Samstag, 4. Juni 2011

31.5.-3.6.

Die erste Autofahrt mit dem eigenen Führerschein, die erste eigene Wohnung, überhaupt das erste Mal - man wird es nicht vergessen (solange man nicht vergessen noch kann). An meine Reise durch die Orte hier vor über einem Jahr denke ich oft, aber nebenbei, manchmal als Auskenner, der bestimmte Fragen nicht mehr stellen muss, manchmal in freudigem Wiedererkennen von schönen, in den Hintergrund geratenen Dingen. Oder genervt und gleich davon amusiert. Oder erschreckt - wie auf der Fahrt nach Ivano Frank’ivsk, die mir viel anstrenger vorkam als damals, wo es ja doppelt so lang weiterging, bis nach Lemberg an einem Tag, also 380 km, das ist in der Ukraine eine ordentliche Strecke. Nach den 140 km diesmal war ich fertig. Saß am Gang in dem schaukelnden Marschrutki, dauernd pressten sich Bäuerinnen an mich, bezogen von der Verlagerung ihr Gleichgewicht, und wenn ich selbst einnickte, wurde ich vom Bremsen und Anfahren gerüttelt, und die Stehenden schubbsten mich gleich wieder in Position, damit ich meiner Aufgabe gerecht werde: Pfosten zu sein für sie.
Ivano Frank’ivsk - wie kalt das damals war, frostig, glitschig, dunkel am Abend, leergefegte Straßen und schwer zugehängte Restaurants. Wie sonnendurchflutet jetzt. Mir war damals gar nicht aufgefallen, dass die renovierten Häuser so bunt gestrichen sind in der Gebietshauptstadt, und dass es gut passt zu ihrem Baustil, vielleicht waren sie neu gar nicht unähnlich knallig gewesen. Und wieviel Straßencafes es hier gibt, Treffmöglichkeiten, das kann man natürlich erst sehen, wenn die Sonne mal scheint. Und wärmt, nicht zu knapp. Am schönsten saßen wir unterhalb des Hotels Nadja, neben dem Restaurant gibt es eine zweite Veranda mit Tischen und Stühlen, daneben ein Imbissbereich, wo man alles kriegt für ein Picknick, von Käse, Wurst, Salaten, Getränken bis zu Kuchen und Eis, einfach alles, sich holen kann, für viel weniger als nebenan, und da sitzt dann alles, was froh sein will und nicht allein, Männer mit Nusshaufen auf dem Tisch, 4 Bieren und 1 Flasche Wodka, noch unter’m Tisch vorgehalten, in 1 Stunde wird in ihr nur noch eine Neige sein, die wird dann weggegossen,man will ja nicht geizen, und das Lachen ist dann fordernd und nah am beginnenden Streit.
Frank’ivsk ist eine Arbeiterstadt. Lviv, wohin wir am nächsten Tag mit dem geruhsamen Zug fuhren (in Kristjanes Blog steht, wie wir an die Fahrtkarten gelangten), ist die heimliche Hauptstadt. Hier gibt es auch solche Ecken wie unterhalb des Nadja-Hotels, auch Parks mit Liebespaaren darin, die sich kurz vor’m Gewitter zu vermehren scheinen (nicht nur die Paare für sich, sondern auch als Erscheinung: plötzlich sitzt nicht mehr nur auf jeder zweiten Bank eins, sondern auf jeder). Es gibt aber auch leere hochbewachte Villen, stille Stadthügel, blumengeschmückte Restaurants, in denen manchmal kein Gast ist - und plötzlich tobt ein Ansturm, eine Delegation Professoren kommt, bestellt Sekt, der mit Blüten serviert wird. Mit Holunderblüten. Ihr könnt mir viel erzählen, denkt der Wirt und schließt den Garten, denn es wird sich gleich abregnen, die Luft ist elektrisch, das spürt er. Hat er so in den Knochen.
Und es gibt diesen wunderbaren Balkon vom Hotel Dnister im 2ten Stock, Tag und Nacht offen. Wlan, Getränke, eine langsam sich wieder lau auffüllende Nacht nach dem schrägen Streichorchesterabend gerade und einer Gewitter-Entladung. Ich habe keine Lust mehr, alles aufzuzählen, was wir erlebt haben. Ende der Reiseberichte, ich schreibe jetzt für mich selbst. Das muss auch keiner lesen, so wie sich mir ja auch keiner bei meinen Runden durch die Gegend hier an die Fersen heften soll. War eine gute Reise, wird nicht die letzte gewesen sein. Ich genieße den letzten Abend. Was jetzt noch kommt, kostet wieder.

Eine Stromsperre im Hotel hat verhindert, dass diese Zeilen nach dem Abschiedswodka direkt ins Netz kamen, jetzt ist der Rückweg gemacht, die Wohnung wieder bewohnt - sie riecht nach Farbe wie vor dem Abflug. Berlin so grün, weitläufig, aber auch glanzlos schäbig - wir sahen es für zehn Minuten in der U-Bahn wie zwei Fremde, die sich den Weg zu ihrer Pension suchen. Angesagt ist das Viertel nun wirklich nicht. Aber Ausflüge wird man machen können. Morgen werden wir die große Einkaufsstraße in der Gegend entdecken und die Museen, und ganz zufrieden sein. Harmlos da, wo wir herkommen, für uns harmlos, dieses Lviv, Cernivci, die Gebirgsgegend, ein einigermaßen abgesichertes Leben, das wir dort führen, sonst könnten wir uns so eine Reise gar nicht leisten. Die sich hier sowas leisten können, die schwärmen immer vom Abenteuer, Ungeregelten, je mehr sich die Sicherheiten um sie türmen, desto mehr lieben sie das Wagnis. Die finden es wahrscheinlich herausfordernd, bei uns zu sein. Wir sind ja auch ein bisschen aufgeregt. Na gut, ein bisschen mehr in der Innenstadt hätt sie gut sein können, die Pension, aber da kostets auch mehr, außerdem hat man hier Internetzugang, und da sieht man, wo man hinsollte, man sieht diese Ringbahnstrecke, die angeblich Tag und Nacht befahren wird, da kommt man überall hin, so große, gepflegte Waggons, mit der diese S-Bahn hier unterwegs ist - man merkt gleich, dass die Deutschen sorgfältige Planer sind, so ordentlich gehen sie um mit den Dingen. Vielleicht erklärt sich so ja auch ihr Erfolg, auf den ersten Blick jedenfalls. Und dass sie weniger Kinder haben, das sind halt Rechner. Nur glanzlos ist es hier ein bisschen. Aber die ganze Stadt haben wir natürlich noch gar nicht gesehen, am andern Ende soll‘n die Viertel sein, wo wirklich was los ist, Prenzlberg und so. Da fahren wir morgen hin, heute wird erstmal entspannt. Einen großen Flachbildschirm gibt es, davor legen wir uns jetzt hin, vielleicht gibts ja sogar ein ukrainisches Programm...

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