Donnerstag, 26. Mai 2011

24.-26.5.

Zwei Ausflüge in die Bergwelt, sie hängen zusammen mit der Suche nach Spuren von Gabriela von Seltmanns Großvater, Michal Pastanowski, der in Werchowyna eine Schule für Agrikultur leitete, als der Ort ein Teil Polens war und Zabie hieß. Uwe und Gabi waren deshalb schon einmal hier, die Recherchen ziehen Ortsbewohner an, die Dinge erzählen, zurückhalten, dann doch noch ein bisschen erzählen - wie standen die Huzulen zur deutschen Besatzung, wurde auch die Zugehörigkeit zu Polen als eine Art Besatzung empfunden? - man kann sich immer schnell einigen, wenn man den Sowietrussen alle schlechten Besatzereigenschaften zuschreibt, sie haben Angst und Schrecken verbreitet für jedermann und es sich mit allen verdorben - aber ist dieser Punkt abgehakt, gehen die Fragen wieder auf, und Informationen sickern spärlich. Große emotionale Gipfel werden erklommen, per skype ist Gabrielas Mutter zugeschaltert, die das Huzulenland als Zweijährige verlassen musste, gejagt, aber auch versteckt von Nachbarn, immer das Gefühl von Angst und Feindschaft in sich trug und ihren Kindern weitergab - jetzt mit Anna verbunden, die ihrer Tochter so geduldig hilft, die alten Spuren hier aufzunehmen und herauszufinden, was damals wirklich passiert ist. Versöhnung mit der Erinnerung, vielleicht, jedenfalls Versöhnung auf den Wellen des Internets, nachts am voriges Jahr noch so abgelegenen Küchentisch.
Die Ausflüge in die Berge gehn in zwei kulturelle Zentren, ein Museum und eine Art Sennerei mit Herbergsbetrieb, umgeben von Lagern, buntbemalten Zwergenhäuschen, Wildwasser, Rumpelstraßen, Sowiet-LKWs, freilaufendem Getier vieler Art, KIndern, die kilometerweit in die Schule zufuß müssen und zurück, Betrunkenen, höchst ordentlich gewandeten Frauen, schmucken Mädchen, dem verschmitzten Museumsleiter, 75 Jahre alt, klein, mit verbogenen Beinen (er konnte jahrelang nach einer Bombenexplosion nicht laufen, dann halfen ihm russische Spezialärzte) und einer technisch - sammlerischen Fitheit, die ihn wie halb so alt, Ende 30, wirken lässt. Im Museum eine plötzliche Musiksession von Anna und Jarek, ein Essen in der VIP-Ecke der Dorfbar, Erschrecken manchmal, Albernheit, fliehende Gedanken in erfüllter Einöde.
Serit Jahrhunderten zogen hier Heere durch, wurden neue Herren verkündet. Die Huzulen hatten (und haben) eigene Regeln, ließen die Fremden freundlich vorbei, möglichst unbehelligt von allem, passieren.
(Bei den Massakern der Nazis an den Juden von Werchowyna waren viele von ihnen beteiligt. So steht es in einem bereits geschriebenen Buch über den ,Untergang‘ dieser Stadt, im Museum ist davon nichts zu sehen, im Parallelmuseum von Kossiv heißt es, die Juden seien eben gegen Kriegsende ,weggezogen‘. Kein Wunder, dass Gabrielas und Uwe Recherche ein Stadtgespräch ist und Gräben aufwirft - besser: vorhandene vielleicht zur Sprache bringt, also zuschüttbar macht.)
Dass Recherche betrieben wird, geht aber auch auf die Nerven. Ich z.B. möchte nicht (nichtmal zu schnell, sondern eigentlich überhaupt nicht) entscheiden müssen, wer in dem geschichtlichen Spiel der oder das Böse ist. Zu eindrucksvoll z.B. die zwei Neubauruinen, einer Schule und eines Krankenhauses, beide am Ende der Sowietzeit hier begonnen und wegen Geld - und Interessemangel unfertig stehengelassen, auch eine Art von Mahnmal, nämlich für einen Versorgungsstaat, dessen Ineffektivität jetzt alle verspotten, aber damals wäre ein Kranker nicht aus Geldmangel krepiert. Ich will auch eine Haltung, die wechselnde Ideologien kommen und gehen (also auch abfahren) lässt, nicht gleich verdammen. Das Sein bestimmt das Bewusstsein, Gutes muss auch mir etwas Gutes sein, wenn ich gut sein soll. Ein bisschen tut sich hier der Gegensatz zwischen den (dröge urlaubenden) Zuschauern und den (recherchierenden) Intellektuellen auf. Wozu die Behauptung (der ich irgendwann mal nachgehen will) passt, in der Ukraine sei ,die Intelligenz‘ systematisch vernichtet worden von den zwei Superideologien des vergangenen Jahrhunderts. Auch in Polen sei sie schmerzhaft dezimiert. Ja. Und schlimm. Aber nicht schlimmer als die Vernichtung anderer, weniger elitefähiger Menschen. Ich bin übrigens gar nicht überzeugt davon, dass ,Intelligenz‘ ein Schutz vor Brutalität ist. Hochintelligente Machtmenschen beschlossen noch vor 2 Jahrzehnten, dass auf dem Balkan ein ,Feind‘ auszumachen sei und eine Gegenseite ,gut‘ (bis hin zum Organhandel der Kosovo-UCK, deren ,freiheitliche‘ Existenz Herr Fischer grad vor ein paar Wochen positiv hervorhob, um damit zum Eingreifen in Lybien anzutreiben - hochintelligenter Machtmensch, der er ist, aber um wieviel besser wären wir ohne diese Spezies dran!).
Die Bergwelt mit ihren Farben, Gerüchen, Tieren und Menschen. Armut Reichtum Mensch und Tier, ARMUT das Kürzel. Gesetze des Zusammenlebens auf engstem Raum, so jedenfalls stellt es Jahnn in diesem Drama dar, und wie die Naturgeister mittun dabei. Auch wir sahen beim Einbiegen in eine größere Straße auf einer Hängebrücke über den Schwarzen Cheremosch einen lächelnden älteren Herrn in schäbigem Anzug, altmodischer Brille und großen Augen dahinter, den Anna als Zauberer bezeichnete, einen Schamanen. Wie viele Schamanen fehlen einer modernen, sich wieder dem Manchesterkapitalismus zuneigenden Gesellschaft wie der Ukraine oder Polens, deren Unsicherheitssteigerung, was den Schutz der einzelnen Menschen angeht, bei uns zuhaus ja auch angestrebt wird (und wenn die FDP das nicht mehr hinkriegt, muss es halt die gute alte Tante SPD nochmal machen, blöd genug sind die Leute, dass sie das nicht gleich mitkriegen)?
Jetzt in der Ebene, in Kolymea, gleiches Hotel wie letzten März. Abschied von Jarek, Uwe und Gabriela. Diese Stadt rasselt und tobt vor sich hin, ein bisschen wie ein begeistert rauchender Huster. Oder hustender Raucher, jedenfalls jemand mit schlechter Lunge und guter Laune. Landstadt seit Jahrhunderten. Wir suchten aufs Gratewohl eine alte deutsche Siedlung, von Maria Theresias Hofräten initiiert, normgerecht angelegt und mit pfälzischen Auswanderern aufgefüllt kurz vor der französischen Revolution. Fanden die Straße, die damals ein Dorf war. Ein altes Paar bestätigte uns, hier wäre, wo einmal niemci gewohnt hätten. Die zaunlackierenden Enkelinnen, die wir erst gefragt hatten, wussten davon nichts mehr. Gleich hinter der Siedlung ein jetzt leeres, wie ausgebombtes Fabrikareal aus der Sowietzeit. Dann eine österreichisch aussehende Kirche. Rundkapelle orthodoxen Zuschnitts daneben. Vorstadtromantik. Mit einem herangewinkten Marschrutki zurück ins Zentrum. Wlan-Stunde, Bier und Salat. Waren kurz bei den eingetrudelten Nachrichten von grad eben. Bei alten Frauen, die in einer Reihe schweigend die Milch ihrer Tiere, ein paar Blumen, Körner anboten, seit morgens früh wohl schon, jetzt war es drei Uhr nachmittags und heiß. Solche Eindrücke. Dann stellten wir uns vor, wie man vor 200 Jahren hier lebte, die halbe Stadt war von Juden bewohnt, trotzdem gibt es in Kolymea kein jüdisches Museum. Gibt es eine Erinnerung an Sacher Masoch, der hier die Novelle ,Ein Held von Kolomea‘ schrieb? Wir suchten den vielleicht irgendwo an einer Müllkippe gelegenen jüdischen Friedhof nicht auf. Irgendein Reiseführer, der auf eine bestimmte, Intelligenz suggerierende Sorte Touristen geeicht ist, würde ihn uns bestimmt zeigen können. Wir gingen zum Busbahnhof, für die Weiterfahrt.

