung gemietet), vielleicht lässt er deshalb die Künstler, denen das von ihrer Bühne aus klein und possierlich vorkommen wird (gemessen an den Hallen, denen sie sich sonst aussetzen), in Begeisterungssprüche verfallen, lässt Bob Dylan sich am Ende hinknien (vor neun Jahren) und Leonhard Cohen sich mehrmals für die sinnstiftende Begegnung in einer sonst qualvoll zerrütteten Welt bedanken - ein Ensemble aus meisterrenoviertem Mittelalter würde den Freiraum vielleicht erdrücken. So wie Gustav Mahler mal sagte: Perfekte Gedichte lassen sich nicht gut vertonen, brüchige kitschige Reime sind besser für eine hochempfindliche Musik.
Leonhard Cohen fing an mit seiner Bitte um einen Tanz bis ans Ende der Liebe (dorthin, wo die ungeborenen Kinder in Bewegung geraten), und es war der satte, altertümliche, freundlich-ewige Schlagerklang, der uns mitnahm. Seine ersten Worte dann (nach einer Art Hallo): ‚Give me back the Berlin wall, give me Stalin and St.Paul, I’ve seen the future, brother, it is murder‘.
Als die Zeit für ‚Suzanne‘ gekommen war, saß ich plötzlich im Wohnzimmer mit meinem Vater, 40 Jahre vorher, im Herbst 68, wir hatten die Sitte, uns beim Tee Musik vorzuspielen und ich hatte diese LP nachhaus gebracht mit dem Polaroidfoto eines offensichtlich magenkranken Mannes drauf, wir wussten beide nicht, was uns erwartete. Traurigkeit. Besessen griffige Sehnsucht. Ohnmacht und liebender Spott in der tiefen Stimme, die aushalten will, was nur gereimt zu ertragen ist. Die wohlige Weichheit der Begleitmusik drumrum. Keine Ahnung, was für Bilder da entworfen wurden, aber sie erreichten uns. Dies leise, zerrende Geschrei am Ende, weit draußen, ‚in a blizzard of ice‘ - als meine Mutter von der Arbeit kam, fragte sie: „Ist jemand gestorben?“
Ich war gleichzeitig immer noch auf dem Marktplatz. Ich dachte (und sah den agilen, freundlichen, hageren alten Herrn mit der wieder so beweglichen Stimme, dem Charme, den altertümlichen und wie-ewigen Gesten, noch dies tolle Orchester um ihn herum): Wer hätte voraussehen können, dass das so dauert, dass es ein Bund fürs Leben wird? Und noch so schön ist, grad jetzt, mit all dem Schrecken in den Liedern wie in uns und wie da draußen - dass das so hält? Grade noch. Immer grade noch.
Man vergewissert sich an solchen Abenden, mit vielen Tausenden, dass es so grade noch...
Gumperz - 12. Aug, 20:29

Lörrach

Interessante Bemerkung Mahlers, danke!

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