kwerblock

maurenbrechers betrachtungen

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

aus Lublin
Lieber Manfred, wir haben ja nun schon lange nichts...
Herbert Ulrich - 23. Feb, 11:36
Wilmersdorf
Wie das schon klingt! Keine Blumen in den Parks, trostlos,...
kapuziner - 4. Jun, 18:32
Roman haben wir leider...
Roman haben wir leider genau so wenig besucht wie die...
quer - 4. Jun, 14:01
31.5.-3.6.
Die erste Autofahrt mit dem eigenen Führerschein, die...
quer - 4. Jun, 13:45
Na, wieder zu Hause?...
Na, wieder zu Hause? Wie war denn der Gesamteindruck?...
Herbert Ulrich - 3. Jun, 14:51
29.5.
Ich hätte gezaudert, Kristjane wollte es gern, also...
quer - 1. Jun, 11:33
27./28.5. Czernowitz...
27./28.5. Czernowitz - wie letztes Jahr fuhr der Busfahrer...
quer - 28. Mai, 22:45
24.-26.5.
Zwei Ausflüge in die Bergwelt, sie hängen zusammen...
quer - 26. Mai, 22:20
23.5.
An einem klaren warmen Morgen am gedeckten Frühstückstisch...
quer - 23. Mai, 20:59
das find ich aber auch,...
das find ich aber auch, lieber Herbert... Brom nächsten...
quer - 23. Mai, 19:36

 

eXTReMe Tracker

Alle Links in Popups öffnen

alle Links auf der aktuellen Seite in einem neuen Fenster öffnen 

Suche

 

Status

Online seit 5831 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 30. Mai, 11:34

Credits


Reisen
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